Stand: 25.10.2019 12:14 Uhr

Studieren mit Meerwert: 600 Jahre Uni Rostock

von Katharina Tamme

Im November wird 2019 wird die Universität Rostock 600 Jahre alt. Damit ist die als Hanseuniversität eingerichtete Alma Mater die älteste Universität des gesamten Ostseeraumes. Die "Leuchte des Nordens", die bis heute das Motto "traditio et innovatio" - Tradition und Innovation - pflegt, blickt auf eine wechselhafte Geschichte mit viel Licht, aber auch Schatten zurück.

Das Hauptgebäude der Universität Rostock. © Wikimedia Commons Foto: A. Savin
Das heutige Hauptgebäude der Universität Rostock wurde zwischen 1867 und 1870 im Stil der Neorenaissance erbaut.

Den Slogan "Studieren mit Meerwert", mit dem die Universität heute um Studierende wirbt, könnte bereits Papst Martin V. im Hinterkopf gehabt haben, als er im Februar 1419 grünes Licht für die Gründung der Alma Mater Rostochiensis gibt. Denn, so heißt es in der Gründungsurkunde mit päpstlicher Bulle, man habe sich per Bote vor Ort davon überzeugen lassen, dass die damals prosperierende Hansestadt Rostock "hinsichtlich der Luft und Temperatur geeignet" ist und auch "sonst als ein bevorzugter Ort für die Aufrichtung des Studiums" gilt. Der sprichwörtliche "päpstliche Segen" war für die Gründung von Hochschulen damals zwingend nötig.

Uni Rostock als Gegenmittel zu Aberglaube und Irrungen

Aber das ist nicht der einzige Grund des damaligen Papstes, dem Ersuchen der Herzöge Johann III. und Albrecht IV. von Mecklenburg, des Bischofs Heinrich von Schwerin sowie dem Bürgermeister und dem Rat der Stadt den Wunsch nach einer Uni nachzukommen. Es gilt, die "Landesteile, wo bedauerlicher Weise Aberglauben und Irrungen hervorsprießen" als "Gegenmittel" mit "Gelehrten auszustatten", um "auch das Staatsgefüge der umgrenzenden Länder mit glücklichem Fortschritt zu bereichern."

Das Studium generale allerdings bleibt zunächst unvollständig, denn wegen der "häretischen Strömungen" - will heißen, die Mecklenburger waren nicht alle hundertprozentig vom christlichen Glauben überzeugt - wird eine theologische Fakultät erst um 1432 vom nächsten Papst genehmigt. Bis dahin muss Rostock mit einer juristischen, einer medizinischen und einer sogenannten Artistenfakultät auskommen, die am ehesten der heutigen philosophischen Fakultät entspricht.

Internationale Ausrichtung als Hanseuniversität

Die ersten - ausschließlich männlichen - Studierenden kommen im 15. Jahrhundert aus dem gesamten Ostseeraum nach Rostock. Die Universität ist zu dieser Zeit eine der größten Deutschlands. Etwas später als die Stadt Rostock wird auch die Universität 1542 protestantisch und erlebt um 1600 eine von Luthertum und Humanismus geprägte Blütezeit, an der der Späthumanistiker und spätere Universitätsrektor David Chyträus seinen Anteil hat.

Zwei Millionen Büchern in der Uni-Bibliothek

Als Historiker gehört er zu den prägenden Figuren des nord- und mitteleuropäischen Geschichtsbildes. Er handelt die Formula Concordiae von 1563 mit aus: einen Kompromiss zwischen Landesherren und der Stadt Rostock, der die Verhältnisse neu regelt und die Uni finanziell besser ausstattet. In diese Zeit fällt auch die Gründung der Universitätsbibliothek, die heute einen Bestand von weit mehr als zwei Millionen Bänden unterteilt in zehn Fachbibliotheken umfasst.

Geschichte der Hexenverfolgung in Mecklenburg

Doch nicht nur der Humanismus floriert, auch die Hexenprozesse erreichen um 1600 einen Höhepunkt - und die Universität Rostock. Das protestantische Mecklenburg zählt zu dieser Zeit zu den Kernzonen der Hexenverfolgung. Die juristische Fakultät wird in den mecklenburgischen Hexenprozessen häufig mit Rechtsgutachten zurate gezogen. Auch angrenzende Territorien wie Schleswig, Holstein, Sachsen-Lauenburg, Brandenburg und Pommern lassen an der Juristenfakultät Rostock entsprechende Gutachten erstellen.

