Christian Wulff (CDU) lächelt vor dem Landgericht in Hannover. © dpa-Bildfunk / Picture alliance Foto: Peter Steffen
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AUDIO: Christian Wulff über seine Amtszeit als Bundespräsident (2 Min)

Christian Wulff: Ein ehemaliger Bundespräsident vor Gericht

Stand: 12.03.2024 10:45 Uhr

Ex-Bundespräsident Christian Wulff musste sich ab 2013 wegen Vorteilsannahme vor Gericht verantworten. Es war der erste Strafprozess gegen ein ehemaliges deutsches Staatsoberhaupt. Am 27. Februar 2014 wurde Wulff freigesprochen.

von Nils Hartung

Schon der Start als Bundespräsident ist damals holprig: Erst im dritten Wahlgang, nach etwa neun Stunden, reicht es in der Bundesversammlung am 30. Juni 2010 für Christian Wulff zur absoluten Mehrheit. Die Opposition hat den parteilosen Joachim Gauck nominiert - der Kandidat von SPD und Grünen, der später Wulffs Nachfolger werden soll, bekommt auch zahlreiche Stimmen aus dem Lager von CDU/CSU und FDP. "Es gab sicher viele unglückliche Umstände, wie man aus der Parteipolitik ganz überstürzt nach dem Rücktritt Horst Köhlers in dieses Amt gekommen ist", so Wulff rückblickend in einem Interview mit NDR.de 2020.

Integration - Thema gefunden

Im Oktober 2010 hält Wulff dann die Rede, die zum Symbol seiner Präsidentschaft werden soll. "Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland", sagt er bei seiner Ansprache zum 20. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung in Bremen - und stößt damit eine breite gesellschaftliche Diskussion an. Was dabei etwas untergeht: Fast gleichzeitig fordert er die Muslime im Land auf, ihre Anstrengungen im Hinblick auf ihre Integration in Deutschland zu verstärken. Wulff hat, so scheint es, sein Thema gefunden. Doch schon bald sollen ganz andere Themen in den Vordergrund rücken.

Wulff-Affäre: Vom Einfamilienhaus bis zum Bobby-Car

Los geht es im Dezember 2011 mit ersten Berichten über einen Kredit für ein Einfamilienhaus in Großburgwedel bei Hannover. Drei Jahre zuvor, damals war Wulff niedersächsischer Ministerpräsident, bewilligt ihm die Frau eines befreundeten Unternehmers aus Osnabrück einen Privatkredit in Höhe von 500.000 Euro für den Kauf des Hauses. Bei einer Anfrage im Niedersächsischen Landtag zu seiner Beziehung zu dem Unternehmer verschweigt Wulff den Kredit.

"Der Rubikon ist überschritten"

Als er Wind davon bekommt, dass die "Bild"-Zeitung zu dem Thema recherchiert und sich eine Berichterstattung ankündigt, ruft Wulff am 12. Dezember 2011 den damaligen Chefredakteur des Boulevard-Blattes, Kai Diekmann, an. Diekmann geht nicht an sein Handy - es folgt die berühmte Nachricht auf dessen Mailbox. "Der Rubikon ist überschritten", so eines der Zitate des wütenden Anrufers. Wulff gibt später an, dass es ihm nur um den Zeitpunkt der Veröffentlichung gegangen sei - nicht um die Berichterstattung an sich. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" veröffentlicht einen Artikel zu dem Telefonanruf. Die deutsche Presselandschaft tobt.

Der Druck auf den Bundespräsidenten wächst

Es folgt eine schier unendliche Flut von Berichten und Kommentaren über die mutmaßliche Beeinflussung der Pressefreiheit, Urlaubsreisen in Anwesen von Unternehmerfreunden und die Gratis-Nutzung von Automobilen. Irgendwann steht sogar ein geschenktes Bobby-Car zur Debatte. Der mediale Druck wächst immer mehr. Wulff nimmt schriftlich Stellung und bedauert, den umstrittenen Kredit im Landtag nicht erwähnt zu haben. Bei Diekmann entschuldigt er sich für die Nachricht auf der Mailbox. Doch es ist schon zu spät.

Christian Wulff tritt zurück - Debatte über den Ehrensold

Der Anfang vom Ende ist die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Wulff wegen des Verdachts der Korruption. Die Staatsanwaltschaft Hannover beantragt die Aufhebung seiner Immunität - einen Tag später tritt Wulff am 17. Februar 2012 als Bundespräsident zurück.

Am Thema Geld entzündet sich umgehend die nächste Debatte: Soll Wulff den für ehemalige Bundespräsidenten vorgesehenen Ehrensold bekommen? Das Bundespräsidialamt entscheidet, dass die Gründe seines Rücktritts politischer Natur gewesen seien - eine umstrittene Auslegung. Nicht wenige sehen vielmehr persönliche Gründe als entscheidend an und bezweifeln, dass die Kombination aus Rücktritts-Grund und sehr kurzer Amtszeit einen Ehrensold rechtfertigen. Doch Wulff bekommt das Geld, etwa 240.000 Euro pro Jahr, auf Lebenszeit.

