Besucher warten vor dem Eingang zum Musikclub Onkel Pö.

Onkel Pö: Wo Lindenberg und Jarreau zu Stars wurden

Stand: 17.05.2021 08:58 Uhr

Die Onkel Pös Carnegie Hall war die angesagteste Musik-Kneipe Hamburgs. Viele zunächst unbekannte Musiker und Bands legten dort den Grundstein für ihre Karrieren.

von Sabine Leipertz

Ende der 60er-Jahre hat das Onkel Pö seinen Sitz noch im Mittelweg im Hamburger Stadtteil Pöseldorf und ist eine einfache Kneipe, in der sich nach der Schließung des Star-Clubs auch Musiker treffen. Mit einem riesigen Flügel mitten im Club beginnen allmählich die ersten Sessions mit wechselnden Musikern und diversen Stilrichtungen wie Jazz, Dixie, Rock und Pop. Als einer der ersten Gäste spielt der Jazz-Pianist Gottfried Böttger, der später die Rentnerband gründet, ab und an im Onkel Pö. Anfang Oktober 1970 zieht das Onkel Pö nach Eppendorf in den Lehmweg um - als offizielles Gründungsdatum gilt der 1. Oktober. Bernd Cordua holt sich Walter Dehnbostel als Partner mit ins Boot, der Kneipen-Charakter und das musikalische Programm bleiben, die Zahl der Gäste aber steigt stetig.

Szenetreff für Musiker und Manager

Das Onkel Pö wird zum Szenetreff. Hier treffen sich nicht nur die Stammgäste auf das eine oder andere Bier, sondern auch Leute von Plattenfirmen, Musik-Manager und Rundfunk-Redakteure, die schon "the next big thing" wittern. Nach und nach entsteht die sogenannte Hamburger Szene, gleichzeitig erlebt die Musikwelt ein Revival von New-Orleans- und Dixie-Sound. 1972 steigt Cordua aus, und Peter Marxen, der bis dahin als Kellner im Pö gearbeitet hat, übernimmt die Regie.

Lindenberg-Hit verhilft Onkel Pö zu Ruhm

Udo Lindenberg sitzt auf der Terrasse seiner Hamburger Wohnung und raucht eine Zigarette (Aufnahme vom 8. Juni 1974) © picture-alliance / dpa
"Bei Onkel Pö spielt 'ne Rentnerband", singt Udo in den 70ern - und die Fans strömen in die Kneipe, um ihn zu sehen.

Marxen kennt Udo Lindenberg, der schon Ende der 60er im Jazzhouse mit der Band Free Orbit aufgetreten ist. Lindenberg wird Stammgast im Onkel Pö und gründet 1973 mit Gottfried Böttger das Panikorchester. Udo hat seinen Stil gefunden und singt nun auf Deutsch. Im Juli erscheint das Album "Alles klar auf der Andrea Doria", das sich über 100.000 Mal verkauft, die gleichnamige Single wird zum ein Chart-Hit. Die Liedzeile "Bei Onkel Pö spielt 'ne Rentnerband seit 20 Jahren Dixieland" macht die Kneipe dann in ganz Deutschland berühmt. Von überall kommen die Fans und belagern den Club, um Udo zu sehen. Marxen, der gute Kontakte zur Jazz-Szene hat, nutzt nun die Popularität seines Clubs und holt Jazz-Größen wie Dizzy Gillespie, John Abercrombie, Chet Baker, Art Blakey, Don Cherry, Chick Corea, Steve Goodman, Pat Metheny oder Steve Lacy ins Onkel Pö.

Al Jarreau avanciert zum Jazz-Star in Deutschland

Al Jarreau bei einem Auftritt im Onkel Pö in den 70er Jahren. © picture-alliance / jazzarchiv Foto: Hardy Schiffler
Sein Auftritt im Onkel Pö am 12. März 1975 brachte Al Jarreau den Durchbruch in Deutschland.

In den 70er-Jahren beginnt der NDR, im Onkel Pö regelmäßig Live-Mitschnitte von Konzerten für den Rundfunk zu produzieren. Al Jarreau, der damals noch völlig unbekannt ist, spielt am 12. März 1976 - seinem 36. Geburtstag - vor rund 70 Leuten. Am zweiten Abend wird der Auftritt vom NDR live im Radio übertragen. Jazz-Redakteur Michael Naura sagt damals: "Wir haben in Europa auch nicht andeutungsweise ein solches Talent." Innerhalb von nur acht Monaten avanciert Jarreau zum Jazz-Star in Deutschland. Er erhält den Deutschen Schallplattenpreis als bester internationaler Nachwuchskünstler, eine Fernsehshow beim NDR und spielt unter anderem in der Hamburger Musikhalle vor 2.000 Fans. Bei den Jazztagen bejubelten ihn knapp 5.000 Besucher. Neben Lindenberg und Jarreau starten dann auch auch Helen Schneider und Otto Waalkes ihre Karrieren im Onkel Pö.

Joe Cocker bei Kerzenschein

Joe Cocker live in den 80er-Jahren. © picture alliance / Jazzarchiv
Spielt 1979 bei Kerzenschein mit Peter Urban am Lehmweg: der britische Sänger Joe Cocker.

