Leitfaden zum Umgang mit kolonialem Erbe vorgestellt
Der Deutsche Museumsbund hat einen "Leitfaden zum Umgang mit Sammlungen aus kolonialen Kontexten" veröffentlicht. Ein Gespräch mit der Vorsitzenden der entsprechenden Kommission, Wiebke Ahrndt.
Frau Ahrndt, herzlichen Glückwunsch! Dies ist nun die dritte und finale Ausgabe des Leitfadens. Wie viel Arbeit, Diskussion, womöglich auch Dissens steckt da drin?
Wiebke Ahrndt: Viele Stunden der Arbeit, auch viele Fleißarbeiten. Viele sehr intensive Diskussionen, auch mit Expertinnen und Experten aus den Herkunftsgesellschaften, die uns als "Critical Friends" eine Menge Diskussionsstoff gegeben haben, der zu Überarbeitungen geführt hat. Der E-Reader ist zusammengestellt worden - das war ein Wunsch der Expertinnen und Experten, den Häusern mehr Praxisbeispiele an die Hand zu geben. Denn das Rad müsse nicht überall neu entdeckt werden. Obendrein gebe es auch Richtlinien im internationalen Bereich. Der Bitte sind wir gerne nachgekommen und haben deshalb begleitend zu dem gedruckten Leitfaden nun auch einen E-Reader auf der Homepage des Deutschen Museumsbundes.
Über 200 Seiten hat dieser gedruckte Leitfaden. Was wird darin geklärt?
Ahrndt: Es geht um sehr umfangreiche Sammlungsbestände, um die Sammlungen der ethnologischen Museen, die in der öffentlichen Debatte immer vorne stehen. Aber es sind fast alle deutschen Museen davon betroffen, denn fast alle haben Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. Dabei handelt es sich nicht lediglich um Sammlungen, die aus den ehemaligen Kolonialgebieten gekommen sind - es handelt sich um Sammlungen aus der ganzen Welt, aus einem sehr großen Zeitraum. Denn es geht nicht allein um Sammlungen aus formalen Kolonialherrschaften, sondern auch um Sammlungsbestände, die nach der Verkündung der Unabhängigkeit eines Landes in die Sammlung gekommen sind, wo sich aber die politisch-gesellschaftliche Situation für größere Bevölkerungsteile noch gar nicht zum Besseren gewendet hatte.
Und es geht um Sammlungsbestände, die gar nicht aus außereuropäischen Gebieten kommen, sondern hier aus Deutschland, und die dazu genutzt wurden, Kolonialgebiete zu erschließen. Also technische Errungenschaften wie Lokomotiven, Telegrafie-Objekte, Uniformen, Münzen, Flaggen, Waffen. Auch alles was mit Werbung zu tun hat, denn diese "Kolonialwaren" haben bei uns eine Menge im Konsum verändert, und das spiegelt sich in klischeehaften bis rassistischen Werbedarstellungen wider und letztendlich auch in der Reflektion in der Kunst. Es bleibt also eigentlich keine Museumsgattung übrig, wo sich nicht Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten wiederfindet.
Und was bedeutet "Umgang damit"? Das eine ist ja die Provinienz, die Feststellung, wo es herkommt und wie es zu uns gekommen ist. Das andere möglicherweise Restitution?
Ahrndt: Das wird in dem einen oder anderen Fall so sein. Es gibt Rückgabeforderungen im Zusammenhang mit menschlichen Überresten. In Bezug auf Kulturgut ist das ganz selten der Fall - es geht viel stärker darum zu sensibilisieren, sich anders mit dem Sammlungsgut auseinanderzusetzen und bei den außereuropäischen Sammlungen die Provenienzforschung voranzutreiben. Auch die Digitalisierung und Onlinestellung der Transparenz ist eines der wichtigsten Gebote. Die Menschen in den Herkunftsländern haben ein Recht darauf zu erfahren, was es in unseren Sammlungen gibt. Und das geht nur über Onlinestellung.
Ein ganz starker Wunsch aus sehr vielen Herkunftsländern ist auch, mit uns zusammenzuarbeiten: in Forschung, im Ausstellungswesen, die Kolonialgeschichte gemeinsam aufzuarbeiten, weil sie als gemeinsame Geschichte verstanden wird. Rückgabe ist ein Thema, aber im Museumsalltag nicht das, was am häufigsten bei uns auf der Agenda steht.
Sie schreiben in der Einleitung dieses Leitfadens, dass es eine praxisorientierte Arbeitshilfe ist für alle, die damit unmittelbar zu tun haben. Es ist eine Informationsgrundlage für viele, die sich dafür interessieren und damit beschäftigen. Aber es ist "kein Positionspapier oder eine rechtsverbindliche Vorgabe". Ist es damit eigentlich ein zahnloser Tiger?
Ahrndt: Nein, das sehe ich nicht so. Der Deutsche Museumsbund ist ein Verein, der die deutschen Museen berät. Die Erfahrung im Museumsbund ist, dass diese Leitfäden sehr dankbar angenommen und in weiten Bereichen auch umgesetzt werden. Ja, es ist keine Richtlinie, denn eine Richtlinienkompetenz hat der Museumsbund nicht. Wir sind ja nicht die Träger der Museen, sondern die Beratenden. Es gibt den Leitfaden schon in der ersten und zweiten Fassung, und es gab aus den Museen den starken Wunsch nach einer dritten. Wir kriegen auch viel Feedback aus dem Ausland, weil der Leitfaden auch in englischer und französischer Sprache vorliegt, um Transparenz herzustellen.
Sie knüpfen an den Leitfaden drei politische Forderungen: Die Provenienzforschung soll ausgebaut werden, Transparenz soll hergestellt werden und Kooperationen sollen ermöglicht werden, insbesondere mit den Herkunftsgesellschaften. Wo soll das Geld dafür herkommen? Und wie viel brauchen Sie?
Ahrndt: Das Wieviel ist gar nicht so einfach zu beantworten. Es gibt mittlerweile Finanzierungsmöglichkeiten aus Drittmitteln für all diese Dinge. Es gibt die Möglichkeit, Gelder beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste zu beantragen, die einen eigenen Förderschwerpunkt für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten aufgelegt haben. Es gibt die Möglichkeit, beim Bund und bei den Ländern Gelder für Digitalisierungsprojekte zu beantragen. Und es gibt auch Möglichkeiten, Gelder für Kooperationen zu beantragen. Da hat sich also eine Menge bewegt, aber es braucht diese Möglichkeiten auch in den Häusern selber. Wir könnten all das, was das Übersee-Museum in diesen Bereichen bereits tut, ohne die genannten Drittmittel-Geldgeber überhaupt nicht realisieren. Es braucht also eine andere Finanzierungsgrundlage, wenn man von den deutschen Museen möchte, dass sie sich in diesen drei Feldern ambitioniert zeigen. Das zu berechnen ist nicht so einfach. Überwiegend reden wir davon, dass es mehr Personal in den Häusern braucht, und zwar dauerhaft, weil es eine langfristige und langwierige Arbeit ist.
Das Interview führte Jürgen Deppe.
