Tinnitus: Moderne Therapien versprechen Linderung

Stand: 28.02.2022 10:19 Uhr

Ständiges Rauschen, Summen oder Pfeifen im Ohr - die Symptome eines Tinnitus können Betroffene wahnsinnig machen. Doch woher kommt das Ohrgeräusch? Und welche wirksamen Behandlungen gibt es?

Ähnlich wie Schmerzen sind die nervenden Ohrgeräusche bei einem Tinnitus für sich betrachtet keine Krankheit, sondern nur ein Symptom. Als Ursachen kommen Stress, Lärmschäden (zum Beispiel Knalltrauma), Hörbeeinträchtigungen, Drehschwindel oder andere organische Erkrankungen in Betracht. Nicht immer lässt sich der Auslöser des Tinnitus erkennen - und nicht immer kann er erfolgreich behandelt werden. Halten die Ohrgeräusche konstant über mindestens drei Monate an, gilt ein Tinnitus als chronisch.

Ursachen für Tinnitus können vielfältig sein

Experten vermuten, dass fehlerhafte Verarbeitungsprozesse im Gehirn zur Wahrnehmung der Geräusche führen. Wir hören zwar mit den Ohren, verstehen aber mit dem Gehirn. Die Schallwellen werden von den Sinneszellen (Haarzellen) im Innenohr in elektrische Signale umgewandelt und über den Hörnerv weiter an das Gehirn geleitet. Im Hörzentrum werden die ankommenden Nervenimpulse dann gefiltert.

Ein plötzlicher Schallüberdruck (Knall) kann die Haarzellen im Innenohr schädigen. Der Hörnerv reagiert darauf mit Überaktivität, und im Hörzentrum des Gehirns ensteht daraus eine falsche Wahrnehmung: der Tinnitus (auf Lateinisch: tinnitus aurium - Ohrenklingeln). Auch ein Morbus Menière, Zahnprobleme, Muskelverspannungen oder funktionelle Störungen im Bereich der Halswirbelsäule können einen Tinnitus auslösen, ebenso internistische Grunderkrankungen. Außerdem kommen Stress und psychologische Probleme als Ursachen der gestörten Hörwahrnehmung infrage.

Tinnitus-Diagnose: Verschiedene Fachärzte involviert

Grundlage für eine Diagnose ist eine umfassende Anamnese, also die Krankengeschichte: Wie lange, wie und in welchen Situationen wird der Tinnitus erlebt? Wie stark belastet das Geräusch im Alltag? Hierzu haben internationale Forscher einen Fragebogen (Tinnitus Handicap Inventory, englisch) entwickelt.

Eine gründliche Untersuchung und verschiedene Hörtests beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt (HNO) schließen sich an. Hier können der Ohrendruck beziehungsweise die Funktionsfähigkeit der Gehörknöchelchen (Impedanzmessung / Tympanometrie) und Hörnerv kontrolliert werden. Je besser der Tinnitus lokalisiert und in seiner Ausprägung beschrieben wird, desto zielgenauer kann die Behandlung ansetzen. Gegebenenfalls sind orthopädische, kieferorthopädische, neurologische oder psychologische Probleme abzuklären.

Retraining: In vier Schritten an Ohrgeräusche gewöhnen

Eine Möglichkeit der Behandlung ist das Retraining. Es wird von Krankenkassen bezahlt. Dabei lernen die Betroffenen unter Anleitung eines Teams aus Ärzten und Psychologen, den Tinnitus zu überhören oder sich an ihn zu gewöhnen.

Die Therapie besteht aus vier Bausteinen: Zum einen sind es Einzelgespräche, in denen die Betroffenen über den Tinnitus aufgeklärt werden und ihnen erklärt wird, was die Ohrgeräusche verstärkt. Zum anderen steht Hörtraining auf dem Plan. Man lernt, bewusst auf Umweltgeräusche zu achten. Als Drittes gehören Entspannungstechniken wie Yoga, autogenes Training oder progressive Muskelrelaxation zur Behandlung. Die vierte Säule des Retrainings ist die Verhaltenstherapie. Dabei sollen die Patienten lernen, mit den Ohrgeräuschen und den damit verbundenen Ängsten und Stress umzugehen.

Musiktherapie hilft Tinnitus zu überhören

Ein Ohr von einer Frau. © NDR
Die Neuro-Musiktherapie soll Tinnitusgeräusche lindern.

Auch die Neurologische Musiktherapie nach Thaut (NMT) soll Tinnitusgeräusche lindern. Sowohl das Hören von Musik als auch das Hören des Tinnitus wird von denselben Gehirnregionen verarbeitet. Durch bewusstes Hören spezieller, individuell veränderter Musikstücke wird das Gehör darauf trainiert, das unangenehme Geräusch zu überhören.

