"Leben im Lockdown": Am Käsestand statt auf der Theaterbühne
Seit März 2020 hat Schauspieler Flavio Kiener ungewollt viel Zeit. Mittlerweile hat er ein zweites Standbein gefunden.
Es ist kalt und von Flavio Kiener nicht viel zu sehen: Auf dem Kopf trägt er eine dunkle Mütze, über Nase und Mund eine schwarze Maske. Dazwischen leuchten, sehr freundlich, die Augen: "Guten Morgen", begrüßt er eine Kundin.
Den Stand, hinter dem er steht, hat Kiener selbst gebaut: Seine Freundin hat ihm dafür ihren alten Kinderschlitten überlassen. Mit den Kufen voran steht er auf der Theke, auf den eingezogenen Brettern liegen dicke Leiber Raclettekäse. Weitere Käsesorten finden sich in der von schmalen Langlauf-Skiern eingerahmten Vitrine.
Von der Theaterbühne auf den Wochenmarkt
"Gerne ein Stück festen Käse und gerne ein bisschen würzig", lautet die Bestellung. Und Flavio Kiener erklärt: "Würzig sind die alle, das ist alles aus Rohmilch. Der hier ist aus dem Emmental. Und der Schlossberger ist vierzehn Monate gereift, der ist noch richtig schön cremig."
Jeden Donnerstag steht der Schauspieler mit seinem Käsestand in Hamburg-Sülldorf vor einem Hofladen und samstags immer auf einem Wochenmarkt in Eimsbüttel. "Ich bin mit einigen von diesen Käsen aufgewachsen", erzählt der gebürtige Schweizer. "Ich komme aus der Region, wo der Käse hergestellt wird. Dieser Käse kommt aus dem Emmental und ich bin in einem Vorort von Bern aufgewachsen. Und ich war schon immer ein großer Käseliebhaber."
Ein schwerer Start für den Käseliebhaber
Angefangen hat er in einem kleinen Gemüseladen von Freunden, in dem es auch eine Käsetheke gibt - das machte Spaß. Und er hat noch guten Kontakt zu einem alten Kumpel im Emmental, der ihn jetzt für den eigenen Stand versorgt. Doch der Anfang war schwer, denn das hieß: Antragstellung in Corona-Zeiten, auf Ämtern ohne Publikumsverkehr, plötzlich der Neuling zu sein zwischen etablierten Händlern auf einem Wochenmarkt.
"Und dann habe ich mir gleich am ersten Markttag so dermaßen in den Finger geschnitten, dass ich in die Notaufnahme musste", erzählt Flavio Kiener. "Mit sechs Stichen genäht war ich dann später wieder zu Hause und das war mein erster Tag!"
Eine Woche später brach sein Zelt, es windete und regnete und Flavio Kiener musste wieder nach Hause fahren. Aber aufgeben? Nein! Heute pflegt er seine Kundenkontakte: "Ich habe heute auch einen neuen Käse da. Soll ich Dir davon ein Stück zum Probieren mitgeben?"
Der Schweizer Akzent gehört zum Komplettpaket
Für die Kunden hat er nicht nur Käse im Angebot, sondern auch einen charmanten Akzent: "Wenn ich hier stehe und verkaufe, dann wird auch mit Schweizer Akzent gesprochen - das ist das Komplettpaket, das gehört dazu. Ich habe mich damit am Anfang schwer getan, weil ich mir das lange abtrainiert habe. Aber das ist total schön, die Leute freuen sich tatsächlich auch."
Seine Freundin, ebenfalls Schauspielerin, ist auch oft dabei, doch im März kommt das zweite Kind, die Tochter ist zweieinhalb. "Das ist dann schon eine Antriebskraft, dass man merkt, da muss dann auch was reinkommen", sagt der bald zweifache Vater. "Und natürlich hat man als freischaffender Selbstständiger immer so seine Sorgen und Ängste, wie es weitergehen wird. Ich habe aber mit meinem Käsestand jetzt tatsächlich mein zweites Standbein gefunden. Und auch wenn das Theater irgendwann wieder losgeht, werde ich das hier nicht aufgeben."
