Kolumne: "Lebenssatt sterben - irgendwie"
"Altern ist nichts für Feiglinge", heißt es. Wenn die Kräfte abnehmen, muss man schauen, was noch trägt. Wie sich ein guter Umgang mit dem Älterwerden findet, beobachtet Klaus Böllert bei seiner Mutter.
"Jetzt wird auch mein Kopf langsamer." Meine Mutter ist 87 Jahre alt und hat gemerkt, dass sie die Untertitel im Fernsehen nicht mehr schnell genug lesen kann. Sie erzählt das ohne Wehleidigkeit, dabei macht das Alter ihr schon zu schaffen. Schönreden tut sie da nichts. Tage ohne Rückenschmerzen kennt sie schon lange nicht mehr, die Finger wollen nicht mehr längere Texte schreiben, ihre Beweglichkeit mit dem Rollator ist auf sehr kurze Strecken eingeschränkt. Ich lebe 400 Kilometer entfernt und wir sind keine Familie, in der ausführlich über Gefühle geredet wird, aber sicher weiß ich, dass es für sie nicht leicht ist, die Einschränkungen hinzunehmen.
Sich in Dankbarkeit erinnern
Was ich schon bewundernswert finde, ist der Blick meiner Mutter auf das, was sie noch hat, auch weil sie weiß, dass das in ihrem Alter nicht mehr selbstverständlich ist. Die eigene Wohnung, den Balkon mit ihren Pflanzen, von dem aus sie mit Freude auf den Spielplatz schaut, der klare Kopf, Bücher, Menschen, die ihr nahestehen. Und manchmal erzählt sie von dem, was sie auch heute noch nährt, zum Beispiel von der Pilgertour, die sie gemacht hat. Sieben Jahre lang ist die Gruppe je eine Woche gepilgert und so vom Ruhrgebiet nach Rom gelaufen. Sie ist heute sehr froh, dass sie diese Tour gewagt hat. Gute Erinnerungen sind wichtig.
Und so kann ich zwei Dinge lernen: Gutes Leben heute trägt auch im Alter. Und nicht auf das konzentrieren, was fehlt, sondern auf das Gute im Leben. Natürlich weiß niemand, wann meine Mutter sterben wird. Ich hoffe sehr, dass ihr längeres Siechtum erspart bleibt.
Was ich aber weiß ist, dass sie so sterben wird, wie es die Bibel als guten Tod beschreibt, wie es von Abraham und David und Hiob heißt: Sie starben alt und lebenssatt. Wie bei einer großen Festtafel. Ich habe alles probiert, manches war bitter oder versalzen, aber das meiste köstlich. Und jetzt ist es gut.
Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jeden Donnerstag vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.