Sendedatum: 12.05.2020 21:15 Uhr

Coronavirus: Die breite Front der Verharmloser

von Philipp Hennig, Jörg Hilbert, Mirco Seekamp und Lea Struckmeier

Einige Ärzte stellen sich derzeit gegen die Erkenntnisse angesehener Virologen und Epidemiologen und behaupten, das Coronavirus sei für die breite Masse nicht gefährlich. Im Netz bieten Ärzte Blanko-Atteste zum Herunterladen für jedermann an, mit denen man sich angeblich von der Maskenpflicht befreien kann. Andere empfehlen entgegen der gängigen Lehrmeinung Vitamin-C-Kuren gegen Covid-19. Gleichzeitig genießen Ärzte ein besonders hohes Vertrauen in der Gesellschaft. Wie gefährlich ist es, wenn einzelne Ärzte wissenschaftlich nicht belegte Therapien empfehlen, das Coronavirus verharmlosen und damit Verschwörungsideologen unterstützen?

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Demonstrierende berufen sich auf Verschwörungsmythen

Demonstrant gegen die Corona-Maßnahmen in Hamburg mit Plakat gegen Bill Gates © NDR Foto: Screenshot
Demo gegen Corona - und Bill Gates. Diese Demonstrantin glaubt an eine Verschwörung.

Sichtbar wurden diese "Wahrheiten" der sogenannten Corona-Rebellen am vergangenen Sonnabend in vielen deutschen Großstädten. Auch auf dem Hamburger Rathausmarkt versammelten sich mehrere Hundert - häufig ohne Masken und Abstand. Eine Demonstrantin sagt: "Ich bin hier, weil ich von der Wahrheit durchdrungen bin. Weil ich diese ganze Corona-Geschichte für Lug und Betrug halte." Auf dem Rücken ihrer Jacke hat sie ein Plakat befestigt, auf dem steht: "Gib Gates keine Chance!". Microsoft-Gründer und Multimilliardär Bill Gates könnte hinter dem Coronavirus stecken, meint eine Frau auf der Hannoveraner Demo: "Er will sieben Milliarden Menschen impfen." Ein Nebenstehender wirft ein: "Und chippen!" Wie viele andere haben sie diese "Wahrheit" aus dem Internet. Dort wird so etwas von Verschwörungsideologen verbreitet.

Suche: Einfache Lösung für komplexes Problem

Hans-Jürgen Wirth © NDR Foto: Screenshot
Hans-Jürgen Wirth ist außerplanmäßiger Professor am Institut für Soziologie im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt.

Der Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth sieht in der Suche nach einfachen Lösungen ein ganz menschliches Verhalten. Nach nahezu zwei Monaten Kontaktbeschränkungen wollen viele zur Normalität zurück. Doch das ist in vollem Umfang nur schwer möglich. Die Forschung zu Covid-19 steht erst am Anfang. Virologen und andere Fachleute müssen ihre Aussagen gelegentlich revidieren - wenn sie neue Erkenntnisse gewinnen konnten. "Um diese Widersprüche in der Welt auszuhalten, dazu braucht man ja eine Toleranz, eine innere Stärke, das auszuhalten. Das bringen viele Menschen nicht auf und suchen lieber einfache Erklärungen", sagt Wirth. Diese Erklärungen finden sich zuhauf im Internet. Dort würde man auch Verschwörungsideologen treffen, die nach ähnlichen Mustern vorgehen. Das betont Hans-Jürgen Wirth und stellt fest: "Man will das Böse in der Welt erklären und dafür suchen sich Verschwörungstheoretiker Sündenböcke.“ In diesem Fall zum Beispiel Bill Gates oder die Bundesregierung

Mediziner geben "Corona-Rebellen" Futter

Claus Köhnlein © NDR Foto: Screenshot
Empfiehlt gegen Covid-19 Bettruhe und warme Getränke: Dr. med. Claus Köhnlein.

