Claudia Christophersen © NDR Foto: Christian Spielmann
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AUDIO: Der Kafka-Countdown (4 Min)

Nachgedacht: Der Kafka-Countdown

Stand: 17.05.2024 06:00 Uhr

Am 3. Juni 1924 ist Franz Kafka gestorben. Seit Monaten wird über seinen 100. Todestag geschrieben und veröffentlicht, Filme wurden gedreht, Ausstellungen vorbereitet. Kafka - eine Figur, die zum Phänomen für vieles geworden ist.

von Claudia Christophersen

Wer ist Franz Kafka? Wir kennen seine Bücher, Romane, Erzählungen, Tagebücher und Briefe. Wenn Kafka schrieb, dann schrieb er intensiv, er feilte an seinen Texten, verwarf sie, schrieb neu, stellte sich und sein Werk unentwegt in Frage. Kafka - wie viele Jahrzehnte begleitet uns dieser Schriftsteller? In der Schule haben wir seine Texte verschlungen, Referate gehalten, Klausuren geschrieben. Nach Prag wurde gereist, weil man unbedingt sehen wollte, wie dieser Mann gewohnt, gelebt, gearbeitet hat: Elternhaus, Schule, Universität, die berühmte Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt, auch vor seinem Grab auf dem Neuen Jüdischen Friedhof stand ich als Abiturientin. Kafka hatte Sogwirkung und hat sie ungeschwächt heute noch mit Irrungen, Wirrungen, Fehldeutungen und Missverständnissen.

Leidenschaftlicher Jurist

Kafka war Jurist, arbeitete genau und präzise, betrachtete seine Fälle wie komplizierte Schachspiele, die er gewinnen wollte. Er war ein hervorragender Jurist, der keineswegs unter seinem "Brotberuf" litt. Bernhard Schlink, selbst von Beruf Rechtswissenschaftler und Schriftsteller, hat im Februar über Kafka geschrieben, sich mit den juristischen Texten Kafkas befasst und untermauert, dass er leidenschaftlich und einfach auch gerne seiner Versicherungsarbeit nachgegangen ist. Vielleicht machte ihn gerade sein Beruf resilient für emotionale Eskapaden, für sein komplexes Innenleben, für schwierige Beziehungen zum Vater oder zu Frauen.

Kafka suchte die Bodenhaftung, in Texten wie in seinen Bildern und Skizzen. Er zeichnete Menschen mit Hüten, dicken Bäuchen, exzentrischen Frisuren. Figuren, die schweben, tanzen, fliegen, Kopf stehen, an Wänden hinaufkrabbeln, aber doch die Erdung suchen. Solche Zeichnungen, solche Figuren können als Gesellschaftskritik gedeutet werden oder einfach als Witz. Kafka hatte Humor, besonders dann, wenn er mit seinem Freund Max Brod auf Reisen war nach München, Italien, an den Gardasee - weg von Prag, weg von seinem Zuhause. Dann konnte Kafka niemals herablassende, aber äußerst originelle Witze über Mitreisende machen, er konnte Situationen karikieren, schallendes Gelächter auslösen. Auch davon war jüngst zu lesen.

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Kafka: Penibel, beharrlich, vielschichtig

Wer also war Kafka? Literat, Jurist, Zeichner, er liebte den Film und ging ins Kino. Sein Tagebucheintrag: "Im Kino gewesen. Geweint" ist legendär. Und spätestens seit der mehrteiligen Fernsehserie von Daniel Kehlmann und David Schalko wissen wir, Kafka war genau und penibel, auch mit dem, was er aß und wie: Mit 40 Mal gründlichem Kauen bereitete er den Verdauungsprozess vor. Mindestens so beharrlich machte Kafka morgendliche Gymnastikübungen und scherte sich nicht darum, ob irgendetwas daran lächerlich sein könnte. Kafka - ein vielschichtiges Phänomen, kaum zu fassen, magisch in der Rezeption.

Die drei Orte, die dem Werk Kafkas besonders verbunden sind, stehen in diesen Tagen in den Startlöchern: Oxford, Marbach, Jerusalem. In Marbach hat das Literaturarchiv mit "Kafkas Echo" - einer Ausstellung, die sich mit der Wirkung Kafkas auf andere Schriftsteller befasst - den Auftakt gemacht. Oxford wird Ende Mai folgen mit der Schau "Kafka - Making of an Icon". In Jerusalem ist alles offen. Die israelische Nationalbibliothek hat ihre Kafka-Ambitionen mit einem großen Fragezeichen versehen. Wer kann dort gerade sagen, ob und wann Waffen stillstehen und man sich wieder Kafka widmen könnte?

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 17.05.2024 | 10:20 Uhr

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