Das Passagierschiff "Cap Arcona" bei einer Probefahrt 1927. © picture-alliance Foto: akg-images

Tragödie am Kriegsende: Die Versenkung der "Cap Arcona"

Stand: 09.03.2022 14:00 Uhr

Kurz vor Kriegsende, am 3. Mai 1945, versenken Briten die "Cap Arcona" und die "Thielbek" in der Lübecker Bucht. Sie vermuten deutsche Truppen auf den Schiffen - ein Irrtum: An Bord sind 7.500 KZ-Häftlinge.

von Imke Andersen und Britta Probol

Eine der größten Schiffskatastrophen der Geschichte ereignet sich in den letzten Kriegstagen des Zweiten Weltkrieges in der Lübecker Bucht. Mehr als 7.000 Menschen kommen dabei am 3. Mai 1945 ums Leben. Sie sind Opfer eines folgenschweren Irrtums: Britische Bomber versenken das deutsche Passagierschiff "Cap Arcona" und den Frachter "Thielbek" vor Neustadt in Holstein. Die drei Kilometer vor der Küste liegenden Schiffe waren eher zufällig ins Fadenkreuz geraten. Mit dem Großangriff über der Ostsee will die Royal Air Force verhindern, dass sich deutsche Truppenverbände und SS-Größen möglicherweise ins neutrale Norwegen absetzen. An Bord dreier Schiffe sind allerdings hauptsächlich evakuierte Häftlinge aus dem Hamburger KZ Neuengamme.

KZ-Evakuierung vor der Ankunft der Briten

Portrait von Heinrich Himmler, Mann mit Nickelbrille und kleinem Oberlippenbärtchen. © dpa-Bildfunk
SS-Reichsführer Heinrich Himmler hatte den Befehl erteilt, KZ-Häftlinge nicht in die Hände der Alliierten fallen zu lassen.

Frühling 1945: Kein KZ-Häftling dürfe den Alliierten in die Hände fallen, hat SS-Chef Heinrich Himmler befohlen. Die Briten rücken bereits auf Hamburg vor. Um die Verbrechen des Nazi-Regimes zu vertuschen, beginnen am 19. April im KZ Neuengamme hastige Räumungsarbeiten. Die alliierten Verbände sollen das Lager spurlos leergefegt vorfinden. Gemeinsam beschließen der Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann - zugleich Reichskommissar für Seeschifffahrt - und Hamburgs SS-Führer Graf Bassewitz-Beer, die KZ-Häftlinge auf zwei in der Lübecker Bucht ankernde Schiffe zu bringen. Dass die Schiffe von der britischen Luftwaffe möglicherweise für Truppentransporter gehalten werden, gehört dabei womöglich zum Kalkül.

Luxusliner wird zum schwimmenden KZ

Zu Fuß und in Güterzügen werden in den letzten April-Tagen rund 10.000 Häftlinge nach Lübeck getrieben. Dort müssen sie im Vorwerker Industriehafen auf die "Athen" und andere beschlagnahmte Zubringerschiffe umsteigen, die sie zur "Cap Arcona" transportieren.

Der 330 Meter lange Luxusliner, 1927 bei Blohm & Voss in Hamburg gebaut, liegt seit dem 14. April mit einem Maschinenschaden manövrierunfähig vor Neustadt. Bevor er Ende August 1939 der Kriegsmarine unterstellt wird, war er eines der mondänsten Passagierschiffe seiner Zeit. Noch 1942 drehte die UFA an Bord den Film "Der Untergang der Titanic". Im Krieg diente die "Cap Arcona" lange Zeit als schwimmende Kaserne, lag gemeinsam mit der "Wilhelm Gustloff" in Gotenhafen vor Anker und evakuierte zuletzt Zivilisten und Soldaten aus Ostpreußen. Nach dem Turbinenschaden wird sie von der Marine an die Reederei Hamburg-Süd zurückgegeben. Damit gelangt sie in den Machtbereich Karl Kaufmanns.

Mit dem Beginn der KZ-Räumung informiert die SS die Kapitäne der "Cap Arcona" und des Frachters "Thielbek", Bertram und Jacobsen, dass ihre Schiffe für eine Sonderoperation benötigt werden. Beide weigern sich entschieden, ihre Schiffe als schwimmende Konzentrationslager zur Verfügung zu stellen, beugen sich aber schließlich dem Druck und massiven Gewaltandrohungen.

Das Schiff wird präpariert - mit Kalkül?

Während die ersten Häftlinge auf der "Cap Arcona" ankommen, deinstalliert die SS alle Fluchtmöglichkeiten und blockiert die Rettungsboote. Dies könnte zusammen mit den weiteren Maßnahmen darauf hindeuten, dass geplant war, die "Cap Arcona" durch Sprengung zu versenken: Die automatischen Schotten werden zerstört und das Schiff mit einer geringen Treibstoffmenge betankt, die als Brandbeschleuniger ausreicht. Allerdings lässt sich die Betankung auch mit der Betriebssicherung der Notstromaggregate begründen. Nach Ansicht einiger Geschichtsforschender ist denkbar, dass die Schiffe auf unbestimmte Zeit als schwimmende KZ gedacht waren, um die Häftlinge zunächst bis zu weiteren Verhandlungen oder für mögliche Arbeitseinsätze in der Gewalt zu behalten. Fast 500 Mann Besatzung - Aufsichtsleute und Flugabwehr - sind ebenfalls an Bord.

