Der NDR Eingang an der Rothenbaumchaussee in Hamburg © NDR Foto: Alpen

Kritik am NDR: "Hier hilft nur maximaler Mut zur Transparenz!"

Stand: 03.09.2022 11:54 Uhr

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht in der Kritik. Was muss passieren, um aus dieser Krise herauszukommen? Ein Gespräch mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Journalistenverbandes, Mika Beuster.

Herr Beuster, in Schleswig-Holstein ist eine DRK-Landesvorsitzende mit der damaligen Landesrundfunk-Vorsitzenden liiert, und es gibt noch weitere Beispiele von persönlichen Verquickungen - das kennen Sie sicherlich auch aus anderen Bereichen. Wie wahrt man da die Hygiene der Berichterstattung?

Mika Beuster: Eins muss klar sein: Journalistinnen und Journalisten sind nicht ziemlich beste Freunde von Politikern, sondern sie sind das notwendige Korrektiv. Sie scheinen den Scheinwerfer, das Licht der Öffentlichkeit auf Missstände. Und wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, dass Politik und Journalisten zu nah zusammen sind, dann ist das fatal. Dieser Eindruck darf gar nicht erst entstehen. Wir brauchen also Korrektivmöglichkeiten in den Sendern, in den Verlagen, die dafür sorgen, dass Berichterstattung kritisch ist und bleibt. Das ist offenbar eine Baustelle, weil dieser Anschein allein genügt, um Misstrauen zu säen. Professioneller Journalismus lebt vom Vertrauen der Zuschauerinnen und Zuschauer.

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Sie würden also sagen, dass in dem Moment, wo es irgendeine persönliche Verbandelung gibt, die entsprechenden Akteure aus der Berichterstattung abgezogen werden sollten?

Beuster: Ich halte das eigentlich für eine Selbstverständlichkeit. Das ist journalistisches Handwerk, dass in Redaktionskonferenzen besprochen wird, welche persönliche Betroffenheit es zum Beispiel gibt. Das lernt man im Volontariat, der Ausbildung für Journalistinnen und Journalisten, dass eine eigene Betroffenheit offengelegt werden muss. Das verhindert nicht grundsätzlich, dass man berichtet - man kann ja subjektiv seine Meinung zum Beispiel im Format des Kommentars wiedergeben. Aber ich muss transparent darlegen, welche eigenen Interessen oder welche eigene Betroffenheit ich zum Beispiel habe. Das gilt umgekehrt für Politikerinnen und Politiker auch, die im Parlament bei eigener Betroffenheit auch nicht mitstimmen dürfen.

Es ging in einem Beispiel auch um eine ehemalige Vorsitzende des Landesrundfunkrats von Schleswig-Holstein. Warum stehen diese Räte, die eigentlich das Geschehen in öffentlich-rechtlichen Medien kontrollieren sollen, gerade in der Kritik?

Beuster: Das sind ja oft ehrenamtliche Aufsichtsgremien. Da sitzen Leute, die das kontrollieren sollen, was da geschieht. Das ist auch gut so, denn dadurch wird die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks garantiert. Es ist nicht der Staat, der kontrolliert, sondern es sind gewählte Vertreterinnen und Vertreter. Hier braucht es offenbar Schulung, mehr Kompetenz in modernen Aufsichtsfunktionen. Und ja, hier scheint es so zu sein, dass die nötige Sensibilität an der einen oder anderen Stelle fehlt. Da muss man nachdrehen, denn Vertrauen ist die Währung, in der Journalismus zählt. Und wenn dieses Vertrauen bröselt, muss man sofort gegenwirken. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine gute Einrichtung - den jetzt an sich infrage zu stellen wäre fatal.

Der ehemalige Umweltminister von Niedersachsen, Wolfgang Jüttner, war zehn Jahre lang Rundfunkrat im NDR. Der hat der "Zeit" gesagt, man könne in Wahrheit als Ehrenamtlicher gar nicht alles überblicken, die Abschlüsse lesen, über alles informiert sein. Wie gehen wir damit um?

Beuster: Das ist sicherlich so. Es gibt immer einen Wissens- und Erfahrungsvorsprung der Hauptamtlichen. Das gibt es in der Politik auch. Deswegen ist es umso wichtiger, dass es dort Schulungen gibt, dass dort sensibilisiert wird für diese Fragen, die so wichtig sind - eben Compliance: Läuft alles nach rechten Dingen ab? Sind Leute eigenbetroffen? Gibt es da zu viel Nähe? Werden falsche Entscheidungen getroffen? Sind die Ausgaben angemessen?

Tausende Beschäftigte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk leisten tagtäglich hervorragende Arbeit, decken etliche Skandale in Deutschland auf. Es finden tagtäglich Erklärungen, Einordnungen statt. Und das wird jetzt beschmutzt durch ein Versagen der Führung und Kontrolle. Das muss dringend abgestellt werden, damit diese alltägliche Arbeit der Kolleginnen und Kollegen nicht in Verruf gerät.

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Ist es denn noch zeitgemäß, dass die Arbeiterwohlfahrt, die Kirchen, Parteien in diesen Räten sitzen? Denn in irgendeiner Weise haben die alle auch Interessen für ihre eigenen Verbände.

Beuster: Interessen zu vertreten, ist erstmal nichts Anrüchiges und Schlechtes. Aber ich glaube, Sie sprechen einen Punkt an, der uns als Gesellschaft wohl beschäftigen wird. Da geht es um die Frage: Wie stellen wir einerseits Staatsferne in der Aufsicht und Kontrolle des Rundfunks her? Wie schaffen wir es andererseits, dass Einzelinteressen dort nicht über-, aber auch nicht unterrepräsentiert sind? Es ist ja gut, dass es bestimmte Gruppen gibt, die darauf drängen, dass sie auch in Rundfunk und Fernsehen vorkommen. Gerade marginalisierte Gruppen, migrantische Communities, die LGBTQ -Community und andere, die zu Recht sagen: Wir fühlen uns manchmal unterrepräsentiert. Andererseits kann es nicht sein, dass Einzelgruppen Einfluss einüben auf das Programm. Und das ist genau die Frage: Ist das noch zeitgemäß? Das wird sicherlich eine spannende Debatte sein, die wir gerne kritisch begleiten werden. Wichtig ist am Ende des Tages: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss seine Aufgabe unabhängig, kritisch, fern von Politik, Wirtschaft und anderen Interessenseinflüssen wahrnehmen können. Er muss den Beschäftigten ausreichend nötige Arbeitsbedingungen schaffen. Und er muss funktionieren.

Wenn Sie aufgerufen werden, den Norddeutschen Rundfunk zu beraten: Zu welcher Strategie würden Sie in der Recherche, in der Berichterstattung raten?

Beuster: Der NDR macht ja schon einiges. Ich würde es frei nach Willy Brandt sagen: mehr Transparenz wagen. Je mehr man transparent darstellt, was geschieht - auch wenn es wehtut, weil zum Beispiel eigene Personen betroffen sind -, umso mehr Verständnis wird es in der Öffentlichkeit geben. Hier hilft nur maximaler Mut zur Transparenz, eine vollkommene, schonungslose Darstellung dessen, was ist. Und dann sorgfältig, sauber in die Analyse gehen und schauen, was geändert nachhaltig werden kann, um so das Vertrauen der Zuschauerinnen und Zuhörer wiederzugewinnen.

Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.

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