Bilder aus der Geschichte des CSD in HH © Chris Lambertsen Foto: Chris Lambertsen

Politik und Party: Von der Stonewall-Demo zum CSD in Hamburg

Stand: 31.07.2020 17:06 Uhr

Seit Anfang der 80er-Jahre demonstrieren Schwule und Lesben in Hamburg für Akzeptanz und Toleranz. Am 28. Juni 1980 zog mit der Stonewall-Demo der Vorläufer des Christopher Street Day erstmals durch die Stadt.

von Stefanie Döscher

Blonde Mähne, dunkles Kleid und Rollschuhe - so sehen die ersten Hamburger Dragqueens aus. Am 28. Juni 1980 ziehen sie bei der Stonewall-Demonstration durch die Straßen der Hansestadt - denn so heißt der Christopher Street Day damals noch.

Stonewall Inn, Christopher Street: Ursprünge in New York

Zurück geht die Parade auf Ereignisse elf Jahre zuvor im New Yorker Stadtteil Greenwich Village. Hier liegt das Stonewall Inn, eine Kneipe in der Christopher Street. 1969 kommt es in der Bar zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Schwulen, Lesben und Transsexuellen und der Polizei. In Erinnerung daran findet ab Sommer 1970 der Christopher Street Liberation Day statt. Eine Parade, in deren Rahmen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle für ihre Rechte demonstrieren. Auch Homosexuelle in Deutschland setzen sich ab Anfang der 70er-Jahre für ihre Rechte ein. Die erste Schwulen-Demo der Bundesrepublik findet 1972 in Münster in Nordrhein-Westfalen statt. Die ersten CSDs - die auch wirklich so heißen - gibt es 1979 in Bremen und Berlin.

Nachzügler Hamburg mit Demo gegen Paragraf 175

Hamburg ist 1980 also eher spät dran, als dort die erste Gay Pride Week stattfindet. Herzstück der Woche: die Stonewall-Demonstration am 28. Juni 1980, der Vorläufer des heutigen CSD. Es ist das erste Mal, dass Hamburger Schwule und Lesben mit Forderungen an die Öffentlichkeit gehen. Sie sind gegen den Paragrafen 175, der Homosexualität unter Männern bestraft. Sonderlich bunt geht es damals auf der Straße noch nicht zu. Den rund 1.500 Demonstrierenden geht es in erster Linie darum, ihre gesellschaftliche Position zu verbessern.

Der Paragraf 175

  • Der § 175 des deutschen Strafgesetzbuches existierte vom 1. Januar 1872 bis zum 11. Juni 1994. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe.
  • 1935 verschärften die Nationalsozialisten den Paragrafen. Sie hoben die Höchststrafe von sechs Monaten auf fünf Jahre Gefängnis an. In schweren Fällen betrug das Strafmaß sogar bis zu zehn Jahre Zuchthaus (§ 175a).
  • Die Bundesrepublik Deutschland hielt zwei Jahrzehnte lang an den Fassungen des § 175 aus der Zeit des Nationalsozialismus fest.
  • Im Jahr 1969 kam es zu einer ersten, 1973 zu einer zweiten Reform des Paragrafen.
  • Erst 1994 wurde er aufgehoben. Insgesamt wurden etwa 140.000 Männer nach § 175 verurteilt, 50.000 von ihnen nach 1949.

"Rosa Listen"? Polizeigewalt im Schanzenpark

Durch die Innenstadt marschieren die Demonstranten ins Schanzenviertel. Auf dem Weg werden sie von einem Polizeiwagen begleitet, aus dem die Beamten Fotos machen. Die Demonstrierenden haben einen Verdacht: Die Bilder werden für "Rosa Listen" verwendet. Auf diesen sammeln Behörden die Namen mutmaßlicher Homosexueller. Als die Aktivisten die Polizisten auffordern, die Filme mit den Bildern herauszugeben, kommt es zum Eklat. Gegen die Demonstranten werden Reizgas und Schlagstöcke eingesetzt, mehrere werden verletzt. Die Bewegung geht mit der Geschichte an die Presse. Die Medien berichten über das Vorgehen der Polizei und stehen mehrheitlich auf der Seite der Demonstranten. Die erste Stonewall-Demonstration in Hamburg wird so zum Erfolg.

Als CSD mit dem "Wärmsten am Norden" zum Erfolg

Von nun an finden Stonewall-Demonstrationen regelmäßig in Hamburg statt. Doch es gibt Differenzen zwischen den verschiedenen Schwulen- und Lesbenbewegungen. Ende der 80er-Jahre kommen kaum noch Menschen zu den Demos. Darum entscheiden sich die Macher 1992 für einen Neuanfang: Mit dem Motto "Das Wärmste am Norden" und unter dem Namen Christopher Street Day legen die Organisatoren die Veranstaltung neu auf. Das Ganze wird deutlich bunter als früher, politische Aussagen gibt es dennoch. Die katholische Kirche gerät in den Fokus, das Thema Outing ist hoch im Kurs und auch die Frage, ob Lehrer denn homosexuell sein dürfen, wird heftig diskutiert.

CSD wird fester Termin für Hamburgs Ersten Bürgermeister

Die Parade zum Christopher Street Day (CSD) zieht am 3. August 2019 durch die Hamburger Innenstadt. Bürgermeister Peter Tschentscher und Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank halten ein Banner. © dpa-Bildfunk Foto: Markus Scholz/dpa
Dass Hamburgs Erster Bürgermeister - hier Peter Tschentscher (SPD) - beim CSD mitläuft, gehört mittlerweile zum guten Ton.

Chris Lambertsen, der bis dahin jeden CSD als Fotograf begleitet hat, bringt zum 30-jährigen Bestehen der Parade einen Bildband heraus. Zu diesem Zeitpunkt ist der Hamburger Christopher Street Day längst zur Institution geworden. Schwule und nicht schwule Politiker nehmen medienwirksam an den Aktionen teil. So ist es völlig normal, dass sich Hamburgs Erster Bürgermeister - von Ole von Beust über Olaf Scholz bis Peter Tschentscher - den CSD für sich als festen Termin einplant. Und auch das öffentliche Interesse an der Parade wächst nach wie vor: 2019 ziehen rund 90.000 Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle durch die Straßen der Hansestadt, gefeiert von rund 110.000 Zuschauern - ein Rekord.

Auch in anderen norddeutschen Städten zieht es die LGBT-Bewegung (aus dem Englischen übernommene Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender) mittlerweile alljährlich auf die Straße, etwa in Kiel, Lübeck, Hannover, Oldenburg und Schwerin.

Christopher Street Day in Corona-Zeiten Fahrrad-Demo

Das 40-jährige Jubiläum des CSD in Hamburg im Jahr 2020 ist wegen der Corona-Pandemie allerdings anders ausgefallen als sonst. Aus der aus der großen, bunten Parade haben die Hamburger Veranstalter eine Fahrrad-Demo mit mehreren Tausend Teilnehmern gemacht, die in mehreren Blöcken durch St. Pauli und Altona führte.

Weitere Informationen
Zwei Männer tanzen in Hamburg © Staatsarchiv Hamburg

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | NDR Kultur - Das Journal | 31.07.2020 | 19:00 Uhr

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