Der Angriff der Royal Air Force

Der Luxusliner "Cap Arcona" liegt in einem Hafen vor Anker. © picture alliance/akg-images
Das stolze Schiff wurde für Tausende Menschen zur tödlichen Falle.

Am 3. Mai 1945 dümpeln die "Thielbek" und die "Cap Arcona" mit insgesamt rund 7.500 Häftlingen an Bord in der Lübecker Bucht. Zu diesem Zeitpunkt wissen die Alliierten um die Vorgänge in der Ostsee: Das Schwedische und das Schweizer Rote Kreuz haben die britischen Bodentruppen in Lübeck über die Schiffe informiert. Doch die Information gelangt nicht zu den Piloten der Royal Air Force - und bei den Aufklärungsflügen an diesem Morgen werden die winkenden Häftlinge nicht erkannt. So lautet der schicksalsträchtige Einsatzbefehl No. 73 am 3. Mai 1945: "Zerstörung der feindlichen Schiffsansammlung in der Lübecker Bucht westlich der Insel Poel und nach Norden hin zur Grenze der Sicherheitszone".

Zeitzeugen-Bericht
Zwei Porträts: Links der 17-Jährige mit Matrosenhemd und Kriegmarine-Mütze, rechts mit knapp 70 Jahren. © Ludwig Pätzel

"Es war die Hölle, was wir da erlebten"

Der Mainzer Ludwig Pätzel hat am 3. Mai 1945 den Untergang der "Cap Arcona" miterlebt. Er war damals Gefreiter bei der Marine und lag mit der "MS Skagerrak" vor Neustadt. mehr

"Cap Arcona" brennt aus und legt sich auf die Seite

Am frühen Nachmittag beginnen die britischen Bomber der 2. Taktischen Luftflotte ihren letzten Großangriff über der Ostsee, bei dem sie insgesamt 23 Schiffe versenkt und mehr als 100 beschädigt. Typhoon-Kampfflugzeuge des 198. Geschwaders nehmen zuerst das deutsche Passagierschiff "Cap Arcona" und eine Stunde später den Frachter "Thielbek" unter Beschuss. Die "Cap Arcona" wird von 64 Raketen getroffen und steht im Handumdrehen vom Bug bis zum Heck in Flammen. Die SS versucht die Häftlinge unter Deck zu halten, während die wenigen funktionstüchtigen Rettungsboote zu Wasser gelassen werden. Das Schiff brennt aus und legt sich auf die Seite.

Rund 7.000 Häftlinge sterben

Das Ostseewasser hat kaum acht Grad. Von den 4.500 KZ-Häftlingen an Bord überleben 350 durch Zufall, nicht durch deutschen oder alliierten Rettungsbeistand. Von der Besatzung - Wachen, SS-Personal und Crew - können sich etwa 80 Prozent in Sicherheit bringen, darunter auch Kapitän Bertram. Die "Thielbek" sinkt innerhalb von 20 Minuten nach dem Luftangriff. Britische Kampfflieger beschießen selbst die Rettungsboote auf ihrem Weg ans Neustädter Ufer. Von den 2.800 Häftlingen erreichen lediglich 50 lebend das Land. Auch Kapitän Jacobsen und die meisten Seeleute sind unter den Toten.

Die "Athen" liegt zur Zeit des Angriffs im Neustädter Hafen - allein diese Tatsache rettet den knapp 2.000 Häftlingen an Bord das Leben.

Opfer in Massengräbern entlang der Küste verscharrt

Mahnmal für Opfer des Untergangs der "Cap Arcona" auf dem Ehrenfriedhof in Neustadt/Holstein © picture alliance/dpa/dpaweb Foto: Wolfgang Langenstrassen
Auf dem Ehrenfriedhof in Neustadt/Holstein erinnert ein Mahnmal an die Opfer aus 24 Nationen.

Viele der Opfer werden in Massengräbern entlang der Küste zwischen Neustadt und Pelzerhaken verscharrt. Heute reiht sich dort ein Campingplatz an den anderen. Doch zeugen in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern noch rund ein Dutzend Friedhöfe von der "Cap Arcona"-Katastrophe. Die bedeutendsten Gedenkplätze liegen in Gronenburg-Neukoppel und in Neustadt/Holstein selbst. Unter den Toten, derer dort gedacht wird, sind auch etwa 200 Häftlinge des KZ Stutthof, die über die Ostsee nach Neustadt kamen und dort am Morgen des 3. Mai 1945 von SS-Leuten - unterstützt von Marinesoldaten - erschossen wurden.

"Die Hauptverantwortlichkeit für eine der schwersten Schiffskatastrophen der Geschichte liegt allem Anschein nach auf deutscher Seite", schreibt Wilhelm Lange, Stadtarchivar aus Neustadt, denn sie hätten "den Alliierten eine hinterhältige Falle gestellt". Andererseits unterliefen den Briten folgenschwere Pannen bei der Weiterleitung der Informationen. So heißt es in britischen Berichten vom Juni 1945, damals zusammengestellt vom War Crimes Investigation Team (WCIT), "aus irgendeinem Versehen" sei die Nachricht vom Roten Kreuz über die Anwesenheit von KZ-Häftlingen an Bord der Schiffe nie weitergegeben worden. Das Archivmaterial ist lückenhaft. Noch hat kein Gericht die Verantwortung deutscher und britischer Beteiligter an der Tragödie bei Neustadt aufgearbeitet.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Das Hamburger Hafenkonzert | 03.05.2020 | 06:00 Uhr

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