Lessingtage erstmals mit Afrika-Schwerpunkt
Seit 2010 finden in Hamburg alljährlich die Lessingtage statt. Ein Theaterfestival, das nach dem weltoffenen Freidenker und Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing benannt ist, der von 1867 bis 1870 am damaligen Hamburger Nationaltheater wirkte, bevor er nach Wolfenbüttel abwanderte. Auch um Weltoffenheit und Toleranz geht es bei den diesjährigen Lessingtagen, die noch bis zum 3. Februar laufen und in diesem Jahr erstmals auch zwei Gastspiele aus Afrika präsentieren- "Hear Wor(l)d!" und "Die Zofen".
Die zehn Schauspielerinnen der Theatergruppe iopenEye aus Lagos rocken das Publikum. In prächtigen farbfrohen, gemusterten Kleidern tanzen und singen, klagen und schimpfen sie. Sie sind keine stummen Opfer, sie lassen sich den Mund nicht verbieten und erzählen vom Leid der Frauen in Nigeria: von häuslicher Gewalt, von dem Druck, einen Sohn gebären zu müssen, weil Töchter nichts zählen, von Beschneidung und Vergewaltigung, aber auch von Doppelmoral und falscher Frömmigkeit und der Komplizenschaft vieler Frauen, die stolz sind, wenn ihre Töchter studieren, aber greinen, wenn diese unverheiratet bleiben und ihnen keine Enkel bescheren. Sie haben das Stück "Hear Wor(l)d!" auch schon erfolgreich in Boston, New York und Amsterdam aufgeführt, erzählt die Regisseurin Ifeoma Fafunwa. "Ich war überrascht, weil das Stück ja für Afrika kreiert worden ist", sagt sie. "Wir haben nur die Sprache ein wenig verändert, das Umgangssprachliche gemildert, aber sonst ist alles so geblieben. Die Message ist eben universell. Als wir angefangen haben, war das noch vor der MeToo-Bewegung."
Leider nicht ausverkauft
Ein Percussion-Band, bestehend aus drei Männern, arbeitet den Frauen wunderbar zu. Leider sei das Thalia Theater bei diesem Gastspiel im Rahmen der Lessingtage 2019 nicht ausverkauft gewesen, bedauert Intendant Joachim Lux. "Wir sind alle total offen für internationale Dinge, solange sie ungefähr so sind, wie das, was wir selber kennen", sagt er. "Und wenn es denn anders ist, dann gibt es ganz schnell auch Überheblichkeit gegenüber anderen Ausdrucksformen wie zum Beispiel dem des Theaters in Afrika." Die Gruppe iopenEye überrascht mit einer Folge kurzer Sequenzen, mal ernster und mal heiterer Art, in Monologform, als Spielszene, Lied oder Tanz.
"Die Zofen" von Jean Genet werden zum Sozialdrama
Die Compagnie Dumanié von der Elfenbeinküste dagegen präsentiert ein klassisches Theaterstück: "Die Zofen" von Jean Genet. Das 1947 uraufgeführte Kammerspiel erzählt von zwei Schwestern, beide Dienstmädchen in einem reichen Haus, die ihrer Herrin in Hassliebe verbunden sind. Deren Abwesenheit nutzen die Schwestern gern für ein Rollenspiel, in dem sie die Herrin ermorden. Bei Genet ist es eine raffinierte Psychostudie, Regisseur Souleymane Sow interpretiert es als Sozialdrama. "Wir haben versucht, es an unsere Realität in Afrika anzupassen, damit es bei uns die Menschen berührt", erklärt sie. "Wir wollten zeigen, unter welchen Umständen Hausangestellte bei uns leben und etwas über sie erzählen."
Von erschreckender Aktualität
Wenn die beiden Zofen überlegen, wie sie die gnädige Frau am besten umbringen können, es aber nicht schaffen und stattdessen selbst zugrunde gehen, dann ist das von erschreckender Aktualität. "Wir sind Arbeiterinnen, wir sind unsichtbar", sagen die Zofen in dem Stück. "Wenn Figuren auf der Bühne sagen: 'Wir sind niemand!', dann ist das doch schrecklich", sagt Thalia-Intendant Lux. "Vor allem, wenn wir wissen, in welcher Lage die Menschen dort tatsächlich leben."
Legt man unsere Maßstäbe an, ist diese Inszenierung theaterästhetisch vielleicht kein Highlight, aber zu erleben, wie die beiden Schauspielerinnen von der Elfenbeinküste den Text verkörpern, ist berührend. Allein die Tatsache, dass Schwarze ihn spielen, verändert ihn.
