Friedensnobelpreis: "Statement gegen Unterdrückung durch Putin"
Der diesjährige Friedensnobelpreis wird an Ales Bjaljazki aus Belarus, die russische Organisation Memorial und die ukrainische Menschenrechtsorganisation Center for Civil Liberties verliehen.
Ein Gespräch mit Susanne Schattenberg, Professorin für Zeitgeschichte und Kultur Osteuropas an der Universität Bremen.
Frau Schattenberg, der Krieg in der Ukraine, atomare Drohungen und etliche Krisen in der Welt sind der Hintergrund, vor dem heute die Friedensnobelpreisträger verkündet worden sind. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?
Susanne Schattenberg: Es ist eine sehr gute Entscheidung, eine sehr weise und natürlich auch politische Entscheidung, weil es eine direkte Bezugnahme auf den Krieg ist. Alle drei Preisträger sind unmittelbar vom Krieg betroffen, und es ist sehr gut, dass es nicht nur eine ukrainische Gesellschaft ist, um die Ukraine in den Mittelpunkt zu stellen. Sondern dass damit der gesamte globale Kontext gezeigt wird, also auch Russland nicht als Täter per se erscheint, sondern auch gezeigt wird, wie sehr die Menschenrechtsorganisationen in Russland unterdrückt werden, aber auch am Beispiel von Belarus daran erinnert wird, dass dort seit 2020 die Menschen protestieren und unterdrückt werden.
Interessanterweise hat das Komitee heute extra betont, dass der Friedensnobelpreis für und nicht gegen etwas vergeben wird. Interessant insofern, als auch der Eindruck entstehen könnte, es wäre ein Preis gegen die Politik von Putin, der ja heute 70 wird.
Schattenberg: Ja, das liegt nahe. Letztlich ist es ein Statement gegen den Krieg und gegen die Unterdrückung durch Putin. Natürlich ist es damit auch gleichzeitig ein Preis für den Einsatz für Menschenrechte, dass man sich in Belarus so weit für Menschenrechte einsetzt, dass man dafür ins Gefängnis kommt. Oder dass man in der Ukraine auch zu Kriegszeiten weitermacht und Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Dass in Russland besonders die Organisation Memorial, die letzten Dezember verboten wurde, trotzdem weiter unterstützt und wahrgenommen wird und ihr vielleicht dadurch die Chance gegeben wird, sich neu zu gründen.
Es steht leider zu befürchten, dass eine solche Auszeichnung die damit indirekt kritisierten Regime kaum beeindrucken dürfte. Gibt es überhaupt in der Geschichte des Friedensnobelpreises Beispiele dafür, dass eine solche Ehrung Friedensprozesse nach sich gezogen hätte?
Schattenberg: Wenn ich mir die Friedensnobelpreise oder auch Literaturnobelpreise für sowjetische Persönlichkeiten anschaue, dann hat das leider nie positive Auswirkungen gehabt. Man denke an Boris Pasternak, der den Preis nicht annehmen durfte und kurz darauf an zerrütteter Gesundheit starb. Oder auch Andrei Sacharow, dem verwehrt wurde, den Friedensnobelpreis entgegenzunehmen. Letztes Jahr war es Muratow mit seiner großartigen Zeitung "Nowaja Gaseta", der in Russland aufgeklärt hat - und trotzdem ist die "Nowaja Gaseta" verboten worden, jetzt sogar auch der Internetauftritt. Leider hat sich in der sowjetischen Geschichte nie davon jemand wirklich beeindrucken lassen.
Das hängt wohl auch damit zusammen, dass die Zuerkennung eines Friedensnobelpreises immer gleichzeitig auch die Mahnung ist, was einen Missstand angeht. Und dieser Missstand wird durch den Friedensnobelpreis nicht einfach so beseitigt, oder?
Schattenberg: Nein. Für Memorial habe ich zumindest die große Hoffnung, dass es neuen Auftrieb gibt, dass sie sich neu gründen. Mit Kriegsbeginn sind sehr viele Memorial-Mitglieder ausgereist, sie leben heute auch in Deutschland, sind an verschiedenen Institutionen untergekommen. Sie ringen immer noch darum, wie sie weitermachen können. Das hängt natürlich auch ganz stark mit Geld zusammen. Erst im letzten Monat ist ihnen auch noch die Immobilie in Moskau aberkannt worden. Die stehen buchstäblich vor dem Nichts; da fehlen Infrastruktur und Geld. Es ist nicht nur symbolisches Kapital, das sie bekommen, sondern auch wirkliches Kapital, das ihnen hoffentlich hilft, sich neu zu gründen. Die Idee ist - zumindest bei manchen Memorial-Vertretern - das in Russland neu zu versuchen. Andere sind dafür, sich eher in Europa neu aufzustellen. Aber auf jeden Fall ist das ein starkes Signal von außen an Memorial: Wir glauben an euch und ihr müsst jetzt weitermachen, auch wenn ihr in Russland immer noch verboten seid.
Neben den beiden Menschenrechtsorganisationen geht der Friedensnobelpreis in diesem Jahr auch an den belarussischen Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki, der zurzeit in Haft sitzt. Was kann man über den sagen?
Schattenberg: Entscheidend ist, dass er bisher nicht so sehr in erster Reihe stand und sein Name weniger bekannt ist als die der drei nominierten Frauenfiguren, die immer im Vordergrund standen. Dass er den Preis bekommen hat, hat, denke ich, sehr viel damit zu tun, um ihn aus der Vergessenheit herauszuholen und dafür zu sorgen, dass sich im Westen wieder mehr Menschen für ihn einsetzen. Man könnte sich ja sonst fragen, warum es die drei Frauen nicht bekommen haben.
Das Gespräch führte Philipp Cavert.