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Mythos Katar - Wüstenstaat der Gegensätze

Donnerstag, 27. Oktober 2022, 20:15 bis 21:00 Uhr
Montag, 31. Oktober 2022, 13:00 bis 13:45 Uhr

Es ist eine schillernde und bunte Welt voller arabischer Abenteuer: die Welt der Scheichs, die Welt des Big Business. Und es ist auch ihre Welt: Millionen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter machen den Traum einer modernen Monarchie erst möglich.

Katar! Für viele Menschen ist das Land ein korruptes, steinreiches Emirat voller Zwangsarbeiter ohne Rechte und Geschäftemacher mit dubiosen Machenschaften. Und tatsächlich, vieles hier ist fragwürdig und undemokratisch, denn Katar ist eine absolute Monarchie mit dem Emir an der Spitze. Zugleich aber ist Katar fortschrittlich und modern.

Alles in Katar ist auf Doha ausgerichtet, die Hauptstadt an der Ostküste. Ihre imposante Skyline ist mittlerweile weltberühmt. Vor 30 Jahren stand hier nur das altehrwürdige Sheraton Grand als einziges Hotel. Heute ist Katar ein einziger Boom. Öl und Gas haben die Entwicklung des Emirats rasant beschleunigt.

Ein phänomenaler Aufschwung

Abdullah Bin Hamad Al Attiyah ist daran nicht ganz unschuldig. Geboren in den 1950er-Jahren hat er den rasanten Aufstieg nicht nur selbst miterlebt, sondern sozusagen ausgelöst. Er gehört zu den handverlesenen Katarern, die mit Euer Exzellenz angesprochen werden. Er ist ranghoher Staatsmann, Diplomat und kennt den Emir persönlich. Und Abdullah war 20 Jahre lang Katars Öl- und Energieminister: "Dass wir zum größten Exporteur für LNG, für Flüssiggas, wurden, das ist mein Verdienst. Darauf bin ich stolz. Ich konnte nicht nur meinen Traum verwirklichen, sondern den Traum aller Katarer. Jetzt sind wir zu einem der reichsten Länder der Welt geworden." Abdullah hat dieses verschmitzte Lachen und die einladende Herzlichkeit, die die meisten Menschen in Katar sympathisch machen.

Den phänomenalen Aufschwung haben die Katarernatürlich nicht allein geschafft, im Gegenteil. Es gibt nur rund 400.000 katarische Staatsbürger. Die Hauptlast, dieses Land voranzubringen, tragen die 2,2 Millionen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter. Etwa acht von zehn Menschen, die in Katar leben, sind Migranten. Knapp eine Million von ihnen arbeitet auf den Baustellen des Emirats, die meisten kommen aus Nepal, Indien, Bangladesch oder den Philippinen. Ihre Schicksale lassen den Glanz des Emirats mitunter in einem ganz anderen Licht erscheinen: "Bisher ist keiner von meinen Freunden gestorben", sagt Yogendra Chhiteri. "Aber sowas passiert manchmal. Meistens hört man von Vorfällen mit Herzanfall." Die Bauarbeiter schuften bei zum Teil großer Hitze und für wenig Geld. Der Mindestlohn in Katar liegt bei 1.000 Ryal, gut 260 Euro.

Stolz und Leidenschaft

Es gibt nur wenige Orte hier, an denen sich Gastarbeiter und Einheimische auf Augenhöhe begegnen und dasselbe wollen. Das Beirut Restaurant ist so ein Ort. Für wenig Geld essen hier alle, Bauarbeiter, Akademiker, Zugewanderte, echte Katarer mit ihren Familien. Und alle wollen Falafel, das Beste im ganzen Land. Der Charme des Lokals erschließt sich nicht unmittelbar, spätestens aber dann, wenn die Gäste ins Schwärmen kommen: "Dieses Restaurant ist das Restaurant meiner Kindheit. Die Qualität hier ist die Beste. Es ist so einzigartig, dass man immer wiederkommt." Das Beirut gibt es schon seit 1959. Bis heute ist es fest in der Hand von Familie Shahin. Ursprünglich kommt die Familie aus dem Libanon. Seit mehr als 60 Jahren ist ihr Erfolgsrezept ziemlich simpel. "Einfach gesagt: die Liebe zum Kochen und der Stolz", sagt Ali Shahin junior. "Ich bin sehr stolz darauf!"

Der Stolz und die Leidenschaft treiben auch Lolwa Al-Marri an. Ihr großes Ziel: die Olympischen Sommerspiele in Paris 2024. Sie möchte die erste katarische Triathletin bei Olympischen Spielen sein. Doch Tag für Tag kämpft Lolwa für noch viel mehr: "Manche raten mir immer wieder vom Sport ab! Weil wir in Katar Gebräuche und Traditionen haben, dass Frauen zu Hause bleiben, daher sieht man beim Sport leider nur wenige Frauen", sagt sie. "Ich glaube aber, dass Sport für die Psyche der Frauen sehr wichtig ist. Hoffentlich können wir die männliche Denkweise ändern."

Ein Wüstenstaat der Gegensätze

Tatsächlich hat sich in Katar in puncto Frauenrechte schon sehr viel getan. Auch wenn es aus europäischer Sicht seltsam klingen mag: Frauen fahren hier völlig selbstverständlich Auto und sind berufstätig. Fast 70 Prozent der Studierenden an katarischen Universitäten sind Frauen. Trotzdem ist die Gesellschaft in Teilen noch immer konservativ. Lolwa will also nicht nur sich selbst beweisen, was sie kann: Sie nimmt an der legendären "Al Adaid Desert Challenge" teil, einer Kombination aus Fahrradrennen und Lauf quer durch die Mesaieed-Wüste im Süden Katars, kurz: einer Tortur für Sportverrückte.

In der Metropole Doha dagegen sieht so gar nichts mehr nach Wüstenstaat aus. Tatsächlich rüstet sich das Emirat längst mit Milliardeninvestitionen für die Zeit, wenn Öl und Gas zu Ende gegangen sind. Ein Paradebeispiel für dieses moderne, andere Katar ist Education City: Auf dem Reißbrett hat das Emirat ein ganzes Universitätsviertel entworfen und kurzerhand gebaut, inklusive Parks, Fußball- und Reitstadion, Moschee, Krankenhaus und Kongresszentrum. Manch renommierte Universität der Welt hat hier einen Standort, die Northwestern University oder Georgetown University etwa. Mitten in Education City arbeitet Ebrahim Al Bishri im imposantesten Bau des Viertels, einem neuen Wahrzeichen der Stadt: der Nationalbibliothek, natürlich die größte Bibliothek im Mittleren Osten. "Manchmal kann ich es nicht glauben, dass ich hier arbeiten darf", sagt Ebrahim. "Wer diesen Ort besucht, vergisst ihn nie." Es ist ein ikonischer, sonnendurchfluteter Bau des niederländischen Stararchitekten Rem Koolhaas und soll das Aushängeschild sein für einen neuen Geist im Land: offen, transparent und klug. Katar hat eines der besten Bildungssysteme in der Golfregion. Schule, Universität, auch die Bibliothek: alles kostenlos, für alle. Auch das ist Katar. Ein Land, von dem jeder gehört hat und das kaum einer wirklich kennt. Ein Wüstenstaat der Gegensätze.

Autor/in
Maik Gizinski
Kamera
Sebastian Wagner
Felix Korfmann
Schnitt
Fabian Teichmann
Sprecher/in
Constantin von Westphalen
Redaktion
Fabian Döring
Produktionsleiter/in
Virginia Maassen
Redaktion
Quibeldey, Ralf

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