Auch die Hochbahn ist auf den Schlagermove in Hamburg vorbereitet und begrüßt Besucher mit dem Wort "Hossa" auf den Infotafeln. © NDR Foto: Zeljko Todorovic

Aus allen Zwängen fliehen

Stand: 30.06.2022 14:07 Uhr

Auf dem Hamburger Schlagermove wird ein Song ganz sicher nicht fehlen: "Ich war noch niemals in New York..." von Udo Jürgens. Das Lied erzählt von einem, der der Routine seines Alltags entkommen will.

von Pastor Sieghard Wilm

Am 2. Juli ist es wieder so weit. Dann wird der Schlagermove über den Kiez ziehen, auch direkt vor meiner Haustür. Tausende von Feiernden werden auf der Reeperbahn erwartet. Endlich geht wieder was, nachdem dieser bunte Festumzug in den letzten beiden Jahren wegen Corona abgesagt werden musste.

Köln hat den Karneval, Hamburg seinen Schlagermove. Die einen mögen es, die anderen nicht. Für die einen ist es kitschig, für die anderen "Gänsehautfeeling pur". Mich erinnert der Schlagermove an meine Kindheit in den 70er Jahren. Große bunte Tapetenmuster, Glitzerwelt und hochgefönte Haare auf den Köpfen! Die Lieder von Abba, Heino und Udo Jürgens - und alle singen mit!

Sehnsucht nach Freiheit ist in jedes Herz gepflanzt

Ein Song von Udo Jürgens klingt jetzt schon in meinen Ohren, der auf keinem Schlagermove fehlen darf: "Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals auf Hawaii / Ging nie durch San Francisco in zerrissenen Jeans / Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals richtig frei / Einmal verrückt sein und aus allen Zwängen fliehen…"

Und wenn ich am Samstag die Schlagermove-Gemeinde dieses Lied singen höre, dann glaube ich Tausenden, dass sie etwas ganz Tiefes damit erleben: Da ist einer, der ausbrechen will, den Zwängen und der Routine des Alltags entkommen will: "Einmal verrückt sein und aus allen Zwängen fliehen." Wer kann das nicht verstehen? Die Sehnsucht nach Freiheit ist tief in jedes Herz gepflanzt.

So leben, dass der Alltag nach Freiheit schmeckt

Ich glaube, dass Gott ein Liebhaber des Lebens ist und will, dass wir Menschen Freiheit atmen und Zwänge sprengen. Aber das Verrückte an diesem Song von Udo Jürgens ist, dass der Typ, der da ausbrechen will und sich nach New York, Hawaii und San Francisco träumt, am Schluss dann doch zu seiner Frau nach Hause zurückkehrt. Was jetzt? Ist der Befreiungsversuch gescheitert? Kehrt da einer zurück in den alten Trott? Ich denke nicht. Der Gute ist freiwillig zurückgekehrt ins heimische Wohnzimmer. War eben nur mal Luft schnappen, weiß aber eigentlich, wo sein Platz ist. Wo eine auf ihn wartet. Doch jetzt fühlt es sich nicht mehr wie Zwang an, sondern wie Freiheit.

Von Udo Jürgens lerne ich: Einfach abhauen, so einfach ist das nicht. Aber manchmal müssen wir mal verrückte Sachen machen, damit der Alltag wieder nach Freiheit schmeckt.

Dieses Thema im Programm:

Kirche im NDR | 01.07.2022 | 09:40 Uhr

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