Sendedatum: 29.01.2013 21:15 Uhr

"Es ging nur noch um Anmache ..."

Also, so schlimm ist das doch auch wieder nicht: Ein blöder Spruch, spät abends an der Bar, nach ein paar Gläsern Wein? Das hat Rainer Brüderle doch gar nicht so gemeint, ist ihm einfach rausgerutscht, kann mal passieren - die Brüderle-Freunde spielen die Begegnung mit der "stern"-Journalistin Laura Himmelreich seit Tagen herunter. Harmlos sei der Brüderle. Tatsächlich? "Er konnte ganz gerne auch mal verbal übergriffig sein", sagt Hanni Hüsch, langjährige Korrespondentin in Berlin. Gemeinsam mit ihren NDR-Kolleginnen Gesine Enwaldt und Patricia Schlesinger berichtet sie im NDR-Politikmagazin Panorama 3 vom zweifelhaften Ruf des FDP-Fraktionsvorsitzenden Brüderle - und von ihren Erfahrungen mit sexuellen Belästigungen durch Politiker. Alle drei Journalistinnen haben für die ARD aus der Hauptstadt berichtet, kennen die Politik-Szene in Berlin. Ihr Fazit: Der #aufschrei ist überfällig.

"Brüderle hatte diesen Ruf"

Gesine Enwaldt © gesineenwaldt.de
Gesine Enwaldt, ehem. Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio, erlebte Brüderle als schlüpfrig.

Gesine Enwaldt, Korrespondentin ARD-Hauptstadtstudio 1998-2000: "Vormittags um elf hatte ich eine Begegnung mit Herrn Brüderle, die sich ähnlich abgespielt hat - ich hatte damals den Auftrag, mich um die FDP zu kümmern für das Hauptstadstudio - und dieses Gespräch driftete relativ schnell ab in eine eher schlüpfrige, unangenehme Ebene, wo es von seiner Seite aus nur noch um Anmache ging. Und das habe ich als extrem unangenehm empfunden - und hab das dann einfach verdrängt."

VIDEO: Sexismus-Aufschrei: Ende des Schweigens (8 Min)

Hanni Hüsch, Auslandskorrespondentin im ARD-Studio Washington © NDR Foto: Marcus Krüger
Hanni Hüsch: "Brüderle war auch mal verbal übergriffig."

Hanni Hüsch, Korrespondentin ARD-Hauptstadtstudio 1998-2005: "Das ist immer mal wieder Thema zwischen uns Kolleginnen in Berlin gewesen. Das liegt ein paar Jahre zurück, aber der Rainer Brüderle hatte bei uns durchaus den Ruf, dass es nicht zwanghaft schicklich ist, mit dem in einem Zimmer alleine zu sein - und dass er schon ganz gerne auch mal verbal übergriffig sein konnte."

Patricia Schlesinger, Panorama-Reporterin 1990-1995: "Ich habe das selber auch mehrfach erlebt. Auch mit einem Politiker aus der FDP - vor vielen, vielen Jahren: Das Interview ist zu Ende, das Kamerateam räumt ein, hat schon fast den Raum verlassen, und ich hab eine Hand auf dem Knie mit dem Satz 'Wir sollten unbedingt mal einen Wein trinken gehen - am besten noch heute.'"

"Sie hat's drauf angelegt? Eine Unverschämtheit!"

Gesine Enwaldt: "Ob das nachts um elf ist oder morgens um elf, gilt eine ganz einfache Regel: Wir begegnen uns mit Respekt. Und das ist offenbar da nicht passiert."

Hanni Hüsch: "Ich finde es absolut fatal, wie aus der Angegriffenen plötzlich der Täter wird. Und wie sich vor allem die FDP positioniert, die Rainer Brüderele nunmehr in Watte packt und ihn fast so auf die Ebene eines Opfers schiebt. Und die Kollegin muss sich Fragen gefallen lassen, die sich einfach nicht gehören. Fragen zum Beispiel, wie 'Wie kommt die Frau dazu, dass sie sich überhaupt abends in einer Bar mit einem Politiker unterhält?' - das gehört in Berlin zum normalen Geschäft eines Journalisten dazu."

Patricia Schlesinger © NDR Foto: Marcus Krüger
Auch Patricia Schlesinger erinnert sich an einige unangenehme Situationen.

Patricia Schlesinger: "'Sie hat‘s darauf angelegt', finde ich schlichtweg eine Unverschämtheit. Das ist die alte Version von 'das Vergewaltigungsopfer hat genau das provoziert, weil der Rock zu kurz war' - nichts dergleichen!"

Wie der Geist aus der Flasche

Gesine Enwaldt: "Wenn es jetzt so gedreht wird, als hätte Frau Himmelreich diesen unangenehmen Vorfall provoziert, finde ich das hanebüchen ehrlich gesagt."

Hanni Hüsch: "Wer geht gerne zu seinem Chefredakteur und sagt 'Du, ich bin da klein gemacht worden?' Ich glaube, dass es viele Kollegen dann lieber wegstecken und ignorieren, weil sie keine Lust haben, sich auf so eine Rolle reduzieren zu lassen."

Gesine Enwaldt: "Das wäre ja die Demütigung Teil zwei geworden, wenn wir uns geoutet hätten bei unseren Vorgesetzten und hätten damit sagen müssen, 'Ich war gerade in einer Situation, wo ich nicht ernst genommen wurde und wo ich gedemütigt wurde.' Deswegen haben wir das nicht gemacht."

Hanni Hüsch: "Das ist ein Aufschrei, der geht ja einmal quer durch's ganze Land, durch alle Berufsgruppen. Immer wieder gibt es Frauen, die so etwas erleben in ihrem Berufsumfeld. Wir sind wahrscheinlich nicht mal in unserem eigenen Sender frei davon, dass Kolleginnen hier das Gefühl haben, ihnen wird in unangemessener Weise begegnet."

Gesine Enwaldt: "Das ist mir auch jetzt erst klar geworden, wie überfällig das ist - auch im Gespräch mit anderen Kolleginnen. Das ist ja wirklich, als wäre der Geist aus der Flasche. Es brodelt sozusagen - und allen Frauen fallen tausend Geschichten ein, die sie erlebt haben - über die sie nie geredet haben, die nie diskutiert und nie thematisiert wurden."

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 29.01.2013 | 21:15 Uhr

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