Weitere Informationen
Hexenverbrennung im 16. Jahrhundert (Ausschnitt; Foto, koloriert, nach Gemälde um 1860) © picture-alliance/ akg-images

Hexen-Verfolgung im Norden

Zwischen 1450 und 1750 wurden in West- und Mitteleuropa Zehntausende Menschen, meist Frauen, als vermeintliche Hexen hingerichtet - auch in Norddeutschland. mehr

Zwar zählen die Rostocker Juristen im Gegensatz zu ihren Zeitgenossen in den großen Zentren der Hexenprozesse in Süddeutschland nicht zu den Hardlinern, jedoch ist die schiere Anzahl der Rostocker Prozesse enorm. Etwa 4.000 Verfahren lassen sich zwischen 1336 und 1777 im dünn besiedelten Mecklenburg nachweisen. Den Höhepunkt bildet das Jahr 1604, als die Hochschule in voller Blüte steht und in Mecklenburg die Pest wütet. Mecklenburg hatte damals nur knapp 200.000 Einwohner.

Um 1600: Kampf um das astronomische Weltbild

Einer der bedeutendsten Astronomen und damals ab 1566 für zwei Jahre Student in Rostock ist Tycho Brahe. Der aus Dänemark stammende Spross einer Adelsfamilie bringt mit seinen astronomischen Beobachtungen Bewegung in das von der Kirche eisern vertretene und seit der Antike für gültig erklärte geozentrische Weltbild, das zu dieser Zeit Konkurrenz bekommt. Nikloaus Kopernikus entwirft ein heliozentrisches Weltbild, nach dem die Erde ein Planet ist und sich um die Sonne bewegt.

Tycho Brahe ist mit beiden Modellen unzufrieden und entwirft das tychonische Weltbild, nach dem Sonne und Mond sich um die Erde, alle übrigen Planeten sich jedoch um die Sonne drehen. Auf der Grundlage seiner astronomischen Beobachtungen erhärtet später Johannes Kepler, mit dem Tycho eine schwierige Zusammenarbeit pflegt, ausgerechnet, dass Kopernikus auf der richtigen Spur war.

Tycho Brahe - der Mann mit der goldenen Nase

Mann mit der goldenen Nase © NDR Foto: Helmut Kuzina aus Wismar
Ein Porträt-Relief des Rostocker Bildhauers Jo Jastram von 1996 erinnert an den Astronomen.

Mindestens genauso bekannt wird Tycho Brahe auch über die Grenzen der Hansestadt hinaus wegen eines Streits um eine mathematische Formel mit seinem Cousin und Kommilitonen. Dabei büßt er den größten Teil seiner Nase ein. Infolgedessen trägt er eine Prothese, die wahrscheinlich aus einer Bronzelegierung und nicht, wie die Überlieferung besagt, aus Gold und Silber bestand. 

Abschwung und vererbte Lehrstühle: Uni verliert an Renommee

So glanzvoll die Geschichte der Universität Rostock von der Gründung bis ins 16. Jahrhundert auch ist, macht die Universität dem "innovatio" ihres Mottos "traditio et innovatio" nicht immer alle Ehre. Die allgemein wirtschaftlich schlechte Lage und die politischen Wirren des Dreißigjährigen Krieges machen aus der einstigen international gefragten Hanseuniversität bald eine chronisch unterfinanzierte Landesuniversität für Mecklenburger. Im 18. Jahrhundert verliert sie immer mehr an Profil, auch weil Lehrstühle nicht qua Kompetenz, sondern per Erbfolge an Söhne und Schwiegersöhne vergeben werden - akademische Befähigung hin oder her.

Am allgemeinen Aufschwung des Universitätswesens im 19. Jahrhundert hat die Uni Rostock deswegen zunächst einen kaum nennenswerten Anteil. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein bleibt sie die frequenzschwächste deutsche Volluniversität, die sogar bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges als letzte Universität Deutschlands an den klassischen vier Fakultäten festhält. Erst als die Universität 1827 aus dem Stadtbesitz in den Besitz des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin übergeht, kann investiert werden. Der neue Geldsegen ermöglicht den Bau der Kliniken und des heutigen Hauptgebäudes am Universitätsplatz.

"Innovatio" mit Verspätung: Frauenstudium in Rostock erst ab 1908

Eine Tradition, an der die Universität bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts festhält, ist, dass ausschließlich Männer studieren dürfen. Zwar werden Frauen gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Mithörerinnen zugelassen. Sie sind jedoch angehalten, separate Eingänge benutzen. Außerdem werden Tücher in den Hörsälen gespannt, damit die männlichen Studierenden sich von den weiblichen Gästen nicht ablenken lassen. Erst 1908 - und damit als letzte deutsche Universität - werden die ersten zwei Frauen offiziell zum Studium zugelassen. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs steigt die Zahl der Frauen an der Universität auf zehn Prozent an.

Hauptsache Glanz: Albert Einstein wird Ehrendoktor der Medizin

Zum 500. Universitätsjubiläum 1919 schmückt sich die medizinische Fakultät mit zwei Ehrendoktoren der Extraklasse: Max Planck und Albert Einstein. Diese hatten zwar mit Medizin wenig am Hut - das Kontingent an Ehrendoktorschaften des Physikalischen Instituts war allerdings bereits ausgeschöpft. Für Albert Einstein bleibt es die einzige deutsche Ehrendoktorschaft, die ihm auch während der Herrschaft der Nationalsozialisten wegen eines Versehens nicht aberkannt wird.

