Studenten demonstrieren nach dem Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschek am 16.04.1968 in Bonn gegen die Springer-Presse © dpa Foto: Peter Popp

1968: Die kulturelle Revolte

Stand: 19.03.2018 00:01 Uhr

Was 1968 genau passierte und was es bewirkte, darum wird bis heute gestritten. Grundkonsens besteht aber darin, dass '68 die bundesdeutsche Zivilgesellschaft und Politik demokratisiert und modernisiert hat.

von Patric Seibel

1968 - das war ein Kulturkampf mit Köpfen und Körpern, ein Konflikt der Worte und Gesten. Inspiriert von theatralischen Protestformen der US-Bürgerrechtsbewegung und mit den Theorien des Neomarxismus. Zwischen Happening und Hörsaal rüttelte ein Teil der studentischen Jugend an den gesellschaftlichen Autoritäten. Hier die clownesken Provokationen der Kommune 1 - dort die langen Sätze des Rudi Dutschke:

"… dass in dieser Gesellschaft vieles verändert werden muss, verändert werden kann - nicht durch putschistische Aktionen von Minderheiten, die sich bewusst isolieren, sondern die systematisch daran arbeiten, immer weitere Teile der Bevölkerung mit dem Bewusstsein, was sie an der Universität sich anlernen können, vertraut zu machen und einen Dialog zwischen den in Unmündigkeit gehaltenen Menschen der Gesellschaft und uns herzustellen." Zitat Rudi Dutschke

Professoren durch Studenten inspiriert

Rudi Dutschke am 6. März 1968 © dpa
Bekannt für seine langen Sätze: Studentenführer Rudi Dutschke am 6. März 1968.

Inspiriert hatten die Studierenden deutsche Professoren wie Theodor Adorno und der in den USA lehrende gebürtige Berliner Herbert Marcuse. Sein Buch "Der eindimensionale Mensch" vertrat die These, der zeitgenössische Kapitalismus manipuliere die Menschen bis hinein in deren Bedürfnisse und Wünsche. Wenn der 70-jährige Marcuse in Deutschland auftrat, waren die Hörsäle bis zum Bersten gefüllt.

Tod des Studenten Benno Ohnesorg gibt Bewegung Schub

Der sterbende Student Benno Ohnesorg liegt auf der Straße, eine junge Frau stützt seinen Kopf. © picture-alliance / akg-images / Henschel
Am 2. Juni 1967 wird der Student Benno Ohnesorg bei der Demonstration vor der Deutschen Oper in Berlin-Charlottenburg erschossen.

Den entscheidenden Schub erhielt die Bewegung, die heute 68er-Bewegung heißt, am 2. Juni 1967. Bei der Demonstration gegen den Staatsbesuch des diktatorisch regierenden Schah von Persien reagierte die Polizei äußerst brutal. Der Student Benno Ohnesorg wurde von einem Polizisten in Zivil erschossen. Jetzt wuchsen die Wut der Studierenden und die Zahl der Aktivisten sprunghaft. Notstandsgesetze, Vietnamkrieg, Antispringerkampagne - das waren die Themen, die Protestierende, Politik und Medien in Atem hielten.

Attentat auf Studentenführer Rudi Dutschke: Gewalt eskaliert

Die Springer-Presse hetzte mit Schlagzeilen wie "Stoppt den Terror der Jung-Roten jetzt!" Am 11. April 1968 schoss der junge Neonazi Josef Bachmann den Studentenführer Rudi Dutschke auf dem Kurfürstendamm nieder und verletzte ihn lebensgefährlich. In den Osterkrawallen eskalierte die Gewalt: Mit Angriffen auf das Springer-Gebäude und Auslieferungsfahrzeuge und heftigen Straßenschlachten. In Paris brachten die Studierenden sogar die vierte Republik ins Wanken. Nach tagelangen Straßenschlachten im Quartier Latin solidarisierten sich Arbeiter mit den Studierenden. Ein Generalstreik legte ganz Frankreich lahm.

Von der 68er-Bewegung zur Friedensbewegung

Nachdem die revolutionäre Dynamik verebbte, verzweigte sich die 68er-Bewegung. Aus ihr entstanden unter anderem zivilgesellschaftliche Initiativen wie Frauen-, Öko- und Friedensbewegung. Erlebt hatten alle Beteiligten eine ästhetische Aufladung des Politischen: Musik, Mode, Frisuren und Körperhaltung waren machtvolle Zeichen im Kampf um die symbolische Deutung der Welt. Umgekehrt wurden viele Lebensbereiche politisiert und dadurch die Gesellschaft liberalisiert, demokratisiert und modernisiert.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kultur | 19.03.2018 | 08:55 Uhr

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Die 60er-Jahre

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