SeaWatch3

Seenotrettung im Mittelmeer

Mittwoch, 21. Februar 2024, 00:15 bis 02:05 Uhr

"Du Komplizin von Menschenhändlern! Schäm dich!" schreien ihr Menschen am Pier entgegen. Als Carola Rackete im Hafen von Lampedusa unter Buhrufen und Jubel abgeführt wird, richten sich alle Kameras auf sie. Die deutsche Kapitänin hat die "SeaWatch3" mit Geflüchteten an Bord ohne Erlaubnis in den italienischen Hafen gesteuert und wird vorläufig festgenommen. Ihre Verhaftung ist das spektakuläre Ende einer wochenlangen Odyssee auf hoher See. Wie kam es so weit? Was ist in den drei Wochen auf See passiert?

21 Tage an Bord der "SeaWatch3"

In dem Dokumentarfilm "SeaWatch3", für den Komponist Nils Frahm die Musik schrieb, können die Zuschauer hautnah miterleben, was später weltweit für Schlagzeilen gesorgt hat. Die Filmemacher Nadia Kailouli und Jonas Schreijäg haben all das dokumentiert. 21 Tage lang waren sie an Bord der "SeaWatch3". Vom Auslaufen bis zur Verhaftung. Sie filmen, als die Freiwilligen der "SeaWatch3"-Crew 53 Menschen aus einem Schlauchboot im offenen Meer retten. Sie filmen, als um zwei Uhr morgens plötzlich die italienische Polizei an Bord kommt und eine persönliche Warnung von Innenminister Matteo Salvini überbringt.

 Und: Sie hören die Geschichten der Geretteten, die ihnen nach und nach vom Horror Libyens erzählen. "Sie haben Menschen die Kehle durchgeschnitten. Sie haben Menschen vor unseren Augen verbrannt", erzählt eine junge Frau, die ihren Peinigern irgendwann entkommen konnte. "Lieber ertrinken wir im Meer, als dass auch uns die Kehle durchgeschnitten wird." Die Filmemacher dokumentieren, wie Kapitänin Rackete unermüdlich mit den Behörden verhandelt.

Das Schiff darf nicht anlegen

Über Wochen will kein europäischer Staat die Geflüchteten aufnehmen. Der italienische Innenminister Salvini schließt die Häfen und poltert, die "SeaWatch3" könne bis Weihnachten auf See bleiben. Und so fährt das Rettungsschiff wochenlang im Zickzack-Kurs vor Europas Außengrenze umher. Dabei ist Lampedusa so nah. Tag ein, Tag aus: Hoffnung und Verzweiflung an Bord. Die 53 Geretteten Menschen teilen sich den harten Schiffsboden. Hier essen und schlafen sie - und erzählen: Alles ist besser, als in Libyen zu sein. 

Filmplakat der NDR-Dokumentation "SeaWatch3" © NDR
"SeaWatch3" wurde mehrfach ausgezeichnet und lief auf internationalen Filmfestivals.

Als Kailouli und Schreijäg für diesen Film aufbrachen, hatte sich lange Zeit kaum jemand mehr für die Situation auf dem Mittelmeer interessiert. Die staatliche Seenotrettung war eingestellt, viele private Rettungsschiffe waren beschlagnahmt. Das Sterben war aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden und hatte doch nie aufgehört. Ihr Film dokumentiert ein dramatisches Stück Zeitgeschichte. Es ist ein außergewöhnlich ehrliches Protokoll einer Rettungsmission, deren Kapitänin unfreiwillige Berühmtheit erlangt, als sie 53 Menschen rettet, Salvini die Stirn bietet und so den Kurs der gesamten EU-Migrationspolitik in Frage stellt.

Der Dokumentarfilm "SeaWatch3" wurde unter anderem mit dem Grimme-Preis und dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet. Der Film lief als Eröffnungsfilm auf dem Dokumentarfilmfestival in Florenz und gewann den Preis der Václav Havel-Jury beim One World Filmfestival in Prag.

Weitere Informationen
Carola Rackete, Kapitänin der Sea Watch 3, steht an Deck mit einem Funkgerät © NDR Foto: Screenshot

Exklusiv: Die Reise der Sea-Watch

Drei Wochen lang waren NDR Reporter auf dem Seenotrettungsschiff "Sea-Watch 3". Sie dokumentieren eine Fahrt, über die am Ende ganz Europa spricht und heftig streitet. mehr

Autor/in
Jonas Schreijäg
Nadia Kailouli
Redaktion
Timo Großpietsch
Anna Orth
Produktionsleiter/in
Bettina Wieselhuber
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