Kolumne: "Vom Stolpern beim Dinner"
Bleigießen, Böller und Berliner - das sind die Standards jeder Silvesterfeier. Aber das Herzstück eines gelungenen Jahreswechsels ist für Millionen Fernsehzuschauer der Kult-Sketch "Dinner for One".
"Cheerio, Miss Sophie." "Skol!" Ich liebe es. Kennen wir wohl alle. Mit diesen Prosit-Rufen müht sich Butler James um besondere Etikette zum 90. Geburtstag der alten Dame. Deshalb auch die Silberleuchter, der Knicks, die festliche Garderobe mit Frack und Fliege. Besondere Sympathie und viele Lacher bekommt Butler James aber dafür, dass er bei diesem Zeremoniell regelmäßig ins Stolpern kommt. Nicht bloß über das ausgelegte Tigerfell. Nein, auch wenn er die Suppe verschüttet oder die verstorbenen Freunde von Miss Sophie imitieren muss.
"Dinner for One" läuft regelmäßig im NDR Fernsehen
Vor fast 60 Jahren läuft "Dinner for One" erstmals im deutschen Fernsehen. Seit 1972 strahlt der NDR es regelmäßig zum Jahreswechsel aus. Langweilig wird es nie. Als ahnten und hofften wir, dass den Stolperern von Butler James eine besondere Bedeutung innewohnt - jenseits aller Clownerie oder der alkoholischen Eskapaden im Kammerspiel.
Fehler machen Menschen liebenswert
Mir geht es vor allem um den Moment, wo die livrierte Etikette ihr gezwun-gen-steifes Benehmen verliert. Auch Gott schmunzelt dann vermutlich. Natürlich still und liebevoll, jenseits aller Schadenfreude. Er hat uns ja so gemacht, dass wir im Stolpern menschlicher werden. Fehler machen uns liebenswert. Zeigen unser eigenes bedürftiges Selbst - und dabei kommen wir den anderen näher.
Merkels Träne beim Großen Zapfenstreich
Ein anderes Beispiel für diese Menschlichkeit im Stolpern ist für mich der Große Zapfenstreich für die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auch hier gibt es ein klares Zeremoniell, formelle Garderobe, Fackelschein, minutiös einstudierte Bewegungen bei unbewegten Gesichtern. Und dann diese eine Träne im Augenwinkel der immer so kontrollierten Frau. Für mich ein Gänsehaut-Moment, mit ganz viel Nähe, Wärme.
Deshalb widme ich in diesen Tagen zwischen Abschied und Anfang all denen ein Herz der Liebe, die sich über ihre Stolperer ärgern. Seid barmherzig mit Euch. Alles ganz menschlich.
Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Regelmäßig vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.
