Revival der Shantys: Können heimische Chöre profitieren?
200 Jahre alte Seemannslieder sind plötzlich wieder in. Ausgelöst wurde der Hype durch den schottischen Postboten Nathan Evans. Können heimische Chöre davon profitieren?
Dieser 26 Jahre alte Schotte, bisher Postbote, wirbelt die weltweite Musikszene zurzeit ganz schön auf. Nathan Evans begeistert unzählige Sänger und Fans mit dem alten Seemannslied "The Wellerman", und immer mehr namhafte Musiker singen mit. Frank Gülzow, der Vorsitzende des Lotsengesangvereins Knurrhahn in Kiel Holtenau, hält es bei diesem Song nicht auf dem Stuhl, so begeistert ist er: "Ich finde das unheimlich toll und beeindruckend - auch, wie die das vortragen. Da ist ja selbst ein Mädel dabei, das hat's ja früher nie gegeben in den Shanty-Chören. Wir haben schon darüber nachgedacht, uns die Noten zu besorgen und das dann in unser Repertoire aufzunehmen." Wenn es gut laufe, könnte diese neue Shanty-Welle, die unter dem Hashtag #seashanty überall im Internet zu finden ist, einen richtigen Aufschwung geben, glaubt Frank Gülzow.
Jetzt in der Corona-Pandemie ist natürlich leider gerade Stillstand in den Chören, aber die Entwicklung lässt hoffen: "Wir haben uns sehr gefreut, dass gerade in den letzten Jahren auch jüngere Kollegen den Weg wieder zu uns gefunden haben und mit Feuereifer bei der Sache sind. Wir stellen ja auch fest, dass, wenn sie erst mal dabei sind, sie sich selbst fragen: 'Warum habe ich nicht schon eher damit angefangen?'"
Shantys wurden früher an Bord gesunden
Den Lotsengesangverein Knurrhahn gibt es seit über 90 Jahren, die Gründungsmitglieder des Kieler Vereins fuhren damals noch selbst zur See und sangen die Arbeitslieder an Bord. Fragt man Jochen Wiegandt, einen Mann, der sich extrem gut mit Liedern aus Schleswig-Holstein auskennt und schon ganze Bücher darüber geschrieben hat, wundert man sich allerdings, dass Shantys hier gar nicht so historisch verwurzelt sind. "Grundsätzlich kann man sagen, das Schleswig-Holstein kein Land war, in dem Shantys großgeschrieben wurden. Da war Hamburg viel zu nah bei", erzählt er. "Das lag einfach daran: Schleswig-Holstein hatte keine Häfen für Großsegler. Schleswig-Holstein hat mit Shanty-Gesang im 19. Jahrhundert, als die Shantys eben auf den Schiffen gesungen wurden, nichts zu tun. Heutzutage ja, da gibt es ja allerorten Shanty-Chöre, aber damals vor 100 Jahren, da sah es da eher düster aus."
"Gemeinsames Singen schafft Zusammengehörigkeitsgefühl"
Dennoch wurden die Lieder später an Bord auch hierzulande gern gesungen, beim Deck schrubben sozusagen. Lieder über die Sehnsucht nach Freiheit, Lieder über das Eingesperrtsein an Bord, über die Erlösung. Das passt auch hervorragend in die Corona-Zeit - und erklärt vielleicht auch den neuen Hype um die Seemannslieder. Und vor allem: Es wurde und wird gemeinsam gesungen, wie Frank Gülzow sagt: "Das schafft ja auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Heute ist ja doch die Individualität sehr ausgeprägt und die Gemeinschaft ist untergegangen. Aber ich denke, das kommt wieder, und vielleicht kann der Shanty seinen Beitrag dazu leisten."
Warum nicht? Ein Revival der Shanty-Chöre - wir hätten nichts dagegen, und der Schotte Nathan Evans auch nicht.
