Stand: 18.07.2020 06:00 Uhr

Aus vier Dörfern wird eine Stadt: 50 Jahre Norderstedt

Bilder von früher im Vergleich mit Fotos von heute - möglichst aufgenommen von derselben Position: Das ist das zentrale Element der Serie "Schleswig-Holstein früher und heute". So wollen wir den Wandel der Städte im nördlichsten Bundesland dokumentieren. Ein interaktiver Foto-Vergleich macht das besonders deutlich.

von Sabine Alsleben

Vier Dörfer in den Kreisen Pinneberg und Stormarn wachsen zu einer Stadt zusammen - und zwar im Kreis Segeberg. Das ist die Geschichte von Norderstedt, mit knapp 80.000 Einwohnern Schleswig-Holsteins fünftgrößte Stadt. Am 1. Januar 1970 wurde aus den Dörfern Garstedt, Friedrichsgabe, Glashütte und Harksheide offiziell die Stadt Norderstedt - das Ergebnis jahrelanger Planungen. "Schon 1953 wurde die Fördergesellschaft Norderstedt gegründet", erzählt Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder (SPD): "Erst viele Jahre später wurde per Gerichtsurteil das Datum 1.1.1970 beschlossen und auch entschieden, dass die neue Stadt Norderstedt dem Kreis Segeberg zugeschlagen wird."

Landwirtschaftlich geprägte Garstedter Feldstraße in Norderstedt um 1950. © Stadtarchiv Norderstedt Foto: Stadtarchiv Norderstedt Aktuelles Bild der Garstedter Feldstraße in Norderstedt mit dem Heroldcenter. © NDR Foto: Sabine Alsleben

Die Ursprungsgemeinden waren geprägt von Landwirtschaft und Feldern, wie hier 1920. Nach der Stadtgründung hat sich die Garstedter Feldstraße mit den Jahren in diesem Bereich zur vielbefahrenen Berliner Allee verwandelt. Sie führt am Herold Center mit der U-Bahn-Station Garstedt vorbei.

50 Jahre, 50 Feste - so war es geplant

In diesem Jahr nun sollte der runde Geburtstag groß gefeiert werden. 50 Jahre - 50 Feste. Die Überlegungen dafür liefen schon einige Jahre, im März 2019 wurde es dann offiziell politisch beschlossen. Die Organisation hat die stadteigene Stadtpark GmbH übernommen. Eine der Verantwortlichen dort ist Eva Reiners: "Wir wollten von Anfang an groß feiern. Eben nicht nur einmal groß, sondern das ganze Jahr über. Wir wollten, dass sich viele Menschen aus dieser Stadt engagieren können, damit eine hohe Identifikation mit der Stadt und mit den Festen entsteht."

Alte Aufnahme der Ulzburger Straße in Norderstedt mit dem Jugendzentrum. © Stadtarchiv Norderstedt Foto: Stadtarchiv Norderstedt Heutige Aufnahme der Ulzburger Straße in Norderstedt. © NDR Foto: Sabine Alsleben

Die Ulzburger Straße trennte früher die Kreise Pinneberg und Stormarn. Sie gilt noch heute als wichtigste Verkehrsader der Stadt, die auf einer Länge von mehr als 7,5 km die vier Ursprungsgemeinden verbindet. Auf dem Bild von 1994 befindet sich in dem rechten Haus ein Jugendzentrum. Das wurde inzwischen abgerissen.

Mehr als 300 Menschen engagierten sich

Eva Reiners von der Stadtpark GmbH sitzt an ihrem Schreibtisch und lächelt in die Kamera. © NDR Foto: Sabine Alsleben
Eva Reiners von der Stadtpark GmbH gehört zu den Hauptorganisatoren der Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag der Stadt Norderstedt.

Es folgte viel Arbeit. Vereine, Institutionen und Einrichtungen wurden kontaktiert, Zwölf-Stunden-Tage waren keine Seltenheit. Eva Reiners glaubt, dass insgesamt bestimmt mehr als 300 Menschen involviert waren. "Da haben sich so unglaublich viele Leute engagiert. Es war so toll, dass sich so viele Menschen für dieses Thema begeistert und an einem Strang gezogen haben und bereit waren, ihre Freizeit und Energie da rein zu stecken."

