Stand: 17.01.2018 19:27 Uhr

NetzDG-Beschwerden: Facebook fällt im Test durch

von Kathrin Drehkopf und Marvin Milatz
Jemand drückt auf eine Taste mit der Aufschrift "Hass" auf einer Computertastatur. © imago Foto: Christian Ohde
Hass und Hetze im Netz sind zu einem Problem geworden. Hatespeech gelöscht zu bekommen, ist weiterhin schwierig, trotz des neuen NetzDG.

Dieser Beitrag handelt von schlimmen Wörtern, giftigen Anfeindungen und Androhungen von Gewalt. "Scheißfotze" zählt dazu, ebenso "Hurensohn" und die despektierliche Aussage, Afrikaner seien "den ganzen Tag am Fiki Fiki machen". Es sind Beispiele für den Hass, der sich in Kommentaren Tausender Facebook-User finden lässt - und seit Jahren ungesühnt stehen bleibt.

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NetzDG nimmt Plattformbetreiber im Kampf gegen Hatespeech in die Pflicht

Eigentlich sollte das bereits anders sein. Denn Social-Media-Nutzer verfügen seit Anfang des Jahres über eine schnelle Leitung zum Plattformbetreiber, über die sie vermeintliche Straftaten melden können. Diese Leitung - in Form eines Beschwerdeformulars - basiert auf dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das Social-Media-Plattformen mit über zwei Millionen Nutzern in die Pflicht nimmt, rechtswidrige Inhalte zu entfernen.

Facebook antwortet schnell - lässt Hass aber stehen

Allerdings bewertet Facebook die gemeldeten Inhalte offenbar anders, als der Durchschnitts-User oder ein Jurist, so das Ergebnis des ZAPP-Versuchs. Zwar reagiert Facebook schnell, teils innerhalb von Minuten, aber das Löschen von eindeutigen Hasskommentaren oder heftigen Ausfälligkeiten wird abgelehnt.

Die Facebook-Kontrolleure beim ZAPP-Experiment betrachteten auch härteste Beleidigungen offenbar als hinnehmbar. So wie in folgendem Kommentar, der weiterhin unter einem Posting von "RT Deutsch" über Asylklagen zu finden ist:

Auf unsere Beschwerde gab es diese Standardantwort: "Wir nehmen behauptete Rechtsverletzungen sehr ernst und haben Ihre Beschwerde geprüft. Es ist für uns jedoch nicht ersichtlich, dass der von Ihnen gemeldete Inhalt rechtswidrig ist."

Wer darf melden? Facebook vs. NetzDG

In 19 Fällen teilt uns Facebook mit, dass wir, die Meldenden, nicht autorisiert seien, die Beschwerde vorzunehmen: "Wir stellen fest, dass Sie offenbar nicht die in dem gemeldeten Inhalt genannte natürliche oder juristische Personen sind. Außerdem ist nicht ersichtlich, dass Sie anderweitig autorisiert sind, eine Beschwerde im Namen der genannten Partei zu übermitteln."

In einem Telefonat schildert eine Facebook-Sprecherin die Sicht der Plattform. Man halte sich an deutsche Gesetze. Beleidigungen könne etwa nicht jeder Nutzer melden. So begründet die Sprecherin die notwendige Autorisierung. Zudem sieht sie eine falsche Erwartungshaltung. Nicht alles, was Nutzer melden, ist auch eine Straftat und würde gelöscht.

Allerdings meldete ZAPP nicht nur Beleidigungen, sondern auch Volksverhetzung sowie Aufrufe zu Gewalt oder die Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen. Auch diese Strafbestände fallen unter das NetzDG, doch auch solche Kommentare bleiben stehen. Es scheint, dass die Auffassung über das, was verboten ist und was nicht, weit auseinander klafft.

Rechtswidriges steht trotz unserer Meldung weiter im Netz

ZAPP analysierte alle gemeldeten Kommentare mit Feldmann auf ihr strafrechtliches Potenzial. "Aus meiner Sicht sind das typische Beispiele für den Hass und die Aggressivität, die im Internet verbreitet und ausgetauscht wird", sagt er. Es geht um Beleidigungen wie diese unter einem Posting der "Epoch Times":

Nicht nach NetzDG gelöscht sondern den Gemeinschaftsstandards

Ebenfalls erstaunlich: Zwar hat Facebook acht Meldungen ernst genommen und entfernt, das Löschen allerdings nicht mit dem NetzDG begründet. In sechs Fällen zog Facebook die Verletzung seiner Gemeinschaftsstandards als Begründung heran. Zweimal sei der Beitrag bereits gelöscht gewesen, ließ Facebook in einem automatisierten Antwortschreiben wissen.

