Weltbahnhof mit Kiosk

Begegnungen von Stammgästen und Flüchtlingen in Boizenburg

Sonntag, 25. September 2022, 02:55 bis 03:25 Uhr

Bernd Fischers Kiosk-Kneipe steht wie eine Insel auf dem Bahnhofsvorplatz von Boizenburg. Von sechs bis 22 Uhr treffen sich hier Schichtarbeiter, Früh- und Altersrentner, Taxifahrer, Automatenspieler und der Boizenburger HSV-Fanclub. Sie reden über Fußball, über SPD und AfD, über die Ereignisse des Alltags: Stammtischgespräche.

Aber seit zwei Monaten ist im Jahr 2015 die Lage rund um die Schänke eine andere geworden. Täglich erreichen zwischen 50 und 100 Neuankömmlinge den kleinen Bahnhof in Boizenburg. Männer, Frauen und Kinder aus aller Herren Länder. Und es werden immer mehr. Ihr Ziel ist das nahe gelegene Erstaufnahmelager Horst.

Kleine Begegnungen, die Hoffnung machen

Zwei Welten treffen aufeinander. Die Geflüchteten sind voller Erwartungen und Hoffnungen. Aber auch voller Ängste. Sie haben lange, gefährliche Reisen hinter sich, sind erschöpft, haben auf dem Weg oft Kinder, Frau oder Ehemann verloren. Jeder Einzelne hat mit dieser Reise die Weichen für sein Leben neu gestellt.

Flüchtlinge vor der Kiosk-Kneipe auf dem Bahnhofsvorplatz von Boizenburg. Auf dem Weg ins Erstaufnahmelager Horst müssen sie am Kiosk vorbei, so wie diese Gruppe aus Syrien erreichen täglich bis zu 100 Flüchtlinge die mecklenburgische Kleinstadt. © NDR
Flüchtlinge vor der Kiosk-Kneipe auf dem Bahnhofsvorplatz von Boizenburg. Auf dem Weg ins Erstaufnahmelager Horst müssen sie am Kiosk vorbei, so wie diese Gruppe aus Syrien erreichen täglich bis zu 100 Flüchtlinge die mecklenburgische Kleinstadt.

Bernd Fischers Kneipenkundschaft beobachtet die Gleise hier schon seit Jahrzehnten. Jetzt diskutieren sie über große Weltpolitik, über die Aufnahme von Geflüchteten. Sie sind dafür und dagegen, mitunter sogar beides. Auch sie haben Angst, manchmal nur um ihre kleine Idylle, die meisten aber können sich ein Leben unter so vielen Ausländern schlichtweg nicht vorstellen.

Doch am Rande der Ereignisse passieren kleine Begegnungen, die Hoffnung machen. Zum Beispiel, wenn auf den Smartphones der Dorfjugend syrische Jugendliche aus dem Flüchtlingsheim zu sehen sind. "Die sind echt okay, das sind unsere Freunde", sagen die Kids. Und wenn einige von Bernds Stammkunden noch am Nachmittag über Asylanten schimpfen, kommt es doch vor, dass dieselben Männer am Abend einer Familie, die geflüchtet ist und am Straßenrand steht, ihre letzten zehn Euro geben. Für das Taxi zur Notunterkunft.

Der Film zeigt, wie mit dem sprunghaften Anstieg des Stroms von geflüchteten Menschen auch die Kiezwelt des kleinen Kiosks am Boizenburger Bahnhof ins Wanken gerät. Artikel der "Bild"-Zeitung, Radiomeldungen, Stammtischklischees reiben sich an persönlichen Erlebnissen mit den Geflüchteten im und vor dem Kiosk. Boizenburg ist zum Weltbahnhof geworden, und Bernd Fischers Kundschaft muss sich mit dem dringendsten Problem dieser Zeit auseinandersetzen.

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Autor/in
Dieter Schumann
Redaktion
Birgit Müller
Produktionsleiter/in
Stephan Helms

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