Traute Lafrenz © Creative Commons
Traute Lafrenz © Creative Commons
Traute Lafrenz © Creative Commons
AUDIO: NS-Widerstandskämpferin Traute Lafrenz - ein Nachruf (3 Min)

Letzte Überlebende der "Weißen Rose": Traute Lafrenz ist tot

Stand: 09.03.2023 21:12 Uhr

Die letzte Widerstandskämpferin der Gruppe "Weiße Rose" ist tot. Die in Hamburg geborene Traute Lafrenz starb nach Angaben ihres Sohnes am 6. März im Alter von 103 Jahren in der Nähe von Charleston (USA).

Die Gruppe um die Geschwister Hans und Sophie Scholl hatte mit Flugblättern zum Widerstand gegen die NS-Diktatur und zur Beendigung des Zweiten Weltkrieges aufgerufen. "Sie war eine Mitwirkende, aber hat kein Heldentum gesucht, sie hat gehandelt, weil sie es für wichtig und notwendig hielt", sagte die Vorsitzende der Weiße Rose Stiftung, Hildegard Kronawitter, am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach bei Twitter von einer traurigen Nachricht. Er fügte an: "Es war ein großes Glück für uns, dass sie überlebte und so anschaulich vom Widerstand berichten konnte."

Steinmeier: Lafrenz hörte auf die Stimme des Gewissens

Vor vier Jahren war Traute Lafrenz das Bundesverdienstkreuz verliehen worden. "Traute Lafrenz gehörte zu den Wenigen, die angesichts der Verbrechen der Nationalsozialisten den Mut hatten, auf die Stimme ihres Gewissens zu hören und sich gegen die Diktatur und den Völkermord an den Juden aufzulehnen", würdigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier damals ihren Widerstand in der NS-Diktatur.

Widerstand in der NS-Zeit

Porträtaufnahme von Traute Lafrenz. © rbb/Seybold Film/G. Milszteln
Im Jahr 2009 berichtete Lafrenz in der rbb-Koproduktion "Die Widerständigen. Zeugen der Weißen Rose" von der Zeit im Widerstand.

Traute Lafrenz wird am 3. Mai 1919 in Hamburg als jüngste von drei Töchtern eines Finanzbeamten und einer Hausfrau geboren. Zum Studieren kommt sie 1941 nach München, wo sie Hans Scholl kennenlernt und mit ihm auch eine Liebesbeziehung eingeht. Traute Lafrenz nimmt an vielen Gesprächen und Diskussionen der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" teil. Gemeinsam mit Sophie Scholl organisiert sie Papier und Briefumschläge für die Versendung von Flugblättern. Im November 1942 bringt sie das dritte Flugblatt der "Weißen Rose" nach Hamburg.

Die Verhaftung von Hans und Sophie Scholl

Am 18. Februar 1943 werden Sophie und Hans Scholl verhaftet. "Wir wollten eigentlich alle nach Ulm an den Wochenende. Da kamen mir Hans und Sophie entgegen und ich sagte: 'Ihr macht wohl schon blau'", erinnert sich Lafrenz vor einigen Jahren in der Dokumentation "Die Widerständigen". Sophie Scholl habe gesagt, dass die Skistiefel noch in ihrer Wohnung seien. "Wenn sie am Nachmittag nicht da seien, solle ich sie einfach holen. Das war das letzte Mal, dass ich mit Sophie sprach."

Weitere Informationen
Bronze-Büste von Sophie Scholl © picture alliance / Winfried Rothermel Foto: pWinfried Rothermel

Sophie Scholls Vermächtnis: Mut und Klarheit gegen Unrecht

Am 9. Mai wäre Sophie Scholl 100 Jahre alt geworden - sie wurde nur 21. Ein Essay des Historikers Magnus Brechtken. mehr

Traute Lafrenz geht ebenfalls ins Gefängnis

Nach dem Mord an den Scholls wird Traute Lafrenz im März 1943 ebenfalls verhaftet. Vor dem sogenannten Volksgerichtshof wird sie vom berüchtigten Richter Roland Freisler beschimpft. Nach kurzzeitiger Entlassung wird sie 1944 erneut verhaftet. "Wir wurden dann zu unserem Vernehmer geführt und der hat mir ein Protokoll von etwa 50 Seiten vorgelegt, was ich alles gesagt und getan hätte", erinnert sie sich in der Dokumentation. "Es stimmte alles: Was ich für Radio gehört hatte, was ich für verbotene Bücher gelesen hatte."

