Auf dem Bildschirm eines Smartphones sieht man die Timeline in der App Twitter. © picture alliance/dpa Foto: Fabian Sommer
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Auf dem Bildschirm eines Smartphones sieht man die Timeline in der App Twitter. © picture alliance/dpa Foto: Fabian Sommer
AUDIO: Chaos um blaues Twitter-Häkchen: "Das ist brandgefährlich" (12 Min)

Chaos um blaues Twitter-Häkchen: "Das ist brandgefährlich"

Stand: 06.04.2023 14:38 Uhr

Vor einigen Monaten hat der Milliardär Elon Musk Twitter gekauft. Seitdem war die Social-Media-Plattform ständig in den Nachrichten - unter anderem wegen der Einführung des umstrittenen Twitter Blue-Abos.

Ein Gespräch mit dem Social-Media-Experten Dennis Horn, der die Entscheidungen von Elon Musk für demokratiegefährdend hält.

Herr Horn, Massenentlassungen, Abwanderung von Nutzerinnen und Nutzern, Proteste: Twitter war in letzter Zeit oft in den Nachrichten. Was waren eigentlich Elon Musks Beweggründe für den Kauf von Twitter?

Dennis Horn: Dazu gibt es unterschiedliche Aussagen und Vermutungen. Er selbst sagt, die Plattform habe ihm so nicht gefallen. Die Nutzerinnen und Nutzer dort seien nicht gleich, es gäbe zu viel Zensur. Es gibt aber auch noch eine andere Lesart, nämlich dass Elon Musk eigentlich schon seit vielen Jahren eine Idee mit sich herumträgt, seit er mal ein Praktikum in einer Bank in Kanada gemacht hat, wo ihm das alte Bankwesen dort ein bisschen auf den Senkel ging: Er möchte eine Bezahl- und Finanzdienstleistungs-App für alle schaffen. Das ist ihm mit PayPal, wo er auch mal Chef war, am Ende nicht so gelungen. Das Unternehmen musste er verlassen. Jetzt gibt es auch die Lesart, dass er versucht, Twitter Schritt für Schritt zu einer solchen App umzubauen. Aber am Ende wissen wir es nicht genau. Wahrscheinlich ist es eine Melange verschiedener Gründe.

Twitter ist nicht das Netzwerk mit den meisten Nutzerinnen und Nutzern, aber es ist ein Multiplikatoren-Netzwerk, und was dort passiert, das geht auch raus in die Kommunikationswelt. Gleichzeitig hat Twitter aber niemals die Gewinnzone erreicht. Wie möchte er das angehen?

Horn: Twitter hat ganz kurz mal die Gewinnzone erreicht, aber tatsächlich nie so, wie andere Plattformen das schaffen. Das mag wohl auch mit der Größe zu tun haben. Musk versucht sich jetzt vielleicht an etwas, was Twitter nie gelungen ist, nämlich das zu einer massenkompatibleren App zu machen. Das schafft er im Moment vor allem mit Aufmerksamkeit, die er auf sich lenkt. Das heißt, Twitter ist Elon Musk. Mit den Entlassungen wurden die Fixkosten gesenkt, und das hat ihn zeitweise in die Gewinnzone getrieben. Aber ich sehe nicht, dass da irgendetwas Nachhaltiges dahinter steckt, weil er gleichzeitig Rechnungen nicht zahlt. Außerdem werden wahrscheinlich massiv Prozesse wegen nicht gezahlter Abfindungen an ehemalige Mitarbeiter auf ihn zukommen. Eine wirkliche Idee, wie er da in die Gewinnzone kommen möchte, sehe ich bisher nicht.

Wie sieht es mit den Werbekunden aus? Ich habe da unterschiedliche Botschaften gehört. Denn durch die stürmischen Zeiten im Netzwerk hat es ja nicht allen gefallen.

