Stand: 25.06.2014 09:43 Uhr

28. Juni 2004: Säure-Alarm im Hamburger Hafen

von Janine Kühl, NDR.de
Ein Schiff liegt kieloben in einem Hafenbecken © picture alliance / AP Photo
Nach der Kollision mit einem Containerschiff am 28. Juni 2004 im Hamburger Hafen schlägt der Säuretanker "ENA 2" leck und kentert.

Es sollte lediglich eine halbstündige Routinefahrt durch den Hamburger Hafen werden: Am Abend des 28. Juli 2004 legt Kapitän Mike K. mit der "ENA 2" im Peutehafen ab, um den 62 Meter langen Säuretanker in den Petroleumhafen zu verlegen. An Bord des Schiffs, das mitsamt der Ladung der Norddeutschen Affinerie (NA) gehört, befinden sich 960 Tonnen hochprozentige Schwefelsäure. Zur gleichen Zeit macht sich das Containerschiff "Pudong Senator" vom Eurokai aus auf den Weg in Richtung Nordsee. Die beiden Schiffe kollidieren, als sie sich bei der Einfahrt der "ENA 2" in einen Parkhafen begegnen.

"ENA 2" kentert am Kai

Der zweiköpfigen Besatzung der "ENA 2" gelingt es gerade noch, das beschädigte Schiff in den Petroleumhafen hinein zu manövrieren und am Kai festzumachen. Durch ein Leck dringt Wasser in den Hohlraum zwischen Außenhaut und Tanks ein, sodass der Säuretanker seine Stabilität verliert und kentert. Bei der Vernehmung des Kapitäns stellt die Polizei fest, dass Mike K. stark alkoholisiert ist. Eine Untersuchung ergibt einen Blutalkoholwert von 2,1 Promille.

Verletzte durch Säuredämpfe

Während der 294 Meter lange Containerriese seine Fahrt unbeschädigt fortsetzen kann, liegt die "ENA 2" kieloben im Petroleumhafen. Austretende Schwefeldämpfe verursachen Verätzungen und Reizungen bei neun Hafenarbeitern und zwei Polizisten. Zwar sind die vier Tanks unbeschädigt, doch durch die Lüftungsrohre gelangt Säure ins Wasser und von dort in Form von Dampf in die Luft. Um diese zu binden, besprüht die Feuerwehr das Hafenbecken ununterbrochen mit Wasser. Eine Druckluft-Öl-Sperre soll den Bereich um den Havaristen absichern. Bereits am nächsten Tag treiben im Wasser Tausende tote Fische.

Explosionsgefahr erschwert Bergung

Im Hamburger Hafen verursacht der Kapitän des Säuretankers "ENA 2" eine Kollision mit dem Containerschiff "Pudong Senator". © dpa Foto: Maurozio Gambarini
Damit keine Schwefeldämpfe aus der "ENA 2" aufsteigen können, besprüht die Feuerwehr das Wrack permanent mit Wasser.

Am 29. Juni trifft der Schwimmkran "Enak" aus Bremerhaven ein, der das Wrack zunächst stabilisieren und schließlich aufrichten soll. Bereits zuvor haben Taucher das Wrack gesichert und Trossen zur Bergung angebracht. Die Einsatzkräfte befürchten, dass das Schiff beim Drehen auseinander brechen könnte. Die größte Gefahr geht allerdings von den Chemikalien an Bord aus. Möglicherweise haben sich durch die Vermischung von Schwefelsäure mit Wasser hoch aggressive schweflige Säure sowie explosiver Wasserstoff gebildet. Diese Annahme bestätigt sich bei den späteren Arbeiten am Schiff. Auch die drei Tonnen Diesel im Treibstofftank könnten auslaufen oder mit den Chemikalien an Bord reagieren.

