Auf einer alten Aufnahme sieht man, wie zahlreiche Menschen vor der Möllner Chenille Fabrik stehen. © NDR

Zeitreise: Der künstliche Weihnachtsbaum von Mölln

Sendedatum: 20.12.2020 19:30 Uhr

In den 1950er Jahren belieferte ein Fabrikant aus einer kleinen Stadt im südlichen Schleswig-Holstein die Welt mit künstlichen Weihnachtsbäumen.

von Karl Dahmen

Kaum zu glauben, aber wahr: Alle künstlichen Weihnachtsbäume in Pariser, Londoner oder New Yorker Kaufhauspalästen in den 1950er Jahren kamen aus dem Kreis Herzogtum Lauenburg. Es waren sogenannte "Möllner Tannen" aus der Eulenspiegel-Stadt. Erfunden hat die Bäume der sächsische Fabrikant Karl Walter Heerklotz, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Mölln eine Chenille-Werkstatt eröffnete. Chenille ist ein besonderes Garn. Der Fabrikant Heerklotz gewann es aus Plastik und fertigte mit ihm die besonders langlebigen Weihnachtsbäume an. Zeitweise arbeiteten mehr als 150 Menschen in seinen Werkstätten in Mölln. Er war begeistert von der Stadt und meinte, ihm gefiele sie so gut, weil es hier viel Wald, viele Seen und ausbaufähige Arbeitsräume gab. Zudem sei Mölln in verkehrsgünstiger Lage.

Von Mölln in die Welt

Schon in den 1950er Jahren lieferte die Firma von Karl Walter Heerklotz seine künstlichen Tannen in die ganze Welt. Zeitweise gingen mehr als 100.000 Bäume in den Verkauf, vor allem nach Australien, den USA und nach Japan. Auch wenn sie zwei- bis dreimal so teuer waren, wie zum Beispiel eine natürliche Nordmanntanne, wurden sie ein Verkaufsrenner. Vor allem in den warmen Ländern fanden die Plastik-Weihnachtsbäume einen Absatzmarkt.

Hier rieseln keine Tannennadeln

Zu sehen ist ein künstlicher goldener Weihnachtsbaum, der mit Sternen dekoriert ist. © NDR
Künstlich goldene Weihnachten - bei diesem Baum konnte man sich das dekorieren sparen.

Auch in Deutschland kauften sie viele, die lieber "den Schnee rieseln hören, als die Tannennadeln", wie Christian Lopau sagt. Er ist Archivar in Mölln, in dessen Archiv sich auch Kataloge aus den 1980er und 1990er Jahren der "Möllner Tanne" finden. Er ist beeindruckt, dass die Firma teilweise an die 200 verschiedene Produkte anbot, in allen Formen und Farben. Ausgerichtet waren sie an den jeweiligen Geschmack der Kultur des Landes, in das die "Möllner Tanne" geliefert wurde. Das reichte von den grellsten Bonbonfarben, bis zum natürlichen Grün. Ein besonderer Hit war der sogenannte Patentbaum, ein Weihnachtsbaum, der sich automatisch entfaltet. Eine Erfindung aus der Chenille-Fabrik aus Mölln.

Konkurrenz aus Fernost

1989 aber lag die Firma am Boden. Falsche Entscheidungen, zu hohe Kosten und Spionage machten der Firma zu schaffen. Inzwischen konnten Firmen aus Fernost Plastik-Weihnachtsbäume viel preiswerter herstellen, als ihre Konkurrenten in Schleswig-Holstein. 1989 erwarb Horst Flöter die "Möllner Tannen" und musste eine Radikalkur durchführen, um den Namen und die Firma zu erhalten. Er verlagerte den Produktionsort von Mölln in die Slowakei - später, als auch dort die Löhne zu hoch wurden, nach Polen.

Noch heute werden für Kaufhäuser große Weihnachtsbäume aus Plastik hergestellt und immer noch sind es "Möllner Tannen". Sie stehen in großen Einkaufszentren, zum Beispiel im Europa-Center in Hamburg oder in Karstadt-Filialen, wie Horst Flöter erzählt. Er ist einer der letzten Zeugen, die die Produktion in Mölln miterlebten, als in einer kleinen Stadt im südlichen Schleswig-Holstein die Weihnachtsdekoration für die Welt gemacht wurde.

Archiv
Dampflokomotive aus dem 19. Jahrhundert. © dpa - report Foto: Votava

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 20.12.2020 | 19:30 Uhr

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