Horn: Nein, das hat nicht allen gefallen. Es gibt ein Stichwort, unter dem das alles läuft: der sogenannten Brand Safety, die Markensicherheit. Es gibt eine ganze Reihe großer Unternehmen, die ein Problem damit haben, bei Twitter zu werben, weil das Umfeld, in dem ihre Werbeanzeigen erscheinen, kein besonders sicheres mehr ist. Wir wissen, dass der Anteil an Hass, an Antisemitismus, an strafbaren Inhalten bei Twitter seit der Übernahme durch Elon Musk zugenommen hat. Das ist kein Umfeld, in dem sich Werbekunden gerne bewegen. Einige beschweren sich auch darüber, dass das System, in dem sie ihre Werbung eingeben, nicht mehr sicher ist und dort zum Teil Dinge passieren, wie etwa, dass Kampagnen, die den Werbekunden eigentlich gar nichts mehr bringen, freigeschaltet werden und Geld dafür kassiert wird, obwohl sie das gar nicht so wollten. Das dürfte der Grund dafür sein, warum sehr viele abgesprungen sind. Es gibt Zahlen, die sagen, dass die Werbeeinnahmen in einzelnen Zeitfenstern um bis zu 90 Prozent gegenüber dem Vorjahr eingebrochen sind. Das ist schon harsch.

Eine neue mögliche Form des Geldverdienens für Twitter könnte sein, die beiden Häkchen, die bezeugen, dass ich ich bin, gegen Geld anzubieten. Wie ist da der Stand?

Horn: Es gibt einmal ein altes Häkchen: Das haben Nutzerinnen und Nutzer verliehen bekommen, die Popstars sind, Sportlerinnen, Organisationen, Unternehmen. Und jetzt gibt es das neue Twitter-Blue-Häkchen, das ich mit einem Abonnement bekomme, das ich für rund zehn Euro im Monat abschließen kann. Für dieses Abonnement bekomme ich dann auch das "alte" blaue Häkchen verliehen. Der aktuelle Stand ist, dass Elon Musk den alten Nutzerinnen und Nutzern ihr blaues Häkchen entziehen und dafür sorgen wollte, dass man es nur noch bekommt, wenn man dafür bezahlt. Dazu muss man wissen, dass Elon Musk zu den Unternehmenslenkern im Silicon Valley gehört, die extrem freiheitlich ticken, dem Eingriffe grundsätzlich nicht gefallen und der immer gesagt hat, dass alle Nutzerinnen und Nutzer gleich sein sollen. Gleichheit heißt hier aber: gegen Bezahlung. Man kann jetzt also Geld dafür ausgeben, um verifiziert zu werden und ein blaues Häkchen zu bekommen, so wie die Stars. So wirbt Twitter auch dafür. Aber er zögert noch, den alten Nutzerinnen und Nutzern ihr blaues Häkchen zu entziehen. Denn das sind Multiplikatoren, die die Plattform wichtig und relevant machen, und er sieht jetzt offenbar, dass er damit wohl vielen vor den Kopf stoßen könnte.

Kann ich denn sichergehen, dass die, die jetzt bezahlen, wirklich die sind, die sie vorgeben zu sein?

Horn: Nein, das kann ich nicht. Es stand mal zwischendurch im Raum, dass das kontrolliert werden soll. Wir wissen nicht, wie es kontrolliert wird, denn Twitter hat ja keine Leute mehr, da sind ja sehr viele entlassen worden. Das läuft jetzt alles nach Automatismen: Wer bezahlt, bekommt das blaue Häkchen. Der Charakter dieses blauen Häkchens bekommt jetzt also eine andere Aussage. Bisher war es ein Zeichen dafür, dass ein Account echt ist - und jetzt ist es ein Zeichen dafür, dass da jemand Geld für dieses Abo-Modell ausgibt. Das kommt in der Nutzerschaft gerade nicht gut an: Schaut mal, da ist wieder so ein Account, der Elon Musk auch noch Geld in den Rachen wirft. Gerade in dieser Übergangsphase, wo viele mit dem blauen Haken immer noch Glaubwürdigkeit und Authentizität verbinden, kann das dazu führen, dass Accounts, die Desinformation verbreiten, es wesentlich einfacher haben. Es gab auch schon Fälle, in denen plötzlich Accounts mit blauem Haken auftauchten, die aber Fälschungen waren. Diese Möglichkeit steht jetzt im Grunde allen offen.