Heikle Vorbereitungen unter Wasser

Erst fünf Tage nach dem Unglück gelingt es den Einsatzkräften, die "ENA 2" wieder in Schwimmposition zu bringen. Dazu müssen Taucher zunächst  das explosive Wasserstoff-Gas-Gemisch in den beiden vorderen Tanks durch nicht brennbaren Stickstoff ersetzen. Denn kleinste Funken auch unter Wasser reichen aus, um zur Explosion zu führen. Nach vier Tagen trifft ein weiterer Schwimmkran ein. Nach akribischer Vorarbeit können die beiden Kräne am 3. Juli den gekenterten Tanker Zentimeter für Zentimeter zurück in die Schwimmposition drehen. An der fünftägigen Bergungsaktion sind 900 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Polizei und Spezialteams beteiligt.

Gesamte Säureladung in die Elbe gelaufen

Die gesamte Ladung von 960.000 Litern Schwefelsäure läuft nach der Havarie in die Elbe. Dennoch schätzt die Hamburger Innenbehörde den Zustand des Ökosystems in der Elbe bereits kurz nach der Havarie als "nicht nachhaltig beeinträchtigt" ein. Auch NA-Vorstandsvorsitzender Werner Marnette glaubt "nicht, dass es eine Umweltkatastrophe war", gibt allerdings zu, dass das Unglück "möglicherweise vermeidbar gewesen wäre." Tatsächlich halten sich die Umweltschäden in Grenzen: Durch die Verdünnung der Schwefelsäure mit den großen Wassermengen der Elbe ist die Säure nach Angaben der Umweltbehörde schon wenige Zeit nach dem Unfall außerhalb des Petroleumhafens nicht mehr messbar. Auch Greenpeace-Sprecher Christian Bussau hält die Schäden außerhalb des Hafens für sehr gering. "Der Petroleumhafen ist inzwischen ohnehin biologisch tot", stellt er damals nüchtern fest.

Kapitän gesteht Whiskey-Konsum

Im Januar 2006 wird der Fall vor dem Hamburger Amtsgericht verhandelt. Die Staatsanwaltschaft klagt Mike K. wegen Gefährdung des Schiffsverkehrs und Gewässerverunreinigung an und fordert ein Jahr und vier Monate Haft. Der damals betrunkene Kapitän habe die geltenden Vorfahrtsregeln missachtet, so die Anklage. Mike K. gibt zu, vor dem Unfall Bier und Whiskey getrunken zu haben. Er war bereits vor dem Unfall wegen eines Alkoholproblems aufgefallen. Am 28. Juni weist sein Blut einen Wert von fast 2,2 Promille auf. Damit verliert der damals 38-Jährige unabhängig vom Gerichtsverfahren sein Patent auf Lebenszeit. Eine Schuld an der Kollision weist Mike K. jedoch zurück. Die Verteidigung erklärt weiter, das Containerschiff habe keine Angaben zu seiner Position gemacht und sei zu schnell gefahren.

Ein Jahr Haft auf Bewährung

Am 2. Februar 2006, gut eineinhalb Jahre nach dem Unfall, fällt das Gericht sein Urteil: Der Kapitän der "ENA 2" wird schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Allerdings stellt der Richter fest, dass alle Beteiligten die Situation falsch eingeschätzt hatten. Der Kapitän der "Pudong Senator" und der Hafenlotse seien davon ausgegangen, dass entsprechend dem Gewohnheitsrecht im Hamburger Hafen das kleinere Schiff dem größeren die Vorfahrt lassen würde.

Hansestadt fordert Null-Promille-Grenze

Unterdessen löst das Unglück Diskussionen um eine strengere Promille-Grenze in der Seefahrt aus. Die Hansestadt erreicht mit ihrer Initiative für eine Null-Promille-Grenze in der Seefahrt im Bund einen Teilerfolg: Statt 0,8 Promille dürfen Schiffsführer seit August 2005 "nur" noch einen Wert von 0,5 Promille im Blut aufweisen. Allerdings gilt fortan zumindest im Gefahrgutbereich die Null-Promille-Regelung.

Dieses Thema im Programm:

DAS! | 03.07.2004 | 18:45 Uhr

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