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Schöne, tote Ostsee: Das Dorschsterben und die Folgen

Montag, 22. Mai 2023, 22:00 bis 22:45 Uhr

Jahrzehntelang hatte die Wissenschaft davor gewarnt, dann passierte es: Vor zwei Jahren ist der Bestand an Dorsch in der Ostsee komplett zusammengebrochen. Und daran ist nicht nur die Überfischung schuld. Was in der Ostsee genau passiert ist, ist nun wissenschaftlich belegt. 45 Min-Autor Carsten Rau hat Forschende mit der Kamera begleitet und fragt in seiner Doku auch, was das Fehlen des Dorsches für die Betriebe und Menschen an der Ostseeküste bedeutet. 

Aktuelle Studie: Klimawandel und Überdüngung schädigen Dorschbestand

Eine wesentliche Rolle beim Dorschsterben spielen der Klimawandel und die Überdüngung durch die Landwirtschaft. Das haben Wissenschaftler:innen des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in einem Forschungsprojekt herausgefunden, dessen erste Ergebnisse dem NDR exklusiv vorliegen. Der NDR hat die Forschung für die Studie, die im kommenden Jahr veröffentlicht wird, über mehrere Monate begleitet.

Zu wenig Sauerstoff und zu viel Wärme für den Dorsch

"Wir waren sehr überrascht, dass sich während der Sommermonate sauerstoffarmes Wasser vom Grund der Ostsee bis weit in die höheren Schichten ausbreitet", sagt Dr. Uwe Krumme vom Thünen-Institut. "Dort trifft es direkt auf die stark erwärmten Wasserschichten. Wo das passiert, ist kein Habitat mehr für Dorsche" - also kein Raum mehr, in dem diese Fische überleben können.

Die toten, sauerstoffarmen Zonen entstehen laut der Studie durch Überdüngung in der küstennahen Landwirtschaft, der Dünger gelange über Bäche und Flüsse in die Ostsee. Dort komme es zu überschüssigem Algenwachstum. Die Algen wiederum sinken zu Boden und werden von Bakterien zersetzt, die den Sauerstoff im Wasser verbrauchen.

"Die neuen Daten sind äußerst beunruhigend"

Zehn Monate lang zeichnete das Institut in einem fünf Quadratkilometer großen Forschungsfeld in der Mecklenburger Bucht Umweltdaten wie Sauerstoff- und Salzgehalt sowie die Temperatur des Wassers auft. Dazu hatten die Forschenden insgesamt 30 Messstationen am Meeresgrund verankert. Dieses Projekt in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Ostseeforschung ist bisher einzigartig in der Westlichen Ostsee. 

"Die neuen Daten sind äußerst beunruhigend", so Dr. Krumme. "Und wir werden überprüfen, ob dieses Phänomen auch in anderen Teilen der Westlichen Ostsee zu beobachten ist."

Fischer: "Ohne Dorsch können wir nichts verdienen"

Aufnahme der Brücke eines Fischkutters auf hoher See. © raufilm Foto: raufilm
Was aus den letzten Schleppnetzkuttern der Ostsee werden soll, ist ungewiss.

Der Verlust der Dorsche bedeutet für viele Betriebe und Menschen ein wirtschaftliches Desaster. Kapitän André Hamann hat sein Leben lang Dorsche in der Ostsee gefischt, so wie sein Vater und Großvater vor ihm. Jetzt steht er im Steuerhaus seines Stahlkutters "Westbank" und fährt das modern ausgerüstete 20-Meter-Schiff zum Verschrotten Richtung Dänemark. "Ohne Dorsch können wir nichts verdienen. Für andere Fischarten wie Flundern gibt es nicht genug Geld. Damit könnten wir nicht mal unseren Treibstoff bezahlen!"

Die "Westbank" war einer der letzten großen Schleppnetzkutter der Ostsee. Und Kapitän Hamann hat keine Ahnung, was aus ihm mit Mitte 40 werden soll.

Zu viel Fisch für Kormorane und Kegelrobben?

Berufsfischer Mike Hilger von der Insel Fehmarn steht wegen der kollabierten Dorschbestände vor dem Aus © NDR/raufilm
Berufsfischer Mike Hilger von der Insel Fehmarn steht wegen der kollabierten Dorschbestände vor dem Aus

In der Haifischbar auf Fehmarn sitzen die Fischer, Gastwirte und Kapitäne des Hafens von Burgstaaken zusammen und haben eine ganz andere Erklärung: "Es gibt hier doch kaum mehr Kutter und Fischer, die Fangquoten werden seit Jahren drastisch gesenkt", sagt einer der Männer. "Aber die Kormorane und die Kegelrobben, die werden ständig mehr und fressen jeden Tag tonnenweise Fisch! Und von der Politik werden die auch noch geschützt!"

Die 45 Min-Reportage beschreibt in eindrucksvollen Bildern die dramatische Lage an der deutschen Ostseeküste zwischen Lübeck und Rügen. Und sie gibt seltene Einblicke in das Leben der betroffenen Menschen, die sehr offen Stellung beziehen. Dabei fragt Autor Carsten Rau, selbst Angler, auch nach der eigenen Verantwortung für das Verschwinden der Dorsche. Hierdurch verlieren viele nicht nur ihr Einkommen, sondern auch ihren Lebensinhalt als Menschen der Küste.

Weitere Informationen
Sassnitz: Nur noch wenige kleine Fischkutter liegen im Fischereihafen. © Jens Büttner/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Jens Büttner/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

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