Ich kann mir jetzt quasi einen Personalausweis von Twitter drucken lassen, auf dem "Anna Netrebko" steht, und dann auch noch in ihrem Namen Posts absetzen, richtig?

Horn: Exakt so ist das. Das würde noch verschärft, wenn Twitter jetzt tatsächlich Anna Netrebko ihren blauen Haken entziehen würde, weil sich dann jeder andere Anna Netrebko nennen und einen blauen Haken dazu tragen könnte. Genau das passiert gerade.

Das spricht für viel Trubel und Chaos auf der Plattform.

Horn: Ja. Das ist vielleicht auch ein Modell, eine Methode, die Elon Musk hier fährt. Wir haben über das Modell der Aufmerksamkeitsgenerierung gesprochen. Im Grunde ist das der digitale Donald Trump, den wir da gerade erleben. Die Mechanismen erinnern ziemlich an die Methode, mit der es auch Donald Trump immer wieder schafft, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das Chaos ist hier System.

Wie verhalten sich andere Plattformen zu diesem Thema? Wie macht das der Meta-Konzern mit Instagram und Facebook? Wie macht das TikTok, das Videoportal?

Horn: Die scheinen sich das genau anzusehen. Meta - also Facebook, WhatsApp, Instagram - scheint interessiert, denn Meta hat vor wenigen Wochen ein ganz ähnliches Programm angekündigt, ein Abo-Modell, das unter anderem einen blauen Haken verspricht. Aber Meta scheint es ein wenig anders umzusetzen. Meta geht zum Beispiel nicht so weit, den Accounts, die hier bezahlen, mehr Reichweite zuzuschanzen. Das geschieht bei Twitter: Wer bezahlt, dessen Tweets werden auch mehr Leuten angezeigt. Und Meta geht auch nicht so weit, den Accounts den blauen Haken zu entziehen, die ihn bisher schon hatten. Da scheint man also deutlich problembewusster unterwegs zu sein, als Elon Musk es ist. Aber man kann unterm Strich festhalten, dass wir gerade vielleicht erleben, dass sich das Geschäftsmodell der sozialen Netzwerke ändert. Das basierte bisher immer auf Werbung: Die Daten über uns werden gesammelt, um uns dann möglichst passgenau Werbung anzeigen zu können. Das funktioniert nicht mehr so gut. Jetzt suchen die Plattformen nach neuen Erlösmodellen, und diese Abo-Modelle könnten da ein Versprechen sein, an dem sich auch Facebook und Instagram gerade versuchen.

Donald Trump war einer der größten Aufrührer von Twitter, bevor er gesperrt wurde. In den USA ist wieder Wahlkampf? Ist das, was gerade bei Twitter passiert, gefährlich?

Horn: Das ist brandgefährlich. Wir wissen, dass es Akteure gibt, die gezielt Desinformationen im Netz streuen, einen Krieg im digitalen Raum führen, um insbesondere demokratische Strukturen anzugreifen. Russland zum Beispiel unterhält eine eigene verdeckte Organisation dafür. Die Entscheidungen von Elon Musk, nicht nur den blauen Haken zu verkaufen, sondern auch die Moderation von Inhalten deutlich zurückzufahren, machen es diesen Akteuren gerade sehr einfach, die Plattform für sich zu nutzen. Wir wissen, wie schnell sich Desinformation über Twitter verbreiten kann, wenn es auf den richtigen Moment und auf die richtige Zielgruppe trifft. Insofern würde ich sagen, dass das definitiv demokratiegefährdend ist, wenn wir da nicht aufpassen.

Das Interview führte Mischa Kreiskott.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 06.04.2023 | 16:45 Uhr

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