Stand: 23.01.2017 09:12 Uhr

Gefährliche Erreger kennen keine Grenzen

Tuberkulose ist eine schwere Krankheit. Verursacht wird sie durch Bakterien. Anstecken kann man sich über Tröpfchen, die Erkrankte aushusten. Anfangs ähneln die Symptome einer Erkältung oder Grippe – mit Husten, Fieber und Gewichtsverlust. Die Tuberkulose-Bakterien verschwinden jedoch in der Regel nicht von allein. Sie greifen die Lunge stark an und zerstören sie von innen. Ohne eine Behandlung mit Antibiotika sterben die meisten Betroffen – oft zieht sich die Krankheit über mehrere Jahre.

Eine Hand hält einen kleinen Plastikball mit Antibiotikum. © NDR Foto: Christian Baars
Sebastian Peters injiziert sich verschiedene Antibiotika mithilfe eines kleinen Plastikballs.

Sebastian Peters greift unter seinen Pullover und zieht einen Plastik-Schlauch hervor. Dieser führt zu seiner Brust in eine große Vene direkt am Herzen. So kann er sich selbst die nötigen Medikamente spritzen. Morgens, mittags und abends, insgesamt fast ein Liter flüssige Antibiotika pro Tag. Dazu kommen noch diverse Tabletten.

An Tuberkulose erkrankt

Sebastian Peters heißt in Wirklichkeit anders. Er möchte nicht, dass sein richtiger Name im Zusammenhang mit seiner Krankheit genannt wird. Der 21-Jährige hat Tuberkulose - und zwar eine extrem resistente Form. Das bedeutet: Die meisten Antibiotika wirken bei ihm nicht. Tuberkulose ist eine sehr schwere Lungen-Krankheit, an der 2015 weltweit laut der Weltgesundheitsorganisation WHO etwa 1,8 Millionen Menschen gestorben sind. Verbreitet ist sie vor allem in ärmeren Ländern. In Deutschland ist die Zahl der Erkrankungen 2015 auf knapp 6.000 gestiegen.

"Bakterien fressen Lunge auf"

Desinfektion eines Ports. © NDR Foto: Christian Baars
Ein Schlauch führt direkt in eine Vene am Herzen. Bevor die Medikamente gespritzt werden, muss der Zugang desinfiziert werden.

Verursacht wird eine Tuberkulose durch Bakterien. Anstecken kann man sich über Tröpfchen, die Erkrankte aushusten. Anfangs ähneln die Symptome einer Grippe oder Lungenentzündung: Husten, Fieber, Gewichtsverlust. Die Tuberkulose-Bakterien verschwinden jedoch in der Regel nicht von allein. "Wenn Freunde gefragt haben, was ist denn Tuberkulose eigentlich, da hab ich erzählt: Das sind Bakterien, die in der Lunge sind und die Lunge auffressen", sagt Sebastian Peters. Ohne eine Behandlung mit Antibiotika sterben die meisten Betroffenen - oft erst nach einer jahrelangen Leidenszeit.

Nach Freiwilligem Sozialen Jahr in Indien krank geworden

Sebastian Peters hat sich wohl in Indien angesteckt. Im Sommer 2014 ist er für ein Freiwilliges Soziales Jahr dorthin geflogen. Er hat Englisch unterrichtet. Im August 2015 ist er zurückgekommen - zunächst ohne Anzeichen irgendeiner Krankheit. Erst etwa zwei Monate später fing er an zu husten. Erst dachte er, es sei eine Erkältung. "Aber sie ging nicht weg."

Die meisten Antibiotika wirken nicht

Eine kleine blaue Kühltasche voll mit Medikamenten. © NDR Foto: Christian Baars
Sebastian Peters braucht verschiedenste Medikamente. In einer blauen Kühltasche nimmt er sie mit zur Uni.

Mitte Oktober 2015 sollte dann sein erster Uni-Tag sein. Doch am Morgen sei er zusammengeklappt, sagt Sebastian Peters. Von den folgenden zehn Tagen habe er fast nichts mitbekommen. "Das ist alles sehr schwammig." Lange war nicht klar, woran er leidet. Erst nach einigen Wochen im Krankenhaus bekam er die Diagnose: Tuberkulose.