Dass es angeblich geheime Gruppen gibt, die Einfluss auf die Regierung nehmen, sind sich sogar einige Ärzte sicher. Auf der Hannoveraner Demonstration spricht Arzt Heiko Schöning von einer "Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht." Dr. med. Claus Köhnlein ist praktizierender Internist aus Kiel und sagt im Panorama-3-Interview: "Ich frage mich, wie man unserer Bundeskanzlerin Angst gemacht hat." Er bekräftigt: "Ich sehe von dem Virus gar keine Gefahr ausgehen" und nennt Covid-19 einen "Schnupfen-Virus", gegen den er "heiße Zitrone und Bettruhe" empfiehlt. Und er ist nicht der einzige, der sich so entschieden gegen die gängige Forschung stellt. Einen ähnlichen Standpunkt vertritt die neu gegründete Gruppe "Ärzte für Aufklärung", die vor allem aus Homöopathen, Alternativmedizinern und Gegnern der Schulmedizin besteht. Das sei typisch, meint Bernd Harder, Sprecher der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften. Er ist der Auffassung: "Die waren immer schon ablehnend gegenüber der Schulmedizin eingestellt, kritisieren die Pharmaindustrie. Da wird eigentlich nur das, was im Moment passiert in ein bestehendes Weltbild eingebaut."

Püschel als ungewollter Unterstützer der Gegenbewegung

Klaus Püschel © NDR Foto: Screenshot
Nicht das erste Mal wegen umstrittener Äußerungen in den Schlagzeilen: Rechtsmediziner Klaus Püschel.

Ein Name, der bei Demonstrationen im Norden am Wochenende häufig gefallen ist, ist der von Professor Klaus Püschel. Er ist renommierter Mediziner und Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Die "Corona-Rebellen" beziehen sich offenbar auf Aussagen Püschels in den Medien. Dort hatte er kundgetan, Covid-19 sei "eine vergleichsweise harmlose Viruserkrankung". Im "Hamburger Abendblatt" vom 15. April 2020 sagte Püschel, dass alle von ihm obduzierten Corona-Opfer schwere Vorerkrankungen gehabt hätten. Und dass sie "auch wenn das hart klingt, alle im Verlauf dieses Jahres gestorben wären". Mit solchen Äußerungen findet er bei den "Corona-Rebellen" ein dankbares Publikum. "Die greifen gerne auf solche Autoritätsfiguren zurück und nehmen die als Beleg", erläutert Psychoanalytiker Wirth. Auf Nachfrage antwortet Rechtsmediziner Püschel am Tag der Sendung: "Wenn ich mit meinen Hinweisen zu nachgewiesenen Risikokonstellationen Betroffene verunsichert haben sollte, dann ist gerade das nicht meine Absicht."

Risikogruppe in Angst vor Corona-Verharmlosern

Klaus (l.) und Benni Over © NDR Foto: Screenshot
Klaus Over hat Angst um seinen Sohn Benni. Als Risikopatient wäre eine Infektion mit Covid-19 für ihn schwerwiegend.

Die Demonstrationen am Wochenende machen vor allem Menschen aus der Risikogruppe Angst, wie Familie Over aus der Nähe von Koblenz. Ihr Sohn Benni Over leidet an einer seltenen Art von Muskelschwund. Er ist auf den Rollstuhl angewiesen und wird künstlich beatmet. "Corona mit dem, was wir wissen, wäre für Benni der sichere Tod", sagt Vater Klaus Over. "Wir haben wirklich die Sorge, dass sich die Gesellschaft nicht durch Corona zusammenfügt zu mehr Solidarität, sondern noch zu mehr Egoismus." Aus dieser Sorge lebt die Familie seit Wochen isoliert. Der Appell des Vaters: "Es sind die Gesunden, Fitten, die durch den Alltag laufen und die sind das Risiko."

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Gerd Walther © NetzwerkRecherche Berlin

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 12.05.2020 | 21:15 Uhr

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