Die Sonne ist am Himmel über einem See zu sehen. © NDR Foto: Barbara Gehring

Menschlicher Wille ist oft rein persönlicher Natur

Stand: 16.06.2022 09:00 Uhr

"Des Menschen Wille ist sein Himmelreich", sagt der Volksmund. Von wem stammt der Spruch und was bedeutet er? Radiopastor Oliver Vorwald hat bei Goethe und Luther nachgelesen.

von Pastor Oliver Vorwald

Drama, Lustspiel, Tragödie. Darüber sinniert Johan Wolfgang von Goethe 1802 in seiner Schreibstube. Mit einem Spitzentuch tupft er hin und wieder seine Nase, während seine rechte Hand Zeile und Zeile notiert. Der Dichterfürst, inzwischen Direktor des Hof-Theaters in Weimar, arbeitet in diesem Frühjahr an einer Schrift über die Bühnenkunst. Ins Kapitel zu Shakespeare fließt er dann ein - der Spruch vom Himmelreich.

Die größten Qualen, welchen der Mensch ausgesetzt sein kann, entspringen aus den einem jeden innewohnenden Missverhältnissen zwischen Sollen und Wollen … das Wollen legt der Mensch sich selbst auf, des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke, Band 10, Herisau 1838

Der Himmel auf Erden kann auch die Hölle sein

Ob aber Goethe nun tatsächlich Schöpfer dieser Worte ist fraglich. In einigen Zitaten-Sammlungen werden diese Zeilen einem anderen Poeten zugeschrieben: Johann Jakob Wilhelm Heinse. Aber wer auch immer diese Worte zuerst ausgesprochen hat, auf den Inhalt kommt es an. Umgangssprachlich zusammengefasst lautet der so. Der Mensch ist happy - wie im Himmel, wenn alles nach seiner Nase läuft. Und richtig, da schwingt eine ordentliche Portion Kritik mit. Denn was für den einen den Himmel auf Erden bedeutet, kann für den Nächsten möglicherweise die Hölle sein. Von Martin Luther gibt es übrigens auch so einen Satz, der diese Thematik berührt. Den notiert er 1529 an seinem Schreibtisch im Schwarzen Kloster zu Wittenberg. Da arbeitet er an einer Abhandlung über Bibel, Glauben und Gott. In seiner Erläuterung zum Ersten Gebot schreibt er:

Woran du nun, sage ich, dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich dein Gott. Martin Luther

Nicht immer geht alles nach der eigenen Nase

Ja, der menschliche Wille ist oft rein persönlicher Natur. Völlig in Ordnung. Wird der dann aber absolut gesetzt, also vergöttlicht, kann das für andere zum Drama werden, sogar zur Tragödie. Damit es erst gar nicht so weit kommt, empfiehlt Martin Luther, auf die Worte im Vaterunser zu hören - sozusagen als Korrektiv. "Dein Reich komme, dein Wille geschehe": Diese Worte sagen, dass im Leben nicht immer alles nach der eigenen Nase laufen muss. Hin und wieder kann es gut und heilsam, wenn jemand anderes seinen Willen bekommt.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | 18.06.2022 | 19:15 Uhr

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