Moritz Reinbach, Abschiebebeobachter am Flughafen Hamburg © Carl Philipp Schopf Foto: Carl Philipp Schopf

Reinbach: "Meine Präsenz trägt zum besseren Umgang bei"

Stand: 20.06.2023 08:55 Uhr

Moritz Reinbach schaut genau hin, wenn Menschen gegen ihren Willen am Hamburger Flughafen abgeschoben werden. Er arbeitet für das Diakonische Werk als Abschiebebeobachter.

Dabei begleitet und dokumentiert er im Bereich der Bundespolizei am Hamburger Flughafen Abschiebungen und die sogenannte Dublin-Überstellung. "Als Diakonie-Mitarbeiter versuche ich natürlich die von Abschiebung betroffenen Menschen so gut es geht zu unterstützen und gleichzeitig auch darauf zu achten, dass die Prozesse menschenrechtskonform ablaufen."  

Was heißt das konkret?

Moritz Reinbach: Menschen kommen bei einer Abschiebung oftmals in eine sehr verzweifelte Situation, eine Extremsituation. Abschiebungen werden in der Regel nicht mehr angekündigt. Menschen werden überrascht, meistens nachts von den Behörden, wenn sie abgeholt werden aus der Wohnung oder der Unterkunft und dann kommen sie unvermittelt am Flughafen am. Ihnen wird gesagt, dass sie in das jeweilige Zielland, nicht unbedingt das Heimatland, reisen müssen - und das ist mit viel Stress und vor allem vielen Fragezeichen verbunden. Und da versuche ich einerseits den Menschen noch Kontakte zu Hilfsorganisationen zu geben, in den jeweiligen Ländern, aber auch Gespräche mit den Menschen zu führen, sie zu beruhigen, sie auch zu empowern und ihnen als behördenunabhängiger Mensch in dieser doch sehr schwierigen Situation zur Seite zu stehen.

In ihrem letzten Bericht für den Innenausschuss der Hamburger Bürgerschaft haben Sie dokumentiert, dass in einem Drittel der Fälle die Abschiebungen problematisch verlaufen sind. Was bedeutet das? Was ist da passiert?

Reinbach: Ich habe in dem Berichtszeitraum insgesamt 122 Abschiebemaßnahmen beobachtet und davon ein Drittel zur Besprechung in das sogenannte Flughafenforum gegeben. Das betreffen - aus meiner Sicht - besprechungswürdige Situationen. Das sind nicht immer ganz große Probleme, sondern manchmal auch organisatorische Abläufe, wo ich Verbesserungsvorschläge mache. Aber es können natürlich auch heikle Situationen dabei sein, wenn kranke Menschen abgeschoben werden, wenn es zur Familientrennung kommt, oder wenn es aus meiner Sicht zu unverhältnismäßigem Einsatz von unmittelbarem Zwang kommt.

Aber wie können Sie dann helfen?

Reinbach: Ich denke, dass meine reine Präsenz am Flughafen schon zu einem besseren Umgang beiträgt. Dass Fehltritte von den Behörden durch meine Präsenz schon minimiert werden.

Aber diese Menschen, von denen sie jetzt gesprochen haben, die sind bereits abgeschoben worden. Bekommen, die irgendwie noch weiterhin Unterstützung, wenn sie jetzt anmerken, dass es nicht richtig gelaufen ist?

Reinbach: Die Menschen werden abgeschoben, daran kann ich nichts drehen. Meine Stelle sieht nicht vor, die Abschiebungen in irgendeiner Form zu verhindern. Ich bin wirklich nur dafür da, darauf zu achten, dass der Vollzug möglichst würdevoll vonstattengeht und dass keine Menschenrechtsverletzungen stattfinden.

Moritz Reinbach, Abschiebebeobachter am Flughafen Hamburg © Carl Philipp Schopf Foto: Carl Philipp Schopf
AUDIO: Gott und die Welt mit Moritz Reinbach (10 Min)

Wie geht es Ihnen dabei, solche Situationen mitzuerleben?

Reinbach: Das ist natürlich nicht einfach. Ich habe vor dem Antritt dieser Stelle wenig Berührungspunkte mit Vollzug und Vollzugsgewalt gehabt. Zu sehen, dass geflüchtete Menschen, oder auch andere MigrantInnen, alleine der Staatsgewalt gegenüberstehen und ich als Beobachter nicht eingreifen darf, das ist natürlich ein Gefühl von Machtlosigkeit.

Was hilft Ihnen nach so einem schweren Einsatz? Wer betreut sie dann?

Reinbach: Es ist schwierig, weil ich an die Schweigepflicht gebunden bin und nicht so viel nach außen tragen darf. Dennoch merke ich, dass auch wenn es nur abstrakt ist, das Einzige ist, was hilft, ist über das Erlebte zu sprechen Die Abschiebungen laufen weiter und meine Stelle wird das nicht verhindern. Mit diesem Bewusstsein muss ich mich regelmäßig motivieren, an den Flughafen zu fahren und da helfen mir tatsächlich einerseits Gespräche im Privaten. Aber andererseits auch mit einem Supervisor, mit dem ich mich alle zwei Monate treffe.

Was ist ihre Motivation für die Arbeit?

Reinbach: Ich bin während meines Studiums in den Bereich der Geflüchteten-Unterstützung gekommen und habe dort viele positive Erlebnisse gehabt. Das Thema Abschiebungen und Ausreisepflicht ist dabei nicht ausgeblieben. Menschen, die mir nahestanden, mir ans Herz gewachsen sind, waren konfrontiert mit behördlichen Auflagen, auch mit Abschiebung. Und da habe ich gemerkt, was ich für ein Privileg habe in Deutschland geboren zu sein, einen deutschen Pass zu haben und nicht in diesen Strudel eines Verwaltungsakts zu kommen, der wirklich Träume und Existenzen zerstören kann.

Sie arbeiten für die Diakonie. Diakonie ist Dienst am Menschen im kirchlichen Rahmen. Warum engagiert sich die Kirche für Projekte wie Ihres?

Moritz Reinbach, Abschiebebeobachter am Flughafen Hamburg © Carl Philipp Schopf Foto: Carl Philipp Schopf
Wenn eine Abschiebung sein müsse, solle das in Sicherheit und Würde ermöglicht werden, sagt Moritz Reinbach.

Reinbach:  Die Diakonie als Träger der evangelischen Kirche engagiert sich vielfältig im Bereich der Geflüchteten-Unterstützung - vorneweg natürlich bei der Hilfe von integrativen Angeboten. Aber dennoch verschließt sie nicht das Auge vor der negativen Seite der Migrationspolitik, also Abschiebungen, Ausweisungen oder auch "Dublin-Überstellungen". Das Ziel der Diakonie ist es sicherzustellen, dass diese Rückkehr, wenn sie denn sein muss, in Sicherheit und Würde ermöglicht wird.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Reinbach: Im Bereich der Flüchtlings- oder Migrationspolitik wünsche ich mir, dass Humanität und Solidarität nicht nur eine Floskel ist, sondern wirklich auch praktiziert wird. Das sieht man insbesondere auch momentan an der Ungleichbehandlung von Geflüchteten aus unterschiedlichen Ländern, wenn man die Situation von ukrainischen Geflüchteten anguckt und der Situation von Geflüchteten aus anderen Teilen dieser Welt. Ich denke, diese Ungleichbehandlung tut dem Zusammenhalt der Gesellschaft nicht gut.

Das Interview führte Susanne Richter. Redaktion: NDR

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Gott und die Welt - der Podcast | 24.06.2023 | 07:40 Uhr

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