Stand: 10.10.2018 13:21 Uhr

#MeToo: Wie hat sich die Filmbranche verändert?

von Elise Landschek

Erst waren es nur anzügliche Bemerkungen, später sogar Vergewaltigungen. Jahrzehntelang konnte der US-Filmmogul Harvey Weinstein Frauen missbrauchen und unter Druck setzen. Niemand stoppte ihn. Bis vor einem Jahr die Welle ins Rollen kam: In einem Zeitungsbericht der "New York Times" beschuldigten acht Schauspielerinnen Weinstein der sexuellen Belästigung. Unter dem Hashtag #MeToo (deutsch: "ich auch") breitete sich die Debatte rund um den Globus aus. Auch in Deutschland wurde der Ruf nach Konsequenzen laut, denn so dürfe es nicht weitergehen. Was aber hat sich seitdem in der Filmbranche getan?

Porträt der Schauspielerin Nina Kronjäger.  Foto: Christine Fenzl
Schauspielerin Nina Kronjäger ist erleichtert, dass sich Frauen zu den Missständen in der Filmbranche öffentlich geäußert haben.

Nina Kronjäger ist Theater- und Filmschauspielerin seit über 30 Jahren. Sie denkt, dass die Branche durch die #MeToo-Debatte endlich aufgewacht ist. "Ich bin erleichtert, dass Sachen, die wir Schauspielerinnen jahrelang für normal gehalten haben, jetzt nicht mehr so sind. Dass jetzt die Möglichkeit besteht, darüber zu reden und zu sagen: Was ist das für ein dämlicher, chauvinistischer Spruch? Das ist wirklich gar nicht lustig", so Kronjäger.

Beratungsstelle nimmt Arbeit auf

Siebzehn deutsche Verbände aus Film und Fernsehen haben als Reaktion auf die Weinstein-Affäre eine Vertrauensstelle ins Leben gerufen, an die sich Betroffene von sexuellen Übergriffen wenden können. "Themis" heißt sie, benannt nach der griechischen Göttin der Gerechtigkeit. Anfang Oktober 2018 nahm sie ihre Arbeit auf. "Die Vertrauensstelle soll Betroffenen ein gutes Beratungsangebot geben. Auch ein psychologisches. Wenn es dann zu einer Beschwerde gegen den Arbeitgeber kommt, soll die Stelle die Betroffenen auch betreuen", sagt Barbara Rohm, die im Vorstand von "Themis" sitzt.

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Eine Frau hält ein Handy in der Hand. Auf dem Display steht "#MeToo". © dpa-Bildfunk Foto: Frank May/picture alliance/dpa

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Schweigen für das Jobangebot

Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte gebe es an Theatern und bei großen Filmproduktionsfirmen schon seit Jahren, aber nur wenige Betroffene hätten sich bislang getraut, dort Klartext zu reden - aus Angst um den Job. Denn wer sich beschwert, wird vielleicht einfach nicht mehr besetzt. "In unserer Branche gibt es schnell Abhängigkeitsverhältnisse", sagt Schauspielerin Nina Kronjäger. "Wenn ich mich nicht traue, meine Meinung zu sagen, dann ist vielleicht der nächste Schritt, dass ich mir gefallen lasse, dass jemand die Hand auf meinen Arm legt. Und dann lasse ich mir vielleicht gefallen, dass er die Hand auf mein Knie legt. Und so geht das immer weiter. Diese grenzüberschreitenden Handlungen, die finden am laufenden Band statt."

Barbara Rohm aus dem Vorstand der Vetrauensstelle "Themis" für Opfer sexueller Übergriffe.  Foto: Orsino Rohm
Barbara Rohm sitzt im Vorstand der Vertrauensstelle "Themis".

Die Vertrauensstelle "Themis" ist unabhängig und garantiert auf Wunsch auch Anonymität. "Niemand kann garantieren, dass es keine weiteren Konsequenzen für die Karriere hat", sagt Barbara Rohm. "Es wäre illusorisch, solche Versprechungen zu machen. Dennoch finde ich es wichtig, dass wir dieses Thema angehen. Es braucht auch da wieder einige Mutige, die vorangehen und ihr Schweigen brechen."

Das System ist von Männern dominiert

Schauspielerin Nina Kronjäger sieht das Problem darin, dass sich für einen grundlegenden Wandel in der Branche das noch immer männlich geprägte System ändern müsse. Noch immer würden 85 Prozent aller Filme in den Hauptgewerken wie Regie, Produktion und Kamera von Männern gemacht. Frauen ab 50 kommen in Hauptrollen kaum vor. "Für die Zukunft stelle ich mir vor, dass wir gar nicht mehr betonen müssen: Männer oder Frauen. Sondern dass wir selbstverständlich von 'wir' reden: wir Frauen und Männer."

Kaum Wandel seit den 90er-Jahren

Doch heute seien die Verhältnisse noch immer nicht viel anders als in den 90er-Jahren, als zum Beispiel der Produzent Dieter Wedel Frauen massiv bedrängt haben soll. Viele wussten davon, niemand tat etwas. Auch Nina Kronjäger bekam damals von Wedel Rollenangebote. Sie lehnte ab. "Das war allgemein bekannt, dass der rangehen möchte und das wusste ich", sagt die Schauspielerin. Gegen Wedel ermittelt nun die Staatsanwaltschaft München. Nach dem Weinstein-Skandal meldeten sich mehrere Frauen und behaupteten, von Regisseur Wedel sexuell belästigt oder sogar vergewaltigt worden zu sein.

Durch die #MeToo-Debatte sei der Stein ins Rollen gekommen, sagt Schauspielerin Nina Kronjäger. Ab jetzt gibt es kein Zurück mehr, auch wenn der grundsätzliche Wandel in der Branche vielleicht noch lange dauern wird.

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Eine Frau hält ein Handy in der Hand. Auf dem Display steht "#MeToo". © dpa-Bildfunk Foto: Frank May/picture alliance/dpa

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kultur | 11.10.2018 | 06:55 Uhr

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