Stand: 08.08.2011 14:14 Uhr

Vergessener Nazi-Bunker erstmals zu besichtigen

Ein Raum für "Onkel Baldrian"

Hamburgs NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann bei einer Rede © dpa/ Picture-Alliance
Mit Gewalt setzte Kaufmann die Herrschaft der Nationalsozialsiten in Hamburg durch, in Teilen der Bevölkerung war er dennoch beliebt.

Der Bunker ist schnell durchschritten. Die Grundfläche ist kaum größer als ein Tennisplatz. Der wichtigste Raum war der Stabsraum, der als eine Art Kommandozentrale diente. In der Mitte stand ein großer Tisch für Kartenmaterial. Hier trafen die Nazi-Funktionäre ihre Entscheidungen. Wenige Schritte entfernt - in einem kleinen Raum - stand für Reichsstatthalter Kaufmann ein Bett bereit, auch für seinen Vertrauten Georg Ahrens war ein Mini-Zimmer vorgesehen. "Viele Hamburger kannten die Stimme von Ahrens. Denn er las im Rundfunk die Meldungen nach Luftangriffen vor, weil er eine so beruhigende Stimme hatte", erzählt Rossig. Ahrens' Spitzname im Volksmund lautete deshalb: Onkel Baldrian.

Vor den beiden Bunker-Ausgängen ist jeweils eine Schleuse eingebaut - für den Fall, dass die Atemluft draußen verseucht war. An einer schweren Türen steht: "Danger. No smoking". Also: Gefahr. Nicht rauchen! Die Schrift ist ein Überbleibsel aus der Nachkriegszeit. Zunächst nutzten die britischen Besatzer die Anlage bis Mitte der 1950er-Jahre weiter: erst als Lazarett, dann als Offizierscasino. In der Zeit des Kalten Krieges, als Luftschutzräume für die Bevölkerung im Falle eines Atomwaffen-Abwurfs gesucht wurden, spielte der "Kaufmann-Bunker" keine Rolle. "Weil es ein militärischer Bau war, verbat sich eine zivile Nutzung", weiß Rossig.

Spitzname "Kuddel" für den Gauleiter

Wie oft im Monat Bunker-Führungen angeboten werden, steht noch nicht fest. "In der Anfangsphase werden wir sicherlich mehrere Termine am Wochenende anbieten", verspricht Rossig. Eines ist ihm besonders wichtig: Es gehe nicht allein um das Bauwerk. "Wir wollen auch über die Person Karl Kaufmann aufklären." Denn viele Hamburger sind bis heute der Meinung, dass der Reichstatthalter ein "guter Nazi" gewesen sei, der Hamburg zum Kriegsende vor dem Untergang bewahrt habe. Kaufmanns Kosename in der Bevölkerung lautete "Kuddel Kaufmann".

Das Märchen vom "guten Nazi"

Historiker wie der Kaufmann-Experte Frank Bajohr von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg bemühen sich seit Jahren darum, das Bild von Kaufmann gerade zu rücken. Von 1933 bis 1945 häufte Kaufmann eine "außerordentliche Machtfülle" an. "Er kann geradezu als Hamburgs 'Führer' bezeichnet werden", sagte Bajohr im Interview mit NDR.de. "Besonders unrühmlich hat er sich bei der Deportation der Juden hervorgetan." Im September 1941 wandte Kaufmann sich nach einem schweren Luftangriff persönlich an Hitler, um die noch in Hamburg lebenden Juden abtransportieren zu lassen. Auf diese Weise sollte Wohnraum für ausgebombte "Volksgenossen" freigemacht werden.

Kaufmann lebte nach dem Krieg weiter in Hamburg, verurteilt wurde er für seine Verbrechen nie. 1969 starb er in der Hansestadt als gut situierter Bürger. Auch um diese Geschichte soll es also bei den einstündigen Führungen durch den Bunker gehen. So hält der schmucklose Bau die Erinnerung an die Gräuel der NS-Zeit in Hamburg wach.

Karte: Die Lage des "Kaufmann-Bunkers" in Hamburg

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | 19.12.2016 | 06:30 Uhr

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