Strafprozess gegen Ex-Staatsoberhaupt endet mit Freispruch

Am 14. November 2013 beginnt der Prozess gegen Wulff wegen Vorteilsannahme vor dem Landgericht Hannover: der erste Strafprozess gegen ein ehemaliges deutsches Staatsoberhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik - riesiges Medieninteresse inklusive.

Auf ein Angebot der Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Ermittlungen, das Verfahren gegen die Zahlung einer Auflage in Höhe von 20.000 Euro einzustellen, war er nicht eingegangen. Auch das Angebot des Richters, den Prozess gegen Auflagen einzustellen, schlägt Wulff aus. Er will einen "lupenreinen Freispruch". Und den bekommt er tatsächlich: Gut zwei Jahre nach seinem Rücktritt spricht das Landgericht ihn am 27. Februar 2014 frei. Er ist rehabilitiert - zumindest juristisch.

Freundschaften und Familie? Keine Fragen, bitte!

Auch privat sind es turbulente Jahre: 2008 heiraten Christian Wulff und Bettina Körner, die einen Sohn aus einer früheren Beziehung mit in die Ehe bringt, standesamtlich. 2008 kommt ein gemeinsamer Sohn zur Welt. Als Christian Wulff Bundespräsident wird, berichtet der deutsche Boulevard ausführlich über sein neues Lieblingspaar mit Homestorys in Hochglanz und vielen Überschriften in bunten Buchstaben. Die Vorteilsnahme-Affäre um Christian Wulff belastet auch die Paar-Beziehung. 2013 trennen sich die beiden. 2015 söhnen sie sich aus und beschließen, die Ehe weiterzuführen. 2015 heiratet das Paar kirchlich. 2018 erfolgt die erneute Trennung.

Jahre später gibt sich Wulff selbstkritisch: "Wenn ich eines wirklich gelernt habe in der damaligen Zeit, ist es, dass ich mich über Privates, Freundschaften, Beziehungen, Familiäres überhaupt nicht mehr einlasse", sagte er dem NDR 2020, zehn Jahre, nachdem er zum jüngsten Bundespräsidenten gewählt worden war. Somit findet der Fortgang der Beziehung mit Bettina Wulff nicht mehr eine solch große mediale Beachtung wie früher. 2021 wird bekannt, dass Christian und Bettina Wulff erneut ein Paar sind. 2023 heiraten sie erneut.

Christian Wulff ist heute Rechtsanwalt und Schirmherr

Es wird ruhiger um den Mann aus Osnabrück, der, so scheint es, mit dem Kapitel abgeschlossen hat. Heute ist Wulff mit einer Kanzlei in Hamburg wieder als Rechtsanwalt tätig und hat ehrenamtlich mehrere Schirmherrschaften übernommen - etwa als Präsident des Deutschen Chorverbandes und Schirmherr der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft. "Inzwischen bin ich froh, dass wieder Inhalte der Amtszeit in den Vordergrund gerückt sind und nicht alles mehr von den letzten Wochen der Amtszeit überlagert wird", so Wulff rückblickend.

Seit 2022 Ehrenbürger von Osnabrück

Auch andernorts steht das politische Erbe des Altbundespräsidenten Wulff wieder verstärkt im Fokus. Im April 2022 wird ihm vom amtierenden niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) für seine Verdienste die Niedersächsischen Landesmedaille verliehen. In Wulffs Zeit als Ministerpräsident habe der die Landespolitik eineinhalb Jahrzehnte geprägt und tiefe Spuren im Bundesland hinterlassen, die bis heute sichtbar seien, so Weil.

Die Stadt Osnabrück verleiht dem dort geborenen Wulff Ende Juni 2022 die Ehrenbürgerwürde. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hebt in seiner Laudatio insbesondere den Satz "Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland" seines Vorvorgängers hervor: Das sei ein unglaublich mutiger Satz gewesen, der vor allem in konservativen Kreisen als Provokation empfunden worden sei und in eine Zeit fiel, in der es Debatten mit vielen rassistischen und antimuslimischen Untertönen gegeben habe, so Steinmeier.

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Bei Anfragen Verweis auf sein Buch

Über seinen Freispruch 2014 sagt Christian Wulff zehn Jahre später nicht viel. Bei journalistischen Anfragen verweist er auf sein Buch "Ganz oben Ganz unten" von 2014. Wie er auf seiner Homepage mitteilt, sei in der Taschenbuch-Ausgabe ein Interview, das der Publizist Manfred Bissinger mit ihm geführt hat, vorangestellt. "Dem habe ich eigentlich nichts hinzuzufügen", erklärt Wulff im Februar 2024. In dem Buch schildert der ehemalige Bundespräsident, wie aus seiner Sicht eine Affäre inszeniert worden sei, was sich hinter den Kulissen abgespielt habe und wie es sich anfühle, Angriffen ausgesetzt zu sein. Auch seine eigenen Fehler benennt er in dem Buch.

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