Besucherboom an der Ostsee

Wie viel Tourismus verträgt die Küste?

Dienstag, 13. August 2019, 21:15 bis 21:45 Uhr
Donnerstag, 15. August 2019, 01:45 bis 02:30 Uhr

Lange kämpfte die Lübecker Bucht mit dem Image der praktischen, aber lieblosen Betonbauten aus den 1970er-Jahren und stand in Konkurrenz mit den frisch sanierten Häusern in Mecklenburg-Vorpommern. Doch große neue Hotels, modernisierte Promenaden und Sportevents lassen die Übernachtungszahlen seit Jahren nach oben steigen. Das ist auch so gewollt: Das Land Schleswig-Holstein hat sich in seinem Tourismuskonzept 30 Prozent mehr Übernachtungen und 30 Prozent mehr Umsatz vorgenommen - bis 2025.

Keine Wohnungen für die Einheimischen

Wer also zum Beispiel in Grömitz Urlaub machen will, findet Hunderte von Unterkünften, aber wer hier leben will, muss Geduld und Geld mitbringen. Denn in dem Badeort sind Mieten von durchschnittlich knapp 10 Euro pro Quadratmeter inzwischen keine Seltenheit. Viele Menschen arbeiten aber hier in der Gastronomie und Hotellerie und verdienen deshalb nicht so, dass sie sich solche Mieten leisten können.

Kevin Polzin (l.) mit seiner Frau © NDR Foto: Screenshot
Die Polzins suchen eine bedarfsgerechte Wohnung.

So wie Kevin Polzin: Er ist in Grömitz groß geworden und wollte nun nach seiner Ausbildung wieder zurück in die Heimat. Einen Job als stellvertretender Küchenchef in einer Mutter-Vater-Kind-Klinik hat er schon. Doch eine Wohnung sucht er seit drei Jahren. Schließlich ist er mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern ins benachbarte Kellenhusen gezogen. Doch selbst hier haben sie nur eine kleine Wohnung gefunden: Die 60 Quadratmeter sind für die vierköpfige Familie zu eng. Sie wären bereit, für eine 4-Zimmer-Wohnung immerhin 1.000 Euro auszugeben. Doch für das Geld finden sie keine Wohnung in Grömitz.

Eine Ganzjahresdestination mit Folgen

Das geht nicht nur ihm so: Viele Einheimische sorgen sich, wie viel Tourismus ihr Ort eigentlich verträgt. Auch in den Nachbarorten Timmendorfer Strand und Scharbeutz ist schon viel umgesetzt worden vom schleswig-holsteinischen Tourismuskonzept. Mitverantwortlich dafür ist auch Jens Friedländer: Er ist Investor und hat viel in Scharbeutz investiert. Dass es dort jetzt die schicke Dünenmeile mit ihren vielen Restaurants und Cafés gibt, ist vor allem sein Verdienst. "Da war natürlich schon Potenzial hier, also der Ort war ja relativ tot bis 2010, also bis Winter 2010 war hier nichts los. Da konnten Sie alles zuschließen. Inzwischen sind wir eine Ganzjahresdestination geworden. Sie können hier genauso im Winter in den Urlaub fahren wie im Sommer - und es hat sich dadurch natürlich unheimlich viel entwickelt - auch in der Infrastruktur, die wir hier drum herum geschaffen haben. Es ist ja nicht nur hier was entstanden, sondern auch drum herum. Dahinten ist ein Hotel entstanden und das geht dann hoffentlich so weiter", schwärmt Friedländer.

Nicht alle profitieren vom Boom

Jens Friedländer © NDR Foto: Screenshot
Freut sich über den Boom: Jens Friedländer.

Er habe das Tourismuskonzept übererfüllt. Und die Einheimischen hätten ja von der Verschönerung der Orte auch etwas, sagt Friedländer. Das sehen viele von ihnen allerdings nicht so. Es verdiene nicht jeder Zehntausende von Euro oder habe Eigentum, das man als Feriendomizil vermieten könne, erzählt ein Grömitzer. Das Wort "Versyltung" fällt immer wieder. Das bedeutet auch: Ferienhäuser, die drei, vier Wochen im Jahr bewohnt sind - und den Rest der Zeit leerstehen. Und die Menschen vor Ort finden keinen Wohnraum. Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) sieht das nicht als Problem. Er sehe "zurzeit jedenfalls keine Situation, dass wir massive Unterbringungsschwierigkeiten hätten für Einheimische in den Orten".

Gemeindevertreter Karsten Sachau (SPD) ist da selbstkritischer. Grömitz habe in den letzten Jahren zu sehr an den Tourismus und zu wenig an die Einheimischen gedacht. Seit Jahren sieht er die Bebauung seines Heimatortes mit Sorge. Erben verkaufen ihre Elternhäuser, Investoren kommen und bauen hochpreisige Wohnkomplexe. So sollen zum Beispiel allein aus sechs Einfamilienhäusern rund 70 Wohneinheiten entstanden sein, sagt Sachau. Die meisten davon gehen in die Ferienvermietung oder sind Zweitwohnsitze. Davon gibt es übrigens in Grömitz inzwischen mehr als Erstwohnsitze.

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