Ende der 70er-Jahre will Marxen die Kultkneipe an eine Fast-Food-Kette verkaufen. Für Holger Jass, der damals nebenan wohnt, undenkbar. "Ich hatte drei Antiquitäten-Läden und dachte mir: Bevor ich meine Stammkneipe verliere, übernehme ich das Pö eben", erinnerte er sich vor einigen Jahren im Gespräch mit NDR.de. Am 1. Januar 1979 hat das Onkel Pö dann einen neuen Besitzer. Ab da finden auch Rockmusiker zunehmend ihren Weg in den Club am Lehmweg. "Manchmal brachten die Bands ihr Equipment in 20-Tonner-Sattelzügen mit", so Jass. "Wenn sie dann im Club standen, sagten sie 'Das ist ja nett hier, aber wo bitte ist die Bühne?' Ich konnte dann immer nur sagen: 'Ihr steht drauf.' Aber irgendwie ging's immer. Und für rund 300 Leute braucht man ja auch nicht so viel Power."

Ein Erlebnis ist Jass besonders in Erinnerung geblieben: "1979 gab Joe Cocker ein Konzert in Hamburg, irgendwann kam er dann in den Club, Peter Urban war auch dabei. Nun hatten wir aber im gesamten Viertel seit zehn Minuten keinen Strom und ich hatte Kerzen auf die Bar gestellt. Cocker wollte unbedingt noch spielen und sagte nur 'Klar kann ich spielen, auch ohne Strom'. Peter setzte sich dann ans Klavier und Joe sang vor circa 30 bis 40 Leuten, trank danach noch ein Bierchen und ging wieder. Und ein paar Minuten später hatten wir dann auch wieder Strom."

1981 spielen die irischen Rocker von U2 hier ihr erstes Deutschland-Konzert. Im Laufe der 80er-Jahre kommen auch NDW-Größen wie Trio oder Palais Schaumburg sowie die New-Wave-Band Talking Heads ins Pö.

Erste NDR Talk Show live aus dem Onkel Pö

Dagobert Lindlau in der NDR Talk Show am 30.01.1981. © NDR/Fred Fechtner Foto: Fred Fechtner
Dagobert Lindlau moderiert 1979 die erste NDR Talk Show im Onkel Pö.

Neben den musikalischen Highlights verbindet den Norddeutschen Rundfunk noch eine besondere Geschichte mit dem Onkel Pö: Am 9. Februar 1979 wird von dort die erste NDR Talk Show gesendet. Das Moderatoren-Kult-Trio Dagobert Lindlau, Wolf Schneider und Hermann Schreiber hat unter anderem Bundesminister Hans Apel zu Gast. Die Reaktionen der Zuschauer und Kritiker sind jedoch verhalten. Bereits zur zweiten Sendung kommt es zum Eklat. Als Gast hat der NDR Arno Breker geladen, den Lieblingsbildhauer von Adolf Hitler. Holger Jass ist empört. "Das konnte ich nicht akzeptieren. Für mich hat Arno Breker die Nazi-Ideologie in Stein gehauen und war schlichtweg ein Nazi. Mein Großvater hatte einige Zeit im KZ verbracht. Einen Nazi wollte ich nicht in meinem Laden haben", erklärt Jass später seine Weigerung, Breker ins Onkel Pö zu lassen. Winfried Scharlau, einer der Väter der Talk Show, will sich damals aber von Außenstehenden nicht vorschreiben lassen, wer als Gast in der Sendung auftreten darf und wer nicht. Die Talk Show wird ins Studio verlegt.

Aus der Kult-Kneipe Silvester 1985

In den 80er-Jahren rentiert sich der Betrieb nicht mehr. "Wir hatten ziemliche Probleme mit der Stadt", so Jass. "Ich sympathisierte damals mit den Grünen und war gegen die SPD. Ständig mussten wir neue Auflagen erfüllen und uns wurden viele Steine in den Weg gelegt. Außerdem war der Laden einfach zu klein. Offiziell passten da nur 180 Leute rein. Manchmal waren es zwar 300, aber auch die konnten die hohen Gagen der Künstler nicht immer reinholen. In den 80ern, als wir viele US-Bands im Pö hatten, wurde ja nach Dollar-Kurs abgerechnet und der war sehr hoch. Und auch wenn das Pö voll war, machten wir trotzdem Miese." Jass hat Mitte der 80er-Jahre aber auch persönliche Gründe, sich aus der "Nachtarbeit" zurückzuziehen. "Meine Tochter war geboren und ich wollte sie einfach aufwachsen sehen." Nach 15 Jahren und Tausenden von Musikern, die sich hier fast wie zu Hause gefühlt haben, schließt das Onkel Pö seine Türen ein letztes Mal.

Der frühere Besitzer Peter Marxen, der einst die Jazz-Größen in die Kult-Kneipe geholt hatte, starb am 10. Juni 2020 im Alter von 80 Jahren.

Weitere Informationen
Onkel Pö von damals
4 Min

Hamburg damals: Das "Onkel Pö"

Legendäre Abende, Newcomer, die zu Stars wurden - am 1. Oktober 1970 eröffnete das "Onkel Pö" und schrieb Geschichte. 4 Min

Dieses Thema im Programm:

Unsere Geschichte | 15.05.2021 | 12:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Hamburger Geschichte

Mehr Geschichte

Im Sassnitzer Stadthafen liegt am 24.07.2000 der aus der Ostsee geborgene Fischkutter "Beluga". © picture-alliance / ZB Foto: Stefan Sauer

1999: Der rätselhafte Untergang der "Beluga" in der Ostsee

Vor 25 Jahren sank der Sassnitzer Fischkutter "Beluga". Drei Seeleute starben in der Ostsee. Noch immer ist die Ursache unklar. mehr

Norddeutsche Geschichte