Zeitreise: Kalter Krieg, Beginn der Raumfahrt und ein Lübecker Astronom
Der Kalte Krieg in den 1950er-Jahren: West und Ost stehen sich unversöhnlich gegenüber. Es wird aufgerüstet. Und der Wettlauf um den ersten Schritt ins All startet.
"Das ist ein echter Schatz, den wir entdeckt haben", die Begeisterung von Oliver Paulien ist in jeder Silbe spürbar. Oliver Paulien ist der Vorsitzende der Sternfreunde Lübeck. Der Verein leitet die Sternwarte Lübeck seit 2007. Letztes Jahr ist die Sternwarte umgezogen. Und beim Aufräumen hat der Verein den "Schatz" entdeckt: Telegramme aus den Jahren 1957 und 1958. Hin- und hergeschickt zwischen Peter von der Osten-Sacken, dem ersten Leiter der Lübecker Sternwarte, und der russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau.
Der Sputnik-Schock
Im Jahr 1957 kündigten sowohl die Sowjetunion als auch die USA Satellitenstarts an. Keiner rechnete allerdings mit einem Start im gleichen Jahr. Am 4. Oktober 1957 war es aber doch soweit: Sputnik 1 startete in der kasachischen Steppe. Der Westen war geschockt. Und während Sputnik 1 auf dem Weg ins All war, beendete der Lübecker Astronom Peter von der Osten-Sacken die Arbeit an seinem Teleskop, das er selbst bauen musste. Denn 1957 war die Sternwarte noch im Aufbau. Der Grund war fehlende astronomische Technik. Der Eigenbau aus Dachlatten und einem Eisenrohr mit Linse sah wenig vielversprechend aus - funktionierte aber.
Telegramme zwischen Lübeck und Moskau
Peter von der Osten-Sacken entstammt einem deutsch-baltischen Adelshaus, hatte im lettischen Riga Astronomie, Physik und Mathematik studiert und sprach fließend russisch. Er galt schon in den 1950er Jahren als ausgezeichneter Wissenschaftler. So war es für ihn leicht, Kontakte zur Akademie der Wissenschaften in Moskau herzustellen. Ein regelmäßiger Austausch begann. Von der Osten-Sacken beobachtete mit seinem selbstgebauten Teleskop in den Oktobernächten 1957 Sputnik 1, berechnete die Bahndaten des ersten Satellits und schickte sie nach Moskau. Moskau überprüfte diese, schickte eigene Ergebnisse und Antworten per Telegramm nach Lübeck zurück.
Spion oder kein Spion

"Das ist natürlich nicht unbemerkt geblieben", so Oliver Paulien von den Sternfreunden Lübeck, "jede Woche Telegramme von Lübeck nach Moskau und zurück. Das war am Ende auch einem Beamten der damaligen Bundespost aufgefallen." Der Astronom Peter von der Osten-Sacken bekam Besuch vom Bundeskriminalamt. Befragungen zu dem regen Schriftverkehr folgten. Aber: Von der Osten-Sacken konnte die wissenschaftliche Relevanz der Telegramme belegen. Die Forschung rund um Sputnik konnte weitergehen.
Forschung trotz Feindbilder
Peter von der Osten-Sackens Arbeit kann man durchaus als erstaunliche Leistung werten. Mitten im Kalten Krieg tauschte er sich regelmäßig mit russischen Wissenschaftlern aus. Und er berechnete Bahndaten eines winzigen Satelliten mit einem selbstgebauten Teleskop. "Sputnik 1 hatte gar keinen wissenschaftlichen Auftrag", meint Oliver Paulien, "das war eine Kugel von 58 Zentimetern Durchmesser, mit vier Antennen, ein Satellit, der dann ein Piepen gesendet hatte. Aber den mit so einem einfachen Teleskop zu erforschen - das ist schon großartig."
Ein langes Forscherleben
Peter von der Osten-Sacken begleitete auch die späteren Sputnik-Missionen wissenschaftlich. Und er baute weiter die Lübecker Sternwarte auf. Die - wie heute - immer an einer Schule ihren Standort hatte. Und so konnten Generationen von Schülern bei dem Lübecker Astronomen eintauchen in die Faszination Weltall. 1990 gab von der Osten-Sacken die Leitung der Sternwarte ab und forschte weiter, entwickelte ein 3D-Videosystem. Am 10. März 2008 starb Peter von der Osten-Sacken im Alter von 99 Jahren. Von seinem Sputnik-Abenteuer sind die Telegramme geblieben - und ein selbstgebautes Teleskop, das immer noch funktioniert und in der heutigen Sternwarte nach wie vor seinen Dienst versieht.
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