Befreiung durch amerikanische Truppen

Die erneute Haft sitzt sie in verschiedenen Gefängnissen ab, unter anderem im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel in Hamburg. "Es gab einige Mädchen, die konnten sehr gut singen. Und dann sangen die 'Harre, meine Seele, harre des Herrn'", sagte Lafrenz. "Diese ruhigen Momente gaben einem Kraft für die Verhöre." 1945 wird sie durch vorrückende amerikanische Truppen aus einem Bayreuther Gefängnis befreit.

Traute Lafrenz Botschaft: "Seid wach"

Zwei Jahre später geht sie in die USA, beendet ihr Medizinstudium und heiratet den Augenarzt Vernon Page. Mit ihm bekommt sie vier Kinder. Im Jahr 2009 kehrt sie noch einmal nach Hamburg zurück. Die Jüdische Gemeinde in der Stadt verleiht ihr die Herbert-Weichmann-Medaille. "Eine große Ehre für mich hier in meiner Heimatstadt, in der ich 20 Jahre lang über die Straßen gegangen bin. Und keiner ist mehr da, der mich damals kannte", sagt sie. An ihrer alten Schule kommt sie auch mit Schülerinnen und Schülern ins Gespräch. Gefragt, was sie über rechtsextreme Strömungen und Proteste denkt, sagt sie: "Da müsst ihr aufpassen und wachsam sein. Seid wach."

Weitere Informationen
Hans und Sophie Scholl, Gründer bzw. Mitglied der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" an der Münchner Universität © picture-alliance / dpa

Letzte Zigarette der Geschwister Scholl: "Das ist eine Legende"

Der Hamburger Forscher Martin Kalusche recherchiert intensiv zur "Weiße Rose". Manchmal entdeckt er dabei auch bisher Unbekanntes. mehr

Porträtfoto von Hans Leipelt © Angela Bottin

1945: Nazis töten Hamburger Widerstandskämpfer

1943 schließt sich der Hamburger Student Hans Leipelt der Widerstandsgruppe Weiße Rose gegen das NS-Regime an. Am 29. Januar 1945 wird er hingerichtet - wegen "Wehrkraftzersetzung und Volksverhetzung". mehr

Historisches Torhaus der Strafanstalten und heutige Gedenkstätte Fuhlsbüttel © NDR Foto: Irene Altenmüller

Tatort des Naziterrors: Das KZ Fuhlsbüttel

Willkür und Misshandlungen: Tausende Häftlinge litten im KZ und Gestapo-Gefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel. Heute führen Angehörige der einst Inhaftierten durch die Gedenkstätte. mehr

Vor dem Eingang zum Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität sind die Flugblätter der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" als Denkmal in den Boden eingelassen. © picture alliance/dpa Foto: Sven Hoppe

Die Verhaftung der "Weißen Rose"

Mit Flugblättern wollten sie Deutschland zum Widerstand gegen das Nazi-Regime bewegen. Dafür wurden die Geschwister Scholl und ihre Mitstreiter zum Tode verurteilt. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 09.03.2023 | 17:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

NS-Zeit

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Cover des Albums "The Tortured Poets Department" von Taylor Swift © Universal/Universal/dpa

Neues Album von Taylor Swift: Alle Aspekte des Herzschmerzes

"The Tortured Poets Department" heißt das neue Doppel-Album mit 31 Songs der Pop-Ikone Taylor Swift. mehr