Menschen demonstrieren bei einer Friedensbewegung © NDR

Als die Menschen für den Frieden auf die Straße gingen

Sendedatum: 27.03.2022 19:30 Uhr

Proteste gegen nukleare Aufrüstung und NATO-Doppelbeschluss brachte in den 1980er Jahren tausende Menschen auf die Straße. Sie protestierten gegen die Logik, dass noch mehr Waffen den Frieden sichern sollten.

von Karl Dahmen

Björn Engholm sitzt für ein Interview vor der Kamera © NDR
Björn Engholm, ehemaliger SPD-Bundesminister und Fraktionschef im schleswig-holsteinischen Landtag.

Björn Engholm erinnert sich an eine riesige Friedensdemonstration 1983 in Hamburg. 400.000 Menschen haben damals auf dem Rathausmarkt gegen Atomwaffen und das immer bedrohlichere Wettrüsten der Supermächte demonstriert. Und er sollte nun als ehemaliger Bundesminister der SPD und damaliger Fraktionschef im schleswig-holsteinischen Landtag vor den Demonstranten eine Rede halten. "Mir schlotterten die Knie", erinnert sich Engholm heute, aber "bis auf ein paar Tomaten, die ich abgekriegt habe, war es unglaublich freundlich und friedlich. Die Leute wollten Frieden und praktizierten den Frieden auch auf der Straße."

Menschen demonstrieren bei einer Friedensbewegung in der damaligen Hauptstadt Bonn. © NDR
Protest gegen NATO-Doppelbeschluss: Noch heute beeindruckt die große Friedfertigkeit der Friedensbewegung vor 40 Jahren.

Das hat ihn bis heute nachdrücklich beeindruckt: die große Friedfertigkeit der Friedensbewegung vor 40 Jahren. Obwohl es für viele Menschen damals in ihren Augen um Leben und Tod gegangen ist. Die Furcht vor einem Krieg habe damals die Menschen auf die Straße gebracht, sagt deshalb auch Christof Ostheimer. Die Demonstranten hätten befürchtet, dass es zu einem atomaren Krieg auf europäischen Boden kommen könnte. Ostheimer war damals als Pazifist bei den großen Demonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluss dabei. Er fand es unlogisch, dass immer mehr Waffen Konflikte lösen sollten und forderte statt "einer Kriegslogik, eine Friedenslogik", bei der man abrüsten sollte.

Der NATO-Doppelbeschluss

Der NATO-Doppelbeschluss - ihm war vorausgegangen, dass die UdSSR die SS20-Raketen aufgestellt hatte, mobile und hoch moderne Mittelstreckenraketen, atomar bestückt. Und nun hieß es im Beschluss der NATO: Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles, wenn die Sowjetunion nicht über die Abrüstung ihrer Raketen verhandelt. In der Bundesrepublik unterstützte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) diese als "Nachrüstung" bezeichnete Linie, er gilt als einer der Initiatoren des Doppelbeschlusses.

Björn Engholm war damals Bundesminister für Bildung und Wissenschaft in Schmidts Kabinett und meint heute, Schmidt hätte in seinen Augen aus rein rationalen Gründen gehandelt. Der damalige Bundeskanzler war der Meinung, Verhandlungen könne man nur aus einer Haltung der Stärke führen. Eine Linie, die schließlich, trotz vieler skeptischer Fragen, auch Björn Engholm im Kabinett unterstützte und die letztlich auch umgesetzt wurde.

Gegen das "Raketenschach"

Christof Ostheimer sitzt in einem Garten und blickt bei einem Interview in die Kamera © NDR
Christof Ostheimer organisierte Anfang der 1980er Jahre Friedensdemonstrationen.

Christof Ostheimer war 1981 gänzlich anderer Meinung und organisierte Fahrten zu den großen Friedensdemonstrationen Anfang der 1980er Jahre in die damalige Hauptstadt Bonn. Die nukleare Aufrüstung und das "Raketenschach" zwischen Ost und West veranlassten am 10. Oktober 1981 300.000 Menschen zu einer Demonstration gegen den NATO-Doppelbeschluss. Ein Jahr später kamen sogar eine halbe Million Menschen in die Bundeshauptstadt, um zu protestieren.

Auch kirchliche Friedensaktivisten in Bonn

Menschen demonstrieren bei einer Friedensbewegung in Hamburg 1983. © NDR
Tausende Menschen demonstrierten Anfang der 1980er Jahre auch gegen die nukleare Aufrüstung.

Mit dabei war auch die damals 21 Jahre alte Studentin Annette Wiese-Krukowska. Mit einer kleinen Gruppe kirchlicher Friedensaktivisten hatte sie den Weg von Kiel nach Bonn angetreten. Sie sei "geflasht" gewesen von dem "Riesenstatement für den Frieden", erzählt sie heute. Sie fühlte sich damals durch die vielen anderen Demonstranten bestätigt: Beten allein reiche nicht, man brauche eine politische Bewegung. Annette Wiese-Krukowska sagt heute: "Wir haben damals in beide Richtungen geschaut, auf die NATO und auch auf den Warschauer Pakt. Die Menschen wollten einfach ein Stop-Signal setzen, dass Krieg nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein kann."

Sympathie für die Friedensbewegung

Heute schaut Björn Engholm mit viel Sympathie auf die damalige Friedensbewegung - auch, wenn er selbst damals als Minister die Regierungslinie vertreten habe, pro "Nachrüstung". Engholm meint, die Hoffnung der Bewegung, mit weniger Waffen gesicherten Frieden zu schaffen, sei im Grundprinzip sympathisch. Es sei verständlich, keine Politiker zu wollen, die meinen, einen Krieg gewinnen zu können. Aber er ist auch der Meinung, "dass Helmut Schmidt damals Recht gehabt hat, nur aus einer Position der Stärke heraus zu verhandeln. Ein Gleichgewicht zu schaffen." In Angesicht von Atomraketen, nur wenige hundert Kilometer entfernt von der deutschen Grenze, könne aber auch heute nur das Ziel sein, irgendwann wieder zu verhandeln - ins Gespräch zu kommen. Diese Hoffnung dürfe nicht verloren gehen.

Christof Ostheimer zeichnet in diesen Tagen die Plakate für die Ostermärsche. Rund um die Feiertage sollen Menschen auf die Straße gehen, um für den Frieden zu demonstrieren. Die klassische Friedensbewegung sei überaltert, meint er: "Wir sind Opas und Omas". Er hofft, dass durch die Ereignisse in der Ukraine auch viele junge Menschen mit auf die Straße gehen, um dafür zu demonstrieren, dass man eine friedfertige und lebenswerte Welt nur ohne Waffen schaffen kann.

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Dampflokomotive aus dem 19. Jahrhundert. © dpa - report Foto: Votava

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Dieses Thema im Programm:

NDR Vokalensemble | Schleswig-Holstein Magazin | 27.03.2022 | 19:30 Uhr

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Die 80er-Jahre