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Wie Hamburger Arbeiter gegen Hitler kämpften

Stand: 14.10.2022 15:50 Uhr

Hunderte Arbeiter in Hamburg sabotieren während des Zweiten Weltkriegs das NS-Regime und vernetzen sich dafür. Zu einer der größten Gruppen gehören Bernhard Bästlein, Franz Jacob und Robert Abshagen. Sie werden hingerichtet - wie viele andere auch.

von Kristina Festring-Hashem Zadeh

"Nach Mitteilung der Stapoleitstelle Hamburg wurden in der Nacht vom 2. zum 3. September 1942 bei der Firma 'Vereinigte Deutsche Metall-Werke A.G.' in Hamburg 7 Feuerwehrschläuche vorsätzlich beschädigt. Die Schläuche [...] wurden mit einem scharfen Gegenstand an mehreren Stellen eingeschnitten und unbrauchbar gemacht. Die Ermittlungen nach dem Täter waren bisher ergebnislos."

Eine Reihe von Sabotageakten in kriegswichtigen Unternehmen beschäftigt die Geheime Staatspolizei (Gestapo) im Hamburg der 1940er-Jahre. Immer stärker breitet sich unter den Arbeitern in der Hansestadt Widerstand gegen das Nazi-Regime aus. Mehrere Aktionsgruppen versuchen, die Bevölkerung durch illegale Flugblatt-Aktionen über Hitlers Machenschaften aufzuklären. Die größte von ihnen, der zeitweise 300 Mitglieder angehören, wird Anfang Dezember 1941 im Arbeiterstadtteil Barmbek gegründet. Bernhard Bästlein, Franz Jacob und Robert Abshagen treffen sich mit einigen Gleichgesinnten in Abshagens Wohnung in der Wachtelstraße 4. Sie alle sind Kommunisten, sie alle haben deshalb die vergangenen Jahre in Zuchthäusern und im Konzentrationslager Sachsenhausen verbracht. Doch die Zeit der Gefangenschaft hat sie nicht gebrochen - im Gegenteil.

Organisation in "Dreierzellen"

Bästlein, vor der Machtergreifung der Nazis KPD-Mitglied in der Bürgerschaft, hat einen Plan erarbeitet, wie der organisierte Kampf gegen das Regime aussehen soll. Demnach sollen in mehr als 30 Hamburger Großbetrieben und Werften Widerstandskämpfer in mehreren Kleinstgruppen von je drei Mann agieren. Sie sollen die Belegschaft über den Terror der Nationalsozialisten aufklären und heimlich die Arbeit sabotieren, um so die Rüstungswirtschaft zu schwächen. Zu ihrem eigenen Schutz dürfen die Mitglieder verschiedener "Dreierzellen" innerhalb eines Betriebs untereinander keinen Kontakt haben. Stattdessen sollen sie sich über einen Verbindungsmann mit der zentralen Leitung der Organisation direkt austauschen.

"Sorgt für langsames und qualitativ schlechtes Arbeiten!"

Bästlein wird zum politischen Leiter der Hamburger Widerstandsgruppe bestimmt und übernimmt die politische Schulung der Genossen. Franz Jacob, ebenfalls ehemaliger KPD-Bürgerschaftsabgeordneter, zeichnet für Agitation und Propaganda verantwortlich. Er besorgt heimlich Schreibmaschinen, Kopierapparate, Papier und Ähnliches. Die Flugblätter schreiben er und weitere Genossen vorwiegend in einem Atelier über dem Restaurant "Tuskulum" am Rödingsmarkt, das ihnen eine Sympathisantin zur Verfügung stellt.

Literatur zum Widerstand gegen das NS-Regime in Hamburg

Bis heute erhalten ist ein von Jacob verfasstes "Merkblatt für Bauarbeiter", das die Widerstandskämpfer an Arbeiter verteilten, die von den Nazis in den Osten oder nach Norwegen geschickt werden. Darin heißt es: "Stört den planmäßigen Aufbau der Befestigungsbauten! Sorgt für langsames und qualitativ schlechtes Arbeiten! Sabotiert die deutsche Kriegsführung!"

Robert Abshagen zeichnet sich besonders durch organisatorisches Talent aus. Als "Netzwerker" baut er Verbindungen zu weiteren Widerstandsgruppen auf, vorwiegend an der Waterkant in Kiel, Flensburg, Lübeck, Rostock und Bremen, aber auch in anderen Teilen Deutschlands.