Vollbremsung kurz nach dem Start der Events

Irgendwann stand dann der Zeitplan, bestehend aus kleineren Veranstaltungen wie Wohnzimmerkonzerten und Lesungen, bis hin zu größeren Konzerten, Ausstellungen, Stadtteilfesten und einem großen Jubiläumswochenende auf dem Rathausmarkt. Das Jahr 2020 begann vielversprechend mit dem Neujahrskonzert und einigen kleineren Veranstaltungen. Viele geplante Events waren schon ausverkauft.

"Wir waren in voller Fahrt und voller Euphorie", erzählt Eva Reiners: "Das hat zwar viel Energie gekostet, aber man hat auch unendlich viel Energie herausbekommen. Und dann sind wir gefühlt voll ausgebremst worden."

Der Poehlshof im Friedrichsgaber Weg in Norderstedt um 1920. © privat Der heutige Friedrichsgaber Weg in Norderstedt. © NDR Foto: Sabine Alsleben

Früher eine einfache Dorfstraße, kreuzt der Friedrichsgaber Weg heute die Rathausallee und ist damit eine wichtige Kreuzung in Norderstedt-Mitte. 1994 entstand dort die Seniorenwohnanlage "Pöhlshof" - rundherum wurden viele Mehrfamilien- und Reihenhäuser gebaut.

Bis zum 31.8. wurde alles abgesagt

Denn dann kam Corona. Anfang März waren sich die Organisatoren der Stadtpark GmbH der Tragweite noch nicht bewusst. Zuerst wurden die Veranstaltungen abgesagt, die direkt bevorstanden, zum Beispiel die Sportlerehrung. Dann folgten Gespräche mit Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder. "Als dann der Beschluss vom Land kam, dass Großveranstaltungen bis zum 31. August nicht stattfinden dürfen, war klar: Das war's", erzählt Eva Reiners.

Verlegung ins Internet schnell verworfen

Auch wenn einige der Events vielleicht nicht unter dem Titel "Großveranstaltung" gelaufen wären, entschieden sich die Organisatoren, alle Termine bis dahin abzusagen. "Natürlich haben wir überlegt, einige Events ins Internet zu verlegen. Aber das wäre nicht das Gleiche gewesen", sagt Reiners. "Wir wollten ja, dass die Leute zusammenkommen, sich begegnen und etwas gemeinsam erleben. Das wäre zu Hause vor dem Laptop komplett das Gegenteil."

Bau des Norderstedter Rathauses um 1984. © Stadtarchiv Norderstedt Foto: Stadtarchiv Norderstedt Das Rathaus von Norderstedt. © NDR Foto: Sabine Alsleben

Nach der Stadtgründung 1970 entsteht mit "Norderstedt-Mitte" ein neues Stadtzentrum. 1984 wird das neue Rathaus eröffnet. In dem großen Gebäudekomplex befinden sich heute die Verwaltung, Bücherei, VHS und die "TriBühne" als Veranstaltungsort.

Für alle eine ungewohnte Situation

Für Eva Reiners selbst war und ist das alles ziemlich unwirklich. "Ich habe das nicht kommen sehen. Natürlich hat man verfolgt, wie sich die Corona-Infektionen in China entwickelt haben. Aber wie sich das Leben von heute auf morgen komplett verändern kann - das war mir in dem Maße echt nicht bewusst. Das war irgendwie, wie vor eine Wand gefahren zu werden. Ich musste überlegen: Ist das jetzt real? Was heißt das jetzt?"

Parallel musste Eva Reiners natürlich auch ihr Privatleben regeln, die Kinder waren zu Hause. Plötzlich konnte sie nicht alles so zeitnah abarbeiten, wie sie es eigentlich wollte. "Aber das war ja für alle eine neue Situation."

Im Hintergrund die Moorbekpassage Norderstedt um 1985, im Vordergrund fährt eine Straßenbahn durch das Bild. © Stadtarchiv Norderstedt Foto: Stadtarchiv Norderstedt Die heutige Moorbekpassage in Norderstedt-Nord. © NDRSabine Alsleben Foto: Sabine Alsleben

Nach der Stadtgründung wächst Norderstedt-Mitte. Auf dem Bild von 1985 fährt die AKN noch oberirdisch. Die Moorbekpassage ist auch heute noch Einkaufsort. Außerdem haben sich dort verschiedene Ärzte niedergelassen.

