"Das Wasser war wütend und stürmisch"
"In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar war das Wasser sehr wütend und stürmisch" erinnert sich Regina Petersen von der Hallig Langeneß. Als mitten in der Nacht die Mauern des Wohnhauses unter dem Wasserdruck einbrechen, flüchten Regina und Hauke Petersen mit der neun Monate alten Tochter vom Dachboden durch das bauchtiefe Wasser auf den zehn Meter hohen Heudiemen. Stunde um Stunde harren sie dort aus. Dann endlich sinkt der Pegelstand. Sie haben überlebt. Überlebt wie die Menschen im überschwemmten Uelvesbüller Koog auf Eiderstedt.
Anders als in Hamburg sind in Schleswig-Holstein keine Todesopfer zu beklagen. Die Sturmflut vom 16. auf den 17. Februar 1962 ist zu Recht als "Hamburgflut" in die Geschichte eingegangen. Dort sterben 317 Menschen. Doch die Schäden zwischen Elbe und Sylt sind gewaltig. Sie lösen das größte Deichbauprogramm in der Geschichte Schleswig-Holsteins aus.
Behörden von Flut überrascht
"Die Flut hat uns alle überrascht", räumt Hamburgs oberster Katastrophenschützer Heinz Breuer nach der Schicksalsnacht ein. Die Tagesschau meldet noch um 20.15 Uhr "stürmische bis steife Winde". Erst um 20.30 Uhr gibt der NDR Hörfunk eine bedrohlichere Sturmflutwarnung des Deutschen Hydrographischen Institutes (DHI) heraus: "Für das gesamte Gebiet der deutschen Nordseeküste besteht die Gefahr einer sehr schweren Sturmflut mit Wasserständen von 3 bis 3,50 Meter über Normal." Das haben die Menschen hinter den Deichen, auf den Inseln und Halligen gerade vier Tage vorher schon so erlebt. Nichts war passiert. Die meisten gehen deshalb beruhigt ins Bett.
Doch die Lage spitzt sich zu, das Wasser kommt früher und höher. Als um 23.30 Uhr nach der Tagesschau die erneute, nun viel dramatischere Sondermeldung folgt, ist es zu spät. In Hamburg brechen schon die Deiche. Ein Sechstel des Hamburger Stadtgebietes wird überflutet, 317 Menschen sterben, mehr als 20.000 mussen unter zum Teil dramatischen Umständen evakuiert werden. Die Flut hatte die Hansestadt kalt erwischt.
Katastrophe an einem normalen Februartag
In Schleswig-Holstein beginnt der 16. Februar 1962 unspektakulär. Fast routinemäßig informiert das Wetteramt Schleswig die Landesregierung um 9.45 Uhr, dass ein schwerer Sturm mit schweren Orkanböen zu erwarten sei. Eine halbe Stunde später informiert das Innenministerium die Landräte und die Deichgrafen. Um 15 Uhr kommt die Meldung nach Kiel: Die Deiche halten der Nachmittagsflut gut stand.
Dann geht es auf Schlag auf Schlag. Um 17 Uhr wird eine weitere Sturmflut für Mitternacht angekündigt. Um 22 Uhr löst Kiel Katastrophenalarm aus: Wie in Hamburg steigt die Flut auch an der Westküste früher und stärker als erwartet. Nur eine halbe Stunde später erreichen Feuerwehren, Freiwillige, Einheiten des Katastrophenschutzes, des Technischen Notdienstes und der Bundeswehr die gefährdeten Deichabschnitte.
Um Mitternacht wütet die Flut. Während Familie Petersen auf der Hallig Langeneß oben auf dem Heudiemen im Wasserchaos ausharrt, schlagen die Wellen schon mit Macht an und über die Deiche, reißen schon Klei an See- und Landseite weg, waschen immer größere Löcher aus. Eilig eingeschlagene Pfähle und durch Menschenketten herbeigeschaffte und in die Löcher geworfene Sandsäcke sollen die Flut stoppen. Doch der Sturm ist stärker. Die Deiche brechen.
- Teil 1: Behörden von Flut überrascht
- Teil 2: Eine verheerende Bilanz