Tabakwaren-Kiosk wird zur Info-Zentrale

Alle zwei bis drei Wochen treffen sich die Mitglieder der Leitung zu Lagebesprechungen in verschiedenen Wohnungen von Widerstandskämpfern oder in dem Atelier am Rödingsmarkt. Ein Tabakwaren-Kiosk auf dem Rathausmarkt wird zur "Informationszentrale". Dort arbeitet ein Mitglied der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe als Verkäufer und übermittelt beim Handel mit Zigaretten die Botschaften - ohne selbst zu wissen, was sie eigentlich bedeuten. "Offiziell wurde ich nie über ihre Tätigkeiten eingeweiht", wird der Kiosk-Mitarbeiter nach Kriegsende in einem Bericht zitiert. "Ich habe auch nie nach näheren Zusammenhängen gefragt, denn was man nicht weiß, kann man auch unter ungünstigen Verhältnissen nicht aussagen." Die Aufträge sind verklausuliert und lauten dem Verkäufer zufolge etwa so: "Franz kommt doch auch hier, nicht? Sag ihm doch bitte einen schönen Gruß von Walter und er möchte am Montag die Karre wieder abholen."

Dummstellen als Methode

Reiherstieg und Deutsche Werft im Hamburger Hafen © picture-alliance / akg-images
Viele Widerstandskämpfer sind in der NS-Zeit auf den Hamburger Werften aktiv - und sabotieren beispielsweise den Bau von Kriegsschiffen.

Die Aktivitäten der Widerstandskämpfer sind so geheim wie gefährlich. Sabotage gilt bei den Nazis als Landesverrat. Doch die Arbeiter sind überzeugt und ideenreich. Plötzlich laufen Maschinen nicht mehr, weil zentrale Schrauben fehlen oder der sprichwörtliche Sand ins Getriebe gelangt ist. Auch die Elbe schluckt zahlreiche Schweißmaschinen und Sauerstoffflaschen. Einige Beschäftigte melden sich immer wieder krank oder verhalten sich, als seien sie für die verlangte Tätigkeit unfähig - wie beispielsweise Arbeiter auf der Deutsche Werft, die Handels- in Marineschiffe umbauen sollen: "Wir erhielten die Aufträge und schnitten das Material zu. Beim Zusammensetzen passten dann die einzelnen Teile nicht zueinander", berichtet einer von ihnen später.

Illegale Sammlungen für Zwangsarbeiter

Zudem verbünden sich die Mitglieder der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe mit den vielen Zwangsarbeitern, die in den Hamburger Betrieben schuften, ebenso wie mit ausländischen Kriegsgefangenen. Sie starten illegale Sammlungen in der Bevölkerung, um die Gefangenen des Regimes mit Lebensmitteln, Rauchwaren und Kleidung zu versorgen. Einigen politischen Häftlingen im KZ Neuengamme versuchen sie, zur Flucht zu verhelfen - doch ohne Erfolg.

Antifaschistische Feldpost für Soldaten

Ein weiteres Ziel der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe ist es, die deutschen Soldaten zum Umdenken zu bewegen. Im Sommer 1942 starten sie eine große Feldpost-Aktion - die Kontaktdaten spielt ihnen ein sympathisierender Postbeamter zu, der beim Hauptpostamt am Hühnerposten heimlich die Adressen der Soldaten abschreibt. In den Briefen führen die Widerstandskämpfer den Soldaten die Sinnlosigkeit des Krieges vor Augen und appellieren an ihr Verantwortungsbewusstsein. Auch in Kiel finden die Matrosen auf einem auslaufenden Kriegsschiff Post der Antifaschisten in ihren Kojen.

Bästlein und Jacob fliehen nach Berlin

Mit Hochdruck suchen die Nazis nach den Urhebern der Widerstandsaktionen - und sind am Ende erfolgreich. Im Oktober 1942 werden Bästlein, Abshagen und viele weitere Genossen in Hamburg verhaftet, gefoltert und ins Gefängnis geworfen. Abshagen wird im Rahmen der "Hamburger Kommunistenprozesse" wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" und "Feindbegünstigung" zum Tode verurteilt. Im Juli 1944 wird er enthauptet.

Bästlein wird zwischenzeitlich in eine Berliner Strafanstalt verlegt - und kann fliehen, als das Gefängnis bei einem Luftangriff im Januar 1944 getroffen wird. In Berlin trifft er den ebenfalls dort untergetauchten Jacob wieder, sie engagieren sich weiter im Widerstandskampf. Noch Ende Mai schreibt Bästlein seiner Frau Johanna: "Der Krieg geht mit Riesenschritten seinem Ende entgegen und ich will meinen Teil dazu beitragen. Ob ich das Ende erleben werde, vermag ich natürlich nicht zu sagen, aber schön wäre es."

Letzte Ruhe auf Ehrenhain in Ohlsdorf

Sein Wunsch bleibt unerfüllt. Ende Mai 1944 spürt die Gestapo Bästlein und Jacob bei einem Treffen mit anderen Kommunisten auf. Im September werden auch sie hingerichtet. Ihre Urnen werden 1946 nach Hamburg überführt und dort am 8. September gemeinsam mit denen von 25 weiteren Hingerichteten auf dem "Ehrenhain Hamburger Widerstandskämpfer" auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet. Erst ein Jahr später folgt die Urne Abshagens, dessen Leiche in einem Massengrab bei Kiel gefunden und eingeäschert worden ist.

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 27.01.2013 | 19:30 Uhr

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