"In Indien wäre er sehr wahrscheinlich verstorben"

"Es ist sehr wahrscheinlich, dass er an dieser Krankheit verstorben wäre, wenn er in Indien geblieben wäre", sagt Christoph Lange. Er ist Leiter der Tuberkulose-Klinik in Borstel, einem kleinen Dorf mit kaum mehr als Hundert Einwohnern in Schleswig-Holstein. Sebastian Peters wurde im Dezember 2015 zu ihm in die Klinik verlegt - und damit in eines der weltweit führenden Forschungszentren für die Behandlung von Tuberkulose-Patienten.

Große Sorge vor Verbreitung resistenter Erreger

Christoph Lange. © NDR Foto: Christian Baars
Christoph Lange leitet die Tuberkulose-Klinik in Borstel. Er hat Sebastian Peters behandelt.

Christoph Lange und andere Mediziner haben große Sorge davor, dass sich multi-resistente Tuberkulose-Bakterien weiter ausbreiten. Weltweit stieg die Zahl der Fälle in den vergangenen Jahren stetig und schnell an. Entstehen können solche Resistenzen, wenn Patienten falsch behandelt werden. Wenn sie nicht das richtige Antibiotikum bekommen, nicht lange genug oder in einer zu geringen Dosis. Dann überleben Bakterien und entwickeln Abwehreigenschaften gegen die Mittel. Betroffene Patienten können wiederum andere mit den resistenten Erregern anstecken.

Individuelle Medikamenten-Cocktails

In Borstel gelingt es den Ärzten meist, auch solch schwere Erkrankungen erfolgreich zu behandeln. Doch der Aufwand ist immens. Mit modernsten Geräten werden bei jedem Patienten das Erbgut der Bakterien analysiert und umfangreiche Laboruntersuchungen durchgeführt. So können die Mediziner feststellen, welche Antibiotika eventuell noch wirken - und ab welcher Dosierung. Gleichzeitig messen sie die Konzentration der Medikamente im Blut der Patienten. So können sie einen individuellen Medikamenten-Cocktail zusammenstellen und im Zweifel immer wieder anpassen.

"Weltweit einmalige" Behandlung in Borstel

"Diese Kombination ist wahrscheinlich weltweit einmalig", sagt Christoph Lange. Und mit diesem hohen Aufwand sei es gelungen, dass in den letzten zwei Jahren keiner der 50 betroffenen Patienten, die in Borstel behandelt wurden, verstorben sei. Doch die Kosten sind sehr hoch: Bei derart resistenten Erregern wie bei Sebastian Peters kosten allein die Medikamente Hunderttausende Euro. Die Patienten verbringen Monate im Krankenhaus und haben auch mit schweren Nebenwirkungen zu kämpfen.

Mehr als 10 Millionen Menschen neu erkrankt

Junge Frau schaut in ein Mikroskop © Fotolia.com Foto: science photo
AUDIO: Tuberkulose auf dem Vormarsch (5 Min)

"In Deutschland können wir mit der Krankheit einigermaßen gut umgehen", sagt Christoph Lange. Doch solange in ärmeren Ländern Menschen nicht vernünftig behandelt werden können und sich Tuberkulose dort weiter verbreitet, besteht auch das Risiko, dass Menschen die Krankheit nach Deutschland bringen. Deshalb, sagt Lange, könne Tuberkulose nur besiegt werden, wenn auch in anderen Ländern die Behandlungsmöglichkeiten verbessert werden. Er hofft, mit seiner Forschung dazu beitragen zu können. Doch im Moment ist er eher pessimistisch. 2015 sind auf der Welt erstmals mehr als 10 Millionen Menschen neu an Tuberkulose erkrankt.

Studium mit einem Jahr Verspätung aufgenommen

Sebastian Peters hat mittlerweile sein Studium begonnen - nach mehreren Monaten im Krankenhaus und mit einem Jahr Verspätung. Voraussichtlich noch einige Monate lang muss er seine Medikamente nehmen. Dann dürften die Bakterien besiegt sein.

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NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 23.01.2017 | 06:00 Uhr

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