Säuberungsaktionen und Gleichschaltung im Nationalsozialismus

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird es abermals dunkel um die "Leuchte des Nordens". Der Blücherplatz vor der Universität wird 1933 Schauplatz der Bücherverbrennung in Rostock. Im Juni 1932 gibt es an der Universität drei jüdische Professoren: den Physiologen Friedrich Wilhelm Fröhlich, der im November 1932 stirbt, den Professor für Pädagogik und experimentelle Psychologie David Katz, der Ende 1933 emigriert, und das medizinische Ausnahmetalent Hans Moral, seinerzeit einer der bedeutendsten Zahnmediziner Europas und seit 1924 Ehrendoktor der Medizinischen Fakultät.

Weitere Informationen
Der jüdische Zahnmediziner Prof. Dr. Hans Moral aus Rostock © Universitätsarchiv Rostock

Die tragische Geschichte des Hans Moral

Der jüdische Zahnarzt Hans Moral hatte in Rostock unter dem NS-Terror zu leiden. Als letzten Ausweg wählte er den Suizid. mehr

Als die Nazis ihn zwingen, von seinem Lehramt zurückzutreten, schreibt er einen Abschiedsbrief. Seine letzten Gedanken gelten der Universität: "Möge sie sich weiter gut entwickeln und über sie nicht dasselbe Unglück hereinbrechen, das heute über mich hereingebrochen ist." Mit nur 47 Jahren nimmt er sich mit einem Schlafmittel und Zyankali das Leben.

Die Uni in der DDR: Abitur für Arbeiter und Bauern

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird der Universitätsbetrieb im Februar 1946 wieder aufgenommen. Nur wenige Jahre später öffnet sich die Hochschule auch für bildungsferne Schichten. Bis zum Beginn der 1960er-Jahre ermöglicht es die 1949 gegründete Arbeiter- und- Bauern-Fakultät diesen und deren Kindern, das Abitur abzulegen. Damit wird, bis dahin beispiellos in der deutschen Bildungsgeschichte, auch Kindern aus bildungsfernen Familien der Zugang zum Abitur gewährt. Allerdings ergibt sich damit für das SED-Regime auch die Möglichkeit, politisch Einfluss auf das Hochschulgeschehen zu nehmen und eine loyale "sozialistische Intelligenz" heranzubilden. Von 1976 bis 1990 heißt die Hochschule nach einem der beiden ersten Parteivorsitzenden der SED "Wilhelm-Pieck-Universität", ist aber seit der Wende wieder ohne Namenspatron.

600 Jahre international und interdisziplinär

Heute sind etwa 13.000 Studierende in etwa 150 Studiengänge eingeschrieben. Damit gehört die Uni Rostock bundesweit zu den Hochschulen mit dem breitestem Fächerspektrum. Ein Novum war 2007 die Gründung der interdisziplinären Fakultät als fächerübergreifende zentrale Schnittstelle aller neun Fakultäten. International kooperiert die Hochschule mit 27 Ländern. Damals wie heute liegt der Schwerpunkt auf dem Ostseeraum, zu dem die baltischen und skandinavischen Länder sowie Russland und Polen gehören. Damit hält die Hochschule auch in der internationalen Ausrichtung an ihren Ursprüngen fest.

Weitere Informationen
Der Rostocker Pfeilstorch in einer Vitrine der Zoologischen Sammlung Rostock. © picture alliance/dpa-Zentralbild Foto: Bernd Wüstneck

Tierische Entdeckungen in der Universität Rostock

Insekten, Bären und ein pfeildurchbohrter Storch: Die Sammlung der Uni zeigt vielfältige Tierpräparate. Der Eintritt ist frei. mehr

Frühling im Botanischen Garten Rostock. © NDR Foto: Klaus Schmidt

Rostocks Botanischer Garten: Tour durch die Welt der Pflanzen

Vom Schneeglöckchenbaum bis zur Orangenkirsche: Auf dem weitläufigen Gelände gibt es viele ungewöhnliche Pflanzen zu entdecken. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | 12.11.2019 | 05:00 Uhr

Mehr Geschichte

Der deutsche Schauspieler Jan Fedder repapariert einen US-Straßenkreuzer, aufgenommen 1991 in Hamurg. © picture alliance / Stefan Hesse Foto: Stefan Hesse

Jan Fedder: Publikumsliebling und Hamburger Jung

Großstadtrevier oder Büttenwarder: Jan Fedder spielte viele norddeutsche Charaktere. Aus seinem Nachlass werden nun einige Schätze versteigert. mehr

Norddeutsche Geschichte