Stand: 10.07.2022 18:00 Uhr

NDR/WDR/SZ: „Uber Files“ - Datenleck setzt US-Konzern unter Druck

Zehntausende vertrauliche Unterlagen zeigen, wie der US-Fahrdienstleister Uber in ganz Europa mit fragwürdigen Mitteln versucht hat, Gesetze zum eigenen Vorteil zu verändern. Mehrere europäische Spitzenpolitiker, darunter Emmanuel Macron, unterstützten offenbar den Konzern bei seinem Markteintritt. In Deutschland setzten sich unter anderem renommierte Wissenschaftler und der FDP-Politiker Otto Fricke für Ubers Lobbykampagne ein.  

Der Datensatz trägt den Namen „Uber Files“ und umfasst mehr als 124.000 Dokumente, die aus den Jahren 2013 bis 2017 stammen, darunter E-Mails, Präsentationen, Briefings, Textnachrichten und Schaubilder. Sie geben einen detaillierten Einblick in die Art und Weise, wie Uber in ganz Europa versucht hat, Politiker, Beamte und Journalisten zu beeinflussen. Als das US-Unternehmen 2014 verstärkt auf den europäischen Markt vordrang, stieß Uber vielerorts auf massiven Widerstand. Taxifahrer mobilisierten gegen Uber.  Hinzu kam, dass das Kerngeschäft von Uber, die Vermittlung auch privater, nicht-lizensierter Fahrer über eine App in vielen Ländern, darunter auch Deutschland, nicht rechtskonform war.  

Die Antwort des Konzerns war eine umfangreiche Lobbykampagne, mit dem Ziel, die öffentliche Meinung und die Gesetzgebung zum eigenen Vorteil zu verändern. Über Lobbyisten versuchte Uber deshalb, systematisch Kontakte zu hochrangigen europäischen Politikerinnen und Politikern aufzubauen. Einer von ihnen ist der heutige Präsident Frankreichs, Emmanuel Macron. Den Dokumenten zufolge traf sich Macron, er war damals Wirtschaftsminister, mehrfach mit hochrangigen Uber-Lobbyisten. Im Herbst 2015 schränkte der Polizeipräfekt von Marseille eine Uber-Dienstleistung per Verfügung massiv ein. Daraufhin wendete sich der europäische Chef-Lobbyist von Uber per SMS an Macron und bat um politische Unterstützung. Macron schrieb 11 Stunden später zurück: „Ich werde mir die Sache persönlich anschauen (…) Lasst uns erstmal ruhig bleiben“. Noch am selben Abend wurde die Verordnung entschärft, ein Erfolg für den US-Konzern, der „auf massiven Druck Ubers“ zurückgehe, heißt es in einer internen E-Mail des Unternehmens. Inwieweit Emmanuel Macron tatsächlich Einfluss auf den Polizeipräfekten ausgeübt hatte, die Verordnung abzuschwächen, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Ein Sprecher des Elysee-Palast erklärte zu dem Vorgang, der französische Dienstleistungsmarkt habe sich damals im Umbruch befunden. Macron habe sich deshalb mit vielen Firmen getroffen. Fragen zu Macrons Verhältnis zu Uber ließ der Sprecher unbeantwortet.   

Die „Uber Files“ wurden dem Guardian anonym zugespielt, der die internationalen Recherchen gemeinsam mit dem Internationalen Konsortium Investigativer Journalistinnen und Journalisten (ICIJ) koordiniert hat. Medien in 29 Ländern waren an dem Projekt beteiligt. In Deutschland arbeiteten Reporterinnen und Reporter von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung mit den Daten.

Den Dokumenten zufolge verfügte der Konzern allein im Jahr 2016 über ein Lobby-Budget in Höhe von 90 Millionen Euro. Neben Macron trafen Uber-Vertreter zahlreiche weitere damalige oder aktuelle Staats- und Regierungschefs, um für das eigene Geschäftsmodell zu werben.

Die Daten zeigen außerdem, dass sich auch Neelie Kroes für Uber einsetzte. Kroes war von 2010 bis 2014 Europäische Kommissarin für die digitale Agenda und zwischenzeitlich Vizepräsidentin der Europäischen Kommission. Kurze Zeit nach ihrem Ausscheiden 2014 bat Kroes darum, einen bezahlten Job im Beratungs-Board von Uber annehmen zu dürfen. Dies wurde ihr von der Kommission untersagt, laut EU-Regularien müssen Kommissionsvertreter eine 18-monatige Karenzzeit einhalten, bevor sie Lobby-Jobs annehmen dürfen. Dennoch hat sich Kroes während ihrer Karenzzeit für Uber verwandt. Während einer laufenden Polizei-Razzia gegen Uber in Amsterdam im März 2015 informierte Ubers Cheflobbyist für Europa die Riege um den damaligen CEO Travis Kalanick, dass Kroes ein niederländisches Regierungsmitglied und Mitarbeiter der Verwaltung anrufen würde. Ziel sei es, „Regulierungsbehörden und Polizei zum Rückzug zu zwingen“. Ob der Anruf erfolgte, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Zur selben Zeit erinnerte derselbe Uber-Lobbyist seine Kollegen in einer weiteren E-Mail daran, dass die Beziehungen zu Kroes „streng vertraulich“ seien. Ihr Name dürfe in keinem Dokument auftauchen. Es bestehe das Risiko, dass sich an Kroes eine Debatte über „die politische Drehtür und über Vetternwirtschaft“ entzünde, heißt es in einer anderen E-Mail. Mit dem Begriff „politische Drehtür“ ist der fließende Wechsel von Politikerinnen und Politikern in die Lobby-Arbeit gemeint. Den Unterlagen zufolge soll Kroes Uber offenbar außerdem zugesagt haben, sich um ein Treffen zwischen dem Konzern und einem EU-Kommissar zu bemühen - ebenfalls während ihrer laufenden Karenzzeit. Unmittelbar nach Ablauf der Karenzzeit übernahm Kroes einen Berater-Job bei Uber. Laut Unterlagen soll das Jahresgehalt bei 200.000 Dollar liegen.

