Stand: 27.11.2014 09:12 Uhr

Auf den Spuren einer verschwundenen U-Bahn

Bombentreffer bei "Operation Gomorrha"

Die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg läuten dann das Ende der U-Bahn-Linie ein - auf den Tag genau 28 Jahre nach der Eröffnung. Am späten Abend des 27. Juli 1943 gibt es Luftalarm. Um 1 Uhr nachts beginnt die Bombardierung im Zuge der mehrtägigen "Operation Gomorrha" der Alliierten. Getroffen werden auch die Stadtteile Hammerbrook und Rothenburgsort, ein Feuersturm richtet enorme Schäden an. Innerhalb weniger Stunden kommen Zehntausende Bewohner der Stadtteile rund um die Zweiglinie ums Leben.

Buch-Tipp

Viele Informationen über die ehemalige U-Bahn-Linie nach Rothenburgsort bietet der Band "Hamburgs dunkle Welten. Der geheimnisvolle Untergrund der Hansestadt" von Ulrich A. Christiansen. Das Buch erscheint im Frühjahr 2015 in dritter, aktualisierter Auflage.

Auf der Hochbahn-Strecke fuhr nie wieder ein Zug. Denn auch nach Kriegsende wird der Betrieb nicht wieder aufgenommen - zu groß sind die Schäden und zu klein die Fahrgastzahlen. Zudem sind die Wohngebiete in Hammerbrook und Rothenburgsort größtenteils zerstört. Sie werden auf Jahre hinaus zum Sperrgebiet erklärt, eine Mauer schottet die Gegend ab. Die letzten Trümmer werden erst mehr als zehn Jahre nach Kriegsende beseitigt.

Abbau in den 1950er-Jahren

Erst im März 1951 beginnt die Hochbahn damit, die Strecke abzubauen - zuvor hat sie alle Energie darauf verwendet, die anderen kriegsbeschädigten U-Bahn-Linien im Stadtgebiet zu reparieren. Als Erstes nehmen sich die Abriss-Arbeiter das Viadukt am Nagelsweg vor, im Juli 1951 wird die Haltestelle Süderstraße abgetragen. Im "Hamburger Echo" ist am 21. Juli zu lesen: "Die letzte Bahn ab Hauptbahnhof fuhr am 27. Juli 1943. Die folgende Nacht zerriß das Band vom Gestern zum Morgen, und von diesem Augenblick an lagen die Bahnhöfe verödet, erstarb auf den Gleisen das gleichförmige Rollen der Räder, erstarrten die Signale, und zwischen dem Schotter des Unterbaues, zwischen den Betonritzen der Bahnsteige suchte sich das Gras kümmerlichen Nährboden. So blieb es fast acht Jahre." Die Bahnhofshallen werden nicht verschrottet, sondern verkauft - etwa als Gewächshaus.

Tunnel: Luftschutzbunker und Museumslager

Das erhaltene Tunnelstück der früheren U-Bahn-Linie nach Rothenburgsort © NDR.de Foto: Marc-Oliver Rehrmann
Der einzige Tunnel der U-Bahn-Linie ist noch erhalten. Lange Zeit dient er als Aktenlager, seit einigen Jahren steht er nun leer.

Der Tunnelschacht hingegen hat lange noch nicht ausgedient. Weil ab Sommer 1943 keine Züge mehr durch den Tunnel rollen, kann die Stadt ihn zeitweilig als provisorischen Luftschutzbunker nutzen. Aber schon 1944 wird dies verboten, da die Einsturzgefahr infolge von Bombeneinschlägen zu groß ist. Später lagert das nahegelegene Zoologische Museum einzelne Sammlungsstücke im Tunnel ein. Der Legende nach sind darunter mit Alkohol gefüllte Glasbehälter, in denen Tier-Präparate aufbewahrt werden. Der kürzlich verstorbene Schriftsteller Siegfried Lenz hat dem Alkohollager im U-Bahn-Tunnel ein Denkmal gesetzt: In "Lehmanns Erzählungen - So schön war mein Markt" berichtet ein Schwarzhändler stolz, wie er nach dem Krieg ausreichend Schnaps für eine Siegesfeier der Alliierten besorgt, indem er "Reptilien und Frösche von ihrer Alkoholumhüllung befreit" und sie "vergnüglicheren Zwecken" zuführt.

Letztes Kapitel als Aktenlager

Nach dem Krieg wird der Tunnel zunächst als Lager und Verladestation für Lebensmittel benutzt - bis 1949. Über eine Rampe werden beispielsweise Kartoffeln eingelagert. Im Tunnel ist bis heute der Unterbau für das entsprechende Transportband zu erkennen. Ein Teil der Gleise war bereits 1943 ausgebaut worden, um mit ihnen Schadstellen im übrigen Netz der Hamburger Hochbahn zu beheben. Die letzten Gleise im Tunnel werden dann 1954 zurückgebaut. Der Bau der U1 in Richtung Wandsbek bringt es 1958 mit sich, dass der Tunnel vom übrigen U-Bahn-Netz abgetrennt wird und seitdem eine Sackgasse ist. Später nutzt die Volksfürsorge (heute: Generali) die unterirdischen Räume als Aktenlager, bis sie Ende 2005 den Großteil des Archivs auflöst. Der restliche Tunnel steht nun leer, nur einige Fernwärmerohre verlaufen dort seit einigen Jahren.

100-jähriges Jubiläum im nächsten Sommer

Und so wird der Tunnel auch das 100-jährige Jubiläum der Inbetriebnahme der Rothenburgsort-Linie im Dornröschenschlaf verbringen. Dabei müsste man das Jubiläum im kommenden Jahr eigentlich feiern, findet Karsten Leiding. Er bereitet schon sein ganz persönliches Ständchen vor: eine Ausstellung über die wechselvolle Geschichte der verschwundenen U-Bahn-Linie.

Karte: Der Verlauf der U-Bahn nach Rothenburgsort

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Dieses Thema im Programm:

die nordstory | 20.03.2015 | 20:30 Uhr

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