Queer und Muslim - wie geht das?
Für gläubige schwule und lesbische Muslime ist es auch in Deutschland oft nicht einfach, Glauben und Sexualität zu verbinden. Zwei queere muslimische Männer gehen auf ihre Art mit dem Thema um.
Abbas sitzt am Elbstrand in Hamburg-Övelgönne. Nach langer Zeit nimmt er mal wieder den Koran zur Hand. Und fängt an zu rezitieren. Früher, im Libanon, war der 28-Jährige fasziniert vom Islam. Aber dann merkte er, dass er Jungs mag: "Wenn ich was für andere Jungs empfand, habe ich es versteckt. Weil es verboten ist."
Abbas stammt aus eine religiösen Familie, mit 18 Jahren hat er eine Religions-Schule besucht. "Ich hatte im Libanon schon früh Beziehungen mit anderen Jungen. Das fühlte sich sehr normal an für mich. Aber dann merkte ich, dass die Gesellschaft, in der ich lebe, das ablehnt. Da war eine Stimme in mir, die sagte: Was du tust ist falsch. Ich kam an einen Punkt, wo ich merkte: Es könnte echt gefährlich werden, wenn ich meine Gefühle zeige."
Veraltetes Bild von Männlichkeit und überkommene Machtstrukturen
Abbas hat in Deutschland Asyl beantragt. Laut eines Reports der International Gay and Lesbian Association steht in 18 muslimischen Ländern gleichgeschlechtlicher Sex unter Strafe. Konservative Muslime und Musliminnen berufen sich auf eine Stelle im Koran, die beweisen soll, dass Allah die Schwulen hasst: die Geschichte des Propheten Lot und seines Volkes: "Ihr gebt euch in eurer Sinnenlust wahrlich mit Männern ab statt mit Frauen", heißt es da. Allah tötet die, Zitat, "Sünder".
Ob es in dieser Geschichte überhaupt um das geht, was wir heute Homosexualität nennen, ist umstritten. Das Problem liegt nicht im Koran, sagt der Stuttgarter Atahan Demirel. Es liegt in einem veralteten Bild von Männlichkeit und in überkommenen Machtstrukturen: "Meiner Meinung nach ist es etwas, was ausgenutzt wird von dem Patriarchat, was da existiert, um zu rechtfertigen, was eigentlich nicht gerecht ist. Im Koran stehen die Menschenwürde und Menschenrechte schon eher an erster Stelle als queere Menschen zu unterdrücken."
Erste queer-muslimische Gruppe auf deutschem CSD
Atahan Demirel hat einen türkischen Migrationshintergrund. Er ist in Stuttgart geboren und aufgewachsen. Nicht alle Muslime sind homophob, das ist ihm wichtig zu betonen. Aber er würde auch in keine Stuttgarter Moschee gehen, um zu beten. Da herrsche schon ein gewisse Queerfeindlichkeit, sagt er.
Er ist Mitglied der jungen Islam Konferenz - ein post-migrantisches Netzwerk junger Muslime und Musliminnen. Seit 2020 hat das Netzwerk eine eigene queere Gruppe, erklärt Demirel: "Queere Muslim*innen werden von mehreren Seiten diskriminiert. Die Problematik bleibt oft im Dunklen. Da bedarf es an Aufmerksamkeit, an erster Stelle, an Sichtbarkeit." Im Juli wollen Atahan und andere Vertreter der Jungen Islam Konferenz beim Berliner Christopher Street Day mit laufen - als vermutlich erste queer-muslimische Gruppe auf einem deutschen CSD.
Hoffen auf ein normales Leben
Abbas hofft, dass er hier wird leben können, wenn sein Asylantrag angenommen wird: "Ich sehe hier den Unterschied, ich sehe hier, wie ein normales Leben aussehen kann: Ich werde von der Gesellschaft akzeptiert. Ich muss mich nicht verstecken. Ich muss mich für nichts schämen, für nichts, was ich tue. Ich kann ich selbst sein. Ganz offen."