Kroes erklärt auf Nachfrage sie habe während der Karenzzeit „weder eine formelle noch eine informelle Rolle bei Uber“ innegehabt. Allerdings habe sie in dieser Zeit unbezahlt für eine niederländische Organisation zur Unterstützung von Start-ups gearbeitet, hierbei habe sie „mit einer Vielzahl von Unternehmen, Regierungen und Nichtregierungsorganisationen“ interagiert. Ihr Engagement sei mit Zustimmung der EU erfolgt.

Die Dokumente zeigen weiter, dass der US-Konzern wiederholt strafrechtliche Ermittlungen erschwert haben könnte. So geht aus den „Uber Files“ hervor, dass mehrere Uber-Niederlassungen offenbar mit einer speziellen Software-Funktion ausgestattet waren, dem „Kill Switch“. Die Software sorgte dafür, dass Ermittlungsbehörden im Falle einer Razzia zu bestimmten Informationen auf einem Computer keinen Zugang mehr hatten. Die Unterlagen zeigen, dass Uber die Software während Durchsuchungsaktionen in sieben Ländern einsetzte, darunter Frankreich, Belgien, die Niederlande und Ungarn.

In Deutschland wurde die Uber-Kampagne zwischenzeitlich von Otto Fricke koordiniert, der heute für die FDP im Bundestag sitzt. Fricke saß bereits von 2002 bis 2013 im Bundestag und stieg anschließend als Partner in eine Münchener Lobbyagentur ein. Fricke nutzte offenbar seine politischen Kontakte, um Gespräche mit ranghohen Politikern, darunter dem ehemaligen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt und der damaligen Parlamentarischen Staatssekretärin im Verkehrsministerium, Dorothee Bär, einzufädeln. In den Uber Files heißt es, dass Bär letztlich einem Kernanliegen von Uber, das Personenbeförderungsgesetz sukzessive zu verändern, zugestimmt habe. Trotz mehrmaliger Anfragen wollte sich die Politikerin zu keinem Punkt äußern. Alexander Dobrindt erklärte, dass es keinerlei Änderungen des Personenbeförderungsgesetzes gegeben habe.

Uber-Lobbyisten suchten in Deutschland auch den Schulterschluss mit Journalisten und Wissenschaftlern. Zahlreiche Unterlagen belegen, dass der renommierte Ökonom Justus Haucap mit Uber-Vertretern verabredete, eine Auftragsstudie im Wert von 44.000 Euro und einen Uber-freundlichen Zeitungsartikel zu erstellen. Die Daten legen den Verdacht nahe, dass Haucap diesen Artikel im Dezember 2014 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) platzierte. Eine Sprecherin der FAZ erklärte dazu, man habe von einer möglichen Absprache zwischen Haucap und Uber keine Kenntnis. Justus Haucap ist Mitglied des Kuratoriums der FAZIT-Stiftung, die die journalistische Unabhängigkeit der FAZ sicherstellen soll. Die von Uber beauftragte Studie wurde 2015 von der DIW Econ GmbH und der DICE Consult GmbH veröffentlicht. Die Studie ist als Auftragsarbeit gekennzeichnet. Haucap, der eine Professur an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf innehat, ist Partner der DICE Consult GmbH.

Auf Nachfrage teilten Mitarbeiter der DICE Consult GmbH und der DIW Econ GmbH mit, die Arbeit sei unabhängig und „letztlich ergebnisoffen“ durchgeführt worden. „Die wissenschaftlichen Standards wurden im Zusammenhang mit dieser Arbeit zu keinem Zeitpunkt von uns vernachlässigt“, die Umstände, unter denen der Zeitungsartikel entstanden ist, ließen sich heute nicht mehr nachvollziehen.

Otto Fricke, der direkt nach seiner Tätigkeit als Lobbyist im Oktober 2017 wieder zurück in die Politik wechselte, betont gegenüber NDR, WDR und SZ, er habe die entsprechenden Themenbereiche, in denen er als Lobbyist tätig war, in seiner zurückliegenden und aktuellen Zeit als Bundestagsabgeordneter nicht verantwortet. Er nehme die „Trennung zwischen meiner vorherigen Tätigkeit für CNC und meinem politischen Mandat als Abgeordneter (...) sehr ernst.“

Auf Nachfrage teilte Uber mit, dass sich das Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren grundlegend gewandelt habe, zudem habe man „das Geschäftsmodell, von dem in Ihren Fragen die Rede ist, bereits elementar verändert und an den deutschen Regulierungsrahmen angepasst.“ Mit politischen Entscheidungsträgern tausche man sich heute „respektvoll und mit gegenseitigem Verständnis“ aus.  

10. Juli 2022

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