Rückabwicklung dauert bis heute

So mussten sich die Organisatoren hinsetzen und alle Beteiligten informieren. Eva Reiners erinnert sich an die Gespräche: "Viele Leute waren traurig, aber wirklich alle hatten großes Verständnis dafür, dass man es in dieser Situation einfach so machen muss." Es folgten wieder lange und arbeitsintensive Tage für die Stadtpark GmbH. Telefonate wurden geführt, E-Mails ausgetauscht, Planungen rückabgewickelt. Teilweise wurden auch schon Leistungen erbracht, die bezahlt werden mussten. Diese Arbeit dauert bis heute an.

Einige Veranstaltungen werden nachgeholt

Für die Feierlichkeiten war von der Stadt ein Budget von 900.000 Euro bereitgestellt worden. Einiges wurde schon investiert. Zum Beispiel in das Programmheft, das an jeden Haushalt in Norderstedt ausgeliefert wurde. Einige Veranstaltungen hatten bereits stattgefunden, andere waren in den Planungen schon weit vorangeschritten. Nach aktuellem Stand sollen unter anderem die Stadtteilfeste im kommenden Jahr nachgeholt werden und auch der "Tanz über den Dächern", eine Veranstaltung für Jugendliche.

Hof Lüdemann in den 1980er Jahren. © Stadtarchiv Norderstedt Foto: Stadtarchiv Norderstedt Feuerwehrmuseum Schleswig-Holstein im ehemaligen Hof Lüdemann. © NDR Foto: Sabine Alsleben

Nach rund 200 Jahren landwirtschaftlichen Betriebs steht der Hof Lüdemann in den 1980er-Jahren leer. Sieben Jahre später wird der "Förderverein Feuerwehrmuseum Hof Lüdemann" gegründet. Die Exponate aus einer privaten Sammlung und aus einem geschlossenen, privaten Feuerwehrmuseum in Neumünster bilden den Grundstock für das neue Feuerwehrmuseum SH, das 1990 eröffnet wird.

Geld fließt in Sonderfonds der Stadt

Ursprünglich gab es auch die Idee, das große Jubiläumswochenende auf dem Rathausmarkt nachzuholen. Auf Antrag der CDU wurde dieser Plan aber gekippt - stattdessen fließt das dafür vorgesehene Geld in den Sonderfonds für Vereine aus der Kultur, dem Sport, der Jugendhilfe und dem Sozialen. "Das fand ich toll, dass die Politik sich da schnell einig war und eine Entscheidung getroffen hat", sagt Eva Reiners. "Wir finden es natürlich gut, dass die Vereine unterstützt werden, auch wenn wir gerne noch mal gefeiert hätten."

Aufnahme des Norderstedter Stadtpark am See vor 2011. © Stadtpark GmbH Heutiger Stadtpark in Norderstedt mit Spielplätzen und Wasserskianlage. © Stadtpark GmbH

Der Norderstedter Stadtpark bestand vor 2011 aus brachliegenden Flächen, Wiesen und zwei getrennten Seen. Für die Landesgartenschau 2011 wurde das Gelände komplett umgestaltet. Inzwischen ist der Stadtpark mit Spielplätzen und Wasserskianlage ein beliebtes Ausflugsziel und auch Veranstaltungsort.

"Organisation macht 125.000 Mal mehr Spaß"

Bei der Frage, ob das Organisieren oder das Absagen anstrengender war, muss Eva Reiners schmunzeln: "Organisieren ist natürlich viel aufwendiger, aber es bringt einfach 125.000 Mal mehr Spaß. Da kann es so anstrengend sein, wie es will. Wir tun uns eher schwerer mit den Absagen und dem Abwickeln. Klar hätte das Abwickeln, Dokumentieren und die Schlussrechnung auch so dazu gehört. Aber das macht man natürlich lieber, wenn man vorher schon etwas Tolles erlebt hat."

Weitere Informationen
Eine Vergleichsaufnahme von Lübeck, früher und heute. © NDR/Fotoarchiv Lübeck Foto: Katrin Bohlmann/Fotoarchiv Lübeck

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 14.01.2020 | 20:20 Uhr

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