Stand: 14.09.2021 06:00 Uhr

VW-Diesel-Affäre: „Ich bin einem Skript gefolgt“ – so schildert einer der Beteiligten seine Verstrickung

Kurz vor dem Betrugs-Prozess in Braunschweig zum VW-Diesel-Skandal äußert sich zum ersten Mal einer der Beteiligten in einem Fernsehinterview zu seiner Verstrickung in die Affäre. „Ich habe den US-Behörden nicht alles gesagt, was ich wusste. Das wurde mir zum Verhängnis“, so beschreibt Oliver Schmidt, der ehemalige Leiter des VW-Umweltbüros in den USA, seine Rolle im VW-Diesel-Skandal.

In einem Interview mit dem NDR sagt der Ex-VW-Manager, er habe im Sommer 2015 von VW den Auftrag erhalten, mit den US-Umweltbehörden zu verhandeln. Dabei habe er bestimmte Worte nicht verwenden sollen. Insbesondere habe er bei der Beschreibung der Softwarefunktion zur Abgasbehandlung, die in den VW Dieselfahrzeugen verbaut war, nicht von „defeat device“ sprechen sollen, also einer illegalen Testerkennung. „Es gab Gespräche, wo mir gesagt wurde, was ich zu sagen habe. Das war wie so ein Trichter. Das wurde immer enger. Es gab ein Skript, was ich sagen sollte und was ich nicht sagen sollte. Unter anderem sollte ich dieses Wort ‚defeat device‘ nicht sagen.“ Die Anweisungen seien in einer Runde mit leitenden Managern und auch der Rechtsabteilung besprochen worden.

VW will sich zu Einzelfällen nicht äußern.

Kurz vor der Runde hatte ein Treffen mit Martin Winterkorn, dem damaligen VW-Vorstandsvorsitzenden, am sogenannten Schadenstisch stattgefunden. Dabei soll diskutiert worden sein, wie VW den US-Behörden die ungewöhnlich hohen Stickoxide ihrer Dieselfahrzeuge erklären wollte. In einer Präsentation, die mit Winterkorn besprochen worden sein soll, hatte es geheißen, dass VW die Wahrheit nur „teilweise“ offenlegen und Nachmessungen der US-Behörden „vermeiden“ wollte.

Winterkorn bestreitet, bei dem Termin über den Betrug informiert worden zu sein. Davon habe er erst mehrere Wochen später, im Herbst 2015 erfahren. 

VW hatte, nachdem in den USA erhöhte Stickoxide bei den VW-Dieselfahrzeugen festgestellt worden waren, mehr als Jahr lang die Existenz einer illegalen Testerkennung gegenüber US-Umweltbehörden verschleiert.  Deswegen seien die Strafzahlungen so hoch ausgefallen, so Hiltrud Werner, VW-Vorständin für Integrität und Recht. Lange hätten die Manager die Konsequenzen ihres Handelns „massiv unterschätzt“. „Das ist so, als würden Sie mit zwei Promille und 250 km/h auf der Autobahn fahren und meinen, sie bekommen einen Strafzettel, als hätten sie falsch geparkt.“

Schon wenige Tage nach Bekanntwerden des Skandals am 18. September 2015 hatte der VW-Aufsichtsrat behauptet, der damalige Vorstandsvorsitzende Winterkorn habe keine Kenntnis von der Manipulation der Abgaswerte gehabt. Vielmehr sei eine Gruppe von Ingenieuren für die Entwicklung der Manipulationssoftware und deren Einbau in Millionen von Fahrzeugen verantwortlich.

Diese Darstellung verteidigt Hiltrud Werner, bis heute. „Bei 600.000 Mitarbeitern sind auch 100 eine kleine Gruppe“, sagte sie dem NDR in einem Interview.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat unterdessen mehr als 30 Anklagen erhoben und ermittelt gegen weitere 70 Personen.

Oliver Schmidt wurde 2017 in den USA wegen Betruges zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. 2020 wurde er nach Deutschland in die JVA Uelzen überstellt. Seit Januar 2021 ist er auf Bewährung frei. VW hat ihm gekündigt.

Einigen anderen beteiligten Ingenieuren hat VW ebenfalls gekündigt und Schadensersatz in Millionenhöhe von ihnen verlangt. Vor Arbeitsgerichten ist der Konzern allerdings mit diesen Kündigungen in den meisten Fällen gescheitert. In einem Fall hat das Landesarbeitsgericht Niedersachen im August 2021 letztinstanzlich entschieden, der gekündigte VW-Mitarbeiter, der als Hauptabteilungsleiter Dieselmotorenentwicklung tätig war, habe alles arbeitsrechtlich Nötige zur Schadensabwehr getan. Er habe mehrere seiner Vorgesetzten über die Verwendung der Manipulationssoftware informiert. VW hatte bestritten, dass Vorgesetzte informiert worden waren, dafür aber keine Beweise vorgelegt. Außerdem sagt das Gericht, der Mitarbeiter habe weder die Verantwortung noch die Kompetenz gehabt, um die Verwendung der Software zu unterbinden. Die Entscheidung sei auf höherer Ebene getroffen worden. Auch bei der Nichtoffenlegung der Manipulationssoftware gegenüber den US-Behörden träfe den Mitarbeiter keine Schuld. Die Kammer geht vielmehr davon aus, dass die Nicht-Offenlegung von den Vorgesetzten des Mitarbeiters entschieden worden sei.

In einem anderen Verfahren hat VW die Kündigung zurückgenommen und beschäftigt den Mitarbeiter nun in leitender Position weiter. Den ehemaligen Leiter der Softwareabteilung hat VW nicht gekündigt, sondern bei vollen Bezügen freigestellt.

14. September 2021

NDR Dokumentation „Winterkorn und seine Ingenieure“ ab 14.September in der ARD-Mediathek; am Mittwoch, 15. September, 21.30 Uhr, im Ersten; NDR Info Podcast „Winterkorn und seine Ingenieure“ ab 14. September in der ARD-Audiothek

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