Als Rostocks Innenstadt vom Bombenhagel zerstört wurde

Stand: 23.04.2022 05:00 Uhr

Als Hochburg der Rüstungsindustrie ist Rostock im Zweiten Weltkrieg ein bevorzugtes Ziel von Luftangriffen. Ab dem 23. April 1942 trifft es jedoch die Innenstadt: Mehr als 200 Menschen sterben.

In der Logik der Militärstrategen ist das Ziel damals naheliegend: Rostock. Im Zweiten Weltkrieg ist die Stadt an der Ostsee ein Zentrum der deutschen Rüstungsindustrie. Die Flugzeug-Werke Heinkel und Arado sowie die Neptun-Werft beliefern die Wehrmacht. Bereits 1940 greifen britische Bomber deren Werksgelände gezielt an, im September 1941 sterben bei einem weiteren Luftschlag mehr als 30 Menschen. Ein halbes Jahr später ändert sich die Strategie der Royal Air Force. Seit dem Angriff auf Lübeck am 28. März 1942 nehmen die Alliierten keine Rücksicht mehr auf die Zivilbevölkerung. In den Nächten vom 23. bis zum 27. April 1942 treffen die Bomben daher auch die Innenstadt von Rostock - als zweites Ziel der sogenannten Area bombing directive, des Flächenbombardements auf deutsche Städte.

An die 150 britische Bomber nehmen Kurs auf Rostock

In der Hansestadt Rostock leben damals etwa 130.000 Menschen. Als die Sirenen heulen, flüchten die Bewohner wie immer in diesen Kriegsmonaten in die Keller ihrer Häuser oder die wenigen Luftschutzbunker. Doch was sich in der Nacht zum 24. April ereignet, hat eine neue Dimension. Fast 150 britische Bomber steuern auf Rostock zu. Ihre vernichtende Fracht: Spreng- und vor allem Brandbomben. Innerhalb kurzer Zeit prasseln Tausende auf die Stadt nieder und setzen Gebäude in Flammen. Am nächsten Morgen wird deutlich, dass sich die Schäden in Grenzen halten. Die meisten Bomben haben das Stadtzentrum verfehlt.

200 Menschen sterben, Tausende werden obdachlos

Rostock 1942: die bei Bombenangriffen schwer beschädigte Petrikirche und das Petritor © Kulturhistorisches Museum Rostock
Auch massive, teils Jahrhunderte alte Gebäude wie Petritor und Petrikirche werden schwer beschädigt.

Doch in den folgenden Nächten wiederholen sich die Angriffe. Insgesamt fast 500 Flugzeuge werfen mehr als 100.000 Bomben ab. Jetzt treffen sie auch die Altstadt. Helfer, die die Brände löschen wollen, kommen gegen die Feuersbrunst nicht an. Sie breitet sich von Haus zu Haus aus, erfasst ganze Straßenzüge. Mehr als 200 Menschen sterben, Tausende werden verletzt. Die Altstadt am Ufer der Warnow gleicht einem Trümmerfeld, aus dem einzelne Bauwerke wie der 48 Meter hohe Turmschaft der Petrikirche ragen. Das Dach wird ein Raub der Flammen.

"Eine schwere Detonation nach der anderen"

Die Rostockerin Luise Utpatel ist mittendrin in der Feuersbrunst. Sie lebt in einem der prächtigen Giebelhäuser am Hopfenmarkt, der heutigen Kröpeliner Straße. In einem Brief an ihre Mutter und die Geschwister beschreibt sie damals die erste dieser harten Nächte im Luftschutzkeller:

"Eine schwere Detonation nach der anderen erschütterte unser Haus. Dazwischen krachten die Abschüsse der schweren und der leichten Flak. Um halb 2 Uhr hatte der Alarm begonnen, und fast pausenlos ging der Angriff weiter. Mehrere Male versuchten einige der Männer nach oben zu gehen, um wegen Brandbomben nachzusuchen. Aber sie mussten meistens wieder nach unten kommen, ehe sie auf dem Boden waren, weil keine Ruhepause eintrat." Aus einem Brief der Rostockerin Luise Utpadel

Das mächtigste Gebäude übersteht die Angriffe

Allein die materiellen Schäden sind unermesslich. Außerdem werden rund 35.000 Menschen obdachlos, verlieren oft ihr gesamtes Hab und Gut. Von massiven Gebäuden wie Jakobikirche und Oberlandesgericht, dem historischen Steintor und dem neobarocken Stadttheater, aber auch von Kliniken und Schulen stehen nur noch Ruinen. Am Ende des Krieges 1945 ist rund ein Viertel der Wohnhäuser in der Hansestadt zerstört und mehr als die Hälfte beschädigt. Das mächtigste Gebäude der Altstadt, die Marienkirche, übersteht den Krieg weitgehend unbeschadet.

Kein Strom, kein Wasser, kein Gas

Die Infrastruktur sei vollkommen zerstört worden, sagt Stadtarchivar Karsten Schröder: "Am letzten dieser vier Tage gab es keinen Nahverkehr mehr, keine Stromversorgung, keine Wasserversorgung, keine Telegrafie, keine Gasversorgung - Gas spielte ja damals eine sehr große Rolle." Der Angriff sei ein tiefgreifender Einschnitt, dessen Geschichte bis heute noch lange nicht aufgearbeitet worden sei, so Schröder. Und auch darüber, wie das Gedenken darüber aussehen soll, könne noch viel diskutiert werden, meint Thomas Werner vom Rostocker Kulturamt. "Weil, sicher sind viele Menschen ums Leben gekommen, das Stadtbild hat extrem gelitten, aber es sind ja die Geister, die wir selbst gerufen haben. Und das muss man auch noch mal deutlich machen an diesem Tag."

Einseitiger Blick auf die Geschichte

Die Perspektive, aus der man heute auf das Geschehen blicke, sei bisher noch relativ einseitig, so Werner. Um das zu ändern, sollen beim Gedenken an die Bombenächte künftig auch nicht nur Zeitzeugenberichte wie jener der gutbürgerlichen Luise Utpatel vorgetragen werden. Es soll beispielweise auch um den ukrainischen Zwangsarbeiter Grigorij Serdjuk gehen, der 1942 als 15-Jähriger in Heinkels Flugzeugwerke kam - und der nach einem Bombenangriff die Leichen von etlichen jungen Kolleginnen auf Lkw verladen musste. Für sie habe es keinen Zutritt zu den Luftschutzbunkern der Stadt gegeben, sagt Werner: "Deshalb sind diese Menschen sehr oft ums Leben gekommen, weil sie in Unterständen Zuflucht suchten, die für solche Bombenangriffe nicht geeignet waren." Auch das sei ein Teil der Geschichte, an die erinnert werden sollte.

Bevölkerung soll unter dem Krieg leiden

Die Angriffe auf Rostock waren kein Zufall oder Irrtum. Das britische Kriegskabinett hatte am 14. März 1942 entschieden, den Bombenkrieg zu intensivieren. Ziele sollten jetzt auch komplette Großstädte ein. Damit wollten die Militärs den "Widerstandswillen der Zivilbevölkerung des Feindes und vor allem der Industriearbeiter" brechen, wie es in britischen Dokumenten heißt. Bis zum Kriegsende 1945 wurden noch viele deutsche Städte bei Flächenbombardements schwer beschädigt. Briten und Amerikaner reagierten damit auch auf deutsche Luftangriffe gegen englische Städte, die bereits 1940 begonnen hatten.

Flächenbombardements deutscher Städte

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