Stand: 28.09.2015 14:26 Uhr

Welche Folgen hat der VW-Skandal für Deutschland?

Abgas-Skandal, Aktien-Absturz, Winterkorn-Abgang: VW hat heftige Tage hinter sich. Wer hat wann vom Einsatz der betrügerischen Software gewusst, die bei VW-Dieselautos die Abgaswerte geschönt hat?

Ein Kommentar von Heike Göbel, Ressortleiterin Wirtschaft bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"

Nach dem dramatischen Machtkampf im Frühjahr der Absturz im Herbst: Volkswagen und Wolfsburg kommen nicht zur Ruhe. Die so ertragreiche Ära des Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn, die der Aufsichtsrat vergangenen Freitag eigentlich um drei Jahre verlängern wollte, ist durch einen gigantischen Betrugsskandal abrupt beendet worden. Der Autohersteller, der gute Chancen hatte, in diesem Jahr erstmals mehr Fahrzeuge als der weltführende Rivale Toyota zu verkaufen, musste eingestehen, die Abgaswerte seiner Dieselautos in den offiziellen Tests systematisch manipuliert zu haben. Das Eingeständnis schickte den Aktienkurs 40 Prozent in die Tiefe. Winterkorn übernahm die Verantwortung für das Debakel, auch wenn er beteuert, nichts gewusst zu haben.

Die Ausläufer des Schocks haben die Autobranche mitten in ihrem Hochamt erfasst: der mit großem Aufwand und Glanz zelebrierten Automesse IAA in Frankfurt. Statt um die saubere digitale Zukunft im selbstfahrenden Auto, dreht sich plötzlich alles wieder um den schmutzigen Diesel der Gegenwart. Nicht nur Volkswagen muss sich erklären. Denn die Offenbarung  der Wolfsburger, man habe bestimmte Normwerte gar nicht mit deutscher Ingenieurskunst erreicht, sondern mit einer Software, die falsche Testergebnisse liefert, wirft unweigerlich die Frage auf: War es wirklich nur Volkswagens Unvermögen, oder hat auch die Konkurrenz getrickst?

Die anderen Autohersteller haben sich beeilt, ihre Unschuld zu beteuern. Aber so schnell wird man auch ihnen die behauptete Umweltfreundlichkeit nicht mehr abnehmen. Die VW-Affäre hat eine neue Debatte über die Testverfahren ausgelöst, die auch dem letzten Autofahrer die Augen öffnen wird, wie weit die auf dem Prüfstand erzielten Ergebnisse von seiner Wirklichkeit im Stadtverkehr oder auf der Autobahn entfernt sind.

Wer jetzt nach besseren staatlichen Kontrollen ruft, sollte sich klarmachen, dass die Politik ebenfalls am Pranger steht. Ob in Amerika oder  Europa: Hinter den Versuchen, der Autoindustrie in rasantem Tempo immer striktere Abgasnormen  aufzuzwingen, verbergen sich auch andere Absichten als das hehre Ziel des Klima- und Umweltschutzes. Teils dienen die Vorgaben der Protektion der eigenen Autohersteller, in jedem Fall will man die Wähler  beeindrucken mit Abgaswerten, die am Steuer nicht zu erreichen sind. Das muss irgendwann an Grenzen stoßen. Technisch ist noch sehr vieles machbar, entscheidend aber ist, wofür der Massen-Kunde am Ende auch zahlt.   

Als mit einer Sperrminorität versehener Eigentümer von Volkswagen sitzt die Politik zudem gerade bei VW direkt mit im Boot. Immer wieder war vor den Kameras diese Woche vor allem der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zu sehen, neben dem amtierenden Aufsichtsratsvorsitzenden Berthold Huber, dem früheren Chef der mächtigen IG Metall. Eher im Hintergrund hielt  sich der Vertreter der Haupteigentümer, der Familien Piëch und Porsche. Volkswagen ist ein Konzern, in dem Politik und Gewerkschaften traditionell gemeinsame Sache machen. Die Politik schützt den Konzern, weil seine Erträge dem Landeshaushalt helfen und weil zufriedene Mitarbeiter womöglich auch zufriedene Wähler sind. Das gibt den Gewerkschaften über den Betriebsrat eine außergewöhnlich starke Stellung, weshalb der Konzern seit Jahren zu hohe Personalkosten und zu geringe Flexibilität des Stammpersonals durch Innovationen und Einsparungen an anderer Stelle auszugleichen sucht. Vielleicht liegt auch hier eine Triebfeder für die Manipulationen.    

Die Hoffnung richtet sich nun auf Matthias Müller, den höchst erfolgreichen Porsche-Chef. Porsche gehört als eine von zwölf Marken zu VW, Müller ist lange im Konzern, trotzdem gilt er in diesem Skandal als unbelastet. Vor Müller liegen schwere Monate. Dies nicht nur, weil wohl auch in der zweiten und dritten Ebene wichtige Mitarbeiter im Zuge des Skandals ihren Hut nehmen müssen. Die Marke Volkswagen hat durch den vorsätzlichen Betrug in wenigen Tagen einen enormen Image-Schaden erlitten, dessen Folgen noch nicht zu ermessen sind. In Amerika haben belogene Kunden die ersten Klagen gegen den Konzern eingereicht, Anwälte bereiten die gefürchteten teuren Sammelklagen vor. Das zwingt den, am Umsatz gemessen,  größten deutschen Konzern zu Rückstellungen in Milliardenhöhe.

Teure Rückrufaktionen zeichnen sich ebenfalls ab. Um die Fahrzeuge wieder ehrlich zu machen, werden sie womöglich  nachgerüstet. Doch erst diesen Montag will VW endlich Listen veröffentlichen, aus denen hervorgeht, um welche Autotypen es sich handelt. Der Bundesverkehrsminister hat aber schon die schlechte Botschaft verkündet, dass nicht nur der amerikanische Markt betroffen sei, sondern auch der europäische. Die Rede ist von 11 Millionen Fahrzeugen.

Aber natürlich wird sich die Öffentlichkeit auch nach diesem Skandal schneller wieder beruhigen als es in der ersten Aufregung den Anschein hat. Wer redet noch von Toyotas klemmenden Gaspedalen, die vor einigen Jahren angeblich sogar Menschenleben gekostet haben? Verbandschefs, die wie Industriepräsident Ulrich Grillo meinen, sich nun öffentlich "vor die deutsche Industrie" und die Wertarbeit des "Made in Germany" stellen zu müssen, befördern die allgemeine Hysterie eher. Genauso überflüssig sind apokalyptische  Warnungen von Ökonomen, die schon die ganze deutsche Exportindustrie in Mitleidenschaft sehen.  

Volkswagen ist ein sehr großer Konzern mit einem sehr großen Problem, die deutsche Wirtschaft repräsentiert er nicht.

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Martin Winterkorn © imago/DeFodi

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NDR Info | Kommentar | 27.09.2015 | 09:25 Uhr