Ein fünftägiges Intensivprogramm setzt sich aus aufeinander aufbauenden musik- und psychotherapeutischen Behandlungsmodulen zusammen. Nach eingehenden Gesprächen wird in der sogenannten Resonanzphase die Durchblutung im Kopf angeregt. Dazu summt der Patient mit einem Gong "um die Wette". In der zweiten Phase erfolgt das Hörtraining, mit dem die Aufmerksamkeit des Patienten von den Tinnitus-Tönen abgelenkt werden soll: Dabei werden die persönlichen Tinnitus-Töne bestimmt und dem Patienten auf dem Klavier vorgespielt, die dieser dann mit seiner Stimme nachsingen soll. Dabei ist es wichtig, die jeweilige Tinnitus-Frequenz möglichst genau zu treffen. So soll der Patient lernen, unwichtige Hörinformationen auszufiltern.

In der nächsten Phase erfolgt das Entspannungstraining: Dabei wird der persönliche Tinnitus-Ton in meditative Musik eingeblendet. So wird der Ton für den Betroffenen zu einer positiven Hörerfahrung. Nach der Therapie müssen die gelernten Übungen regelmäßig zu Hause durchgeführt werden.

Kostenübernahme mit Krankenkasse klären

Untersuchungen am Deutschen Zentrum für Musiktherapieforschung zeigen, dass die Behandlung bei drei von vier Patienten mit chronischem Tinnitus eine deutliche Linderung brachte und auch bei akutem Tinnitus helfen kann. In einigen Fällen verschwanden die Ohrgeräusche sogar ganz, doch das waren Ausnahmen. Ziel der Musiktherapie ist vor allem, den Betroffenen zu einem erträglichen Leben zu verhelfen - trotz Tinnitus.

Die Übernahme der Kosten von circa 1.500 Euro ist eine Einzelfallentscheidung der jeweiligen Krankenkasse. Vor Behandlungsbeginn sollte man das unbedingt klären. Abschließend erforscht ist die Wirksamkeit der Musiktherapie noch nicht, deshalb wird sie in den Leilinien der HNO-Gesellschaft nicht empfohlen.

Tinnitus-Apps: Therapie per Smartphone

Mittlerweile gibt es eine Fülle von Smartphone-Apps für Menschen mit Tinnitus. Sie haben den Vorteil, dass sie auf dem Smartphone installiert und wie Selbsthilfebücher jederzeit und überall bequem nutzbar sind. Die Apps filtern zum Beispiel die individuelle Tinnitus-Frequenz aus der Musik des Nutzers heraus oder haben wohltuende Klänge und Entspannungsübungen in ihrem Repertoire.

Bei einer Untersuchung von 34 Tinnitus-Apps funktionierten zwar alle, doch keine konnte nach wissenschaftlichen Kriterien ihre Wirksamkeit beweisen. Derzeit arbeitet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) daran, die stetig wachsende Zahl von Gesundheits-Apps in geregelte Bahnen zu lenken und wirklich hilfreiche Apps als Digitale Gesundheits-Anwendungen (DiGA) zu zertifizieren, die dann unter bestimmten Voraussetzungen auch ärztlich verschrieben werden können.

Hörgeräte mit Masker-Sonderfunktionen

Wer ein Hörgerät trägt, kann auch von sogenannten Masker-Funktionen profitieren, die einige dieser Geräte bieten. Der Masker erzeugt ein gleichmäßiges, für den Patienten nicht unangenehmes Rauschen, das den Tinnitus überdeckt.

Ursache Nackenverspannungen: Bewegung kann helfen

Ein weiterer Ansatz zur Tinnitus-Behandlung fußt auf der Annahme, dass die Ohrgeräusche durch Fehlhaltungen und daraus entstehende Verspannungen im Bereich der Halswirbelsäule ausgelöst werden. Die Physiotherapie mit gezielten Dehnübungen und Druckpunkt-Behandlung zeigte vor allem dann Erfolge, wenn zusätzlich zum Tinnitus häufiger Kopf- oder Nackenschmerzen auftreten. Eine Bewertung durch die Krankenkassen steht noch aus, wissenschaftliche Studien dazu stehen in den Anfängen.

Behandlung im Tinnituszentrum empfohlen

Für welche Methode Betroffene sich auch entscheiden: Experten empfehlen, einen chronischen Tinnitus möglichst an einem Tinnituszentrum behandeln zu lassen, denn dort arbeiten verschiedene Fachrichtungen zusammen.

Weitere Informationen
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Muskulär bedingten Tinnitus wegtrainieren

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Dieses Thema im Programm:

Die Bewegungs-Docs | 28.02.2022 | 21:00 Uhr

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