Kolumne: "Der Baum der Gnade"
Auch Hässliches darf im Garten von Pastorin Susanne Richter wachsen. Nicht nur aus mangelnden gärtnerischen Fähigkeiten. Der Ehemann der Kolumnistin hat ein Herz für Pflanzen, denen das Leben hart mitgespielt hat.
"Der muss auf jeden Fall weg." Kaum jemand, der den Wallnussbaum in unserem Garten nicht so kommentiert. Nicht nur die "Schöner-wohnen-Fraktion" unter unseren Freunden, auch die Naturschützerinnen und Gärtner sind sich einig: Der Baum steht im Weg. Eindeutig. Jahrelang hat er auch noch zu wenig Licht gekriegt und ist ganz verkrümmt und spiddelig.
Unsere Vorgänger hatten ihn mit einem Strick angebunden, seine Rinde ist ganz vernarbt. Den Platz herum hat mein Mann inzwischen freigeschlagen. "Jetzt hat er Licht. Gib ihm ein Jahr. Einmal soll er Nüsse tragen. Das hat er noch nie geschafft." Mit seinen Arbeiterhandschuhen tätschelt mein Mann den Stamm. "Wenn dieser Baum weg wäre, könnten wir langsam Struktur in unseren Garten kriegen", gebe ich zu bedenken. Mein Mann guckt gequält. Und so darf der Baum erstmal bleiben, ein Jahr.
Ein Baum als Sinnbild für Barmherzigkeit
Bis vor zwei Wochen. Da geht mein Mann dann von sich aus in die Garage und holt die Motorsäge. Langsam geht er in den Garten. "Ich habe mich in den letzten Tagen von ihm verabschiedet. Geht ja nicht anders." Und, "heute Morgen bin ich nochmal bei ihm gewesen." Dann greift er nach der Verlängerungsschnur und legt die Säge an. Weiter kommt er nicht. "Neeeeeeeiiiiiin. Tue es nicht!" Mein Mann zuckt zurück und schaut zuerst erstaunt, dann erleichtert zu mir rüber.
An diesem Nachmittag taufe ich unsere Walnuss um in "Baum der Gnade". Passt besser zu uns als ein schicker Garten. Schick werden wir eh nicht, aber eine Erinnerung, öfter mal barmherzig zu sein, können wir gut gebrauchen! Und irgendwie sieht er auch gar nicht mehr so hässlich aus, seitdem ich weiß, dass mein Mann ihn so in sein Herz geschlossen hat.
Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jeden Donnerstag vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.