Warum vermengt Facebook beim Löschen Verstöße gegen das NetzDG mit Verstößen gegen die Gemeinschaftsstandards, wenn es doch zwei getrennte Meldevorgänge gibt?

Die Facebook-Sprecherin erklärt dies mit der Nutzerfreundlichkeit. Man wolle schnellstmöglich reagieren. Ob das für den ersten NetzDG-Halbjahresbericht Konsequenzen hat, also die wegen der Facebook-Hausregeln gelöschten Fälle dort nicht auftauchen werden, könne sie momentan nicht sagen.

Betrachtet man die gelöschten Fälle genauer, fallen auch bei Verstößen gegen die Gemeinschaftsstandards von Facebook Ungereimtheiten auf: Das Netzwerk entfernt etwa die Bezeichnung "Schwuchtel" gegen Macron, lässt "Scheißfotze" gegen Angela Merkel allerdings stehen. "Halbneger" und "Dreckskanake" müssen gehen, "Hurensohn" und "dumme Kuh" bleiben stehen. Warum?

Absagen kommen im Minutentakt

Viel Zeit haben die Facebook-Kontrolleure dabei offenbar nicht: Binnen weniger Minuten erhält ZAPP Antwort über eine jeweilige Facebook-Entscheidung. Dabei hätte Facebook laut Gesetz sogar selbst bei offenkundigen Rechtsbrüchen ein Zeitfenster von 24 Stunden - nur in zwei Fällen in unserem Experiment macht Facebook davon Gebrauch.

Rechtsanwalt Feldmann glaubt nicht, dass man in so kurzer Zeit eine fundierte Entscheidung fällen kann. Selbst erfahrene Juristen könnten das laut Feldmann in so kurzen Zeitfenstern nicht schaffen. "Als gut ausgebildeter Jurist kann ich das nur in einigen Minuten, wenn es eben so offenkundig ist, wie es in den Fällen war, die wir hier zusammen besprochen haben", sagt er im ZAPP-Interview. "Der überwiegende Teil wird für Nicht-Juristen sehr schwer zu beurteilen sein."

Das NetzDG muss verbessert werden, ebenso das Melden von Hatespeech

Dass es kein Kinderspiel ist, einen Strafbestand zu melden, erfährt jeder Nutzer, der über das NetzDG-Beschwerdeformular bei Facebook einen vermeintlichen Gesetzesverstoß zu melden versucht. Er muss sich nämlich zuerst mit einer langen Liste an Paragrafen beschäftigen, gegen die der Kommentar verstoßen haben soll.

Das Meldeformular von Facebook zeigt viele Auswahlmöglichkeiten, warum ein Nutzer einen Inhalt melden möchte - und überfordert diesen damit. © Facebook Foto: Screenshot
Das Facebook-Meldeformular dürfte die meisten Nutzer mit seinen Auswahlmöglichkeiten überfordern.

Jurist Feldmann glaubt nicht, dass Laien aus einer solchen Liste die betroffenen Paragrafen heraussuchen können. "Die meisten gesetzlichen Vorschriften, die hier erwähnt werden, sind für einen juristischen Laien kaum nachvollziehbar." Daher sieht Feldmann auch Verbesserungsbedarf: Das Gesetz müsse vereinfacht werden, sagt der Jurist. Das Ziel müsse sein, "dass diese Formulare sehr viel einfacher für den User benutzbar sind".

Facebooks Sprecherin erklärt, man würde den Straftatbestand auch über die vom User angeklickten Paragrafen hinaus prüfen, brauche die detaillierten Angaben allerdings für den Halbjahresbericht. Für den Nutzer ist das beim Ausfüllen des Formulars nicht ersichtlich. Das Meldeprozedere dürfte für unnötiges Kopfzerbrechen sorgen, denn nach der Einordnung, "gegen welche Paragrafen des deutschen Strafgesetzbuches der gemeldete Inhalt" verstößt, soll der Grund der Meldung noch in eigenen Worten dargelegt werden. Einfach geht anders.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 17.01.2018 | 23:20 Uhr