Stand: 01.02.2016 10:00 Uhr

Nachgefragt: Anna Prohaska

Sie ist die Tochter eines österreichischen Opernregisseurs und einer irisch-englischen Sängerin. Gemeinsam mit dem Mailänder Ensemble Il Giardino Armonico erweckte Anna Prohaska im Dezember 2015 mit "Dido & Kleopatra" zwei legendäre Königinnen zu neuem Leben. Im Februar 2016 war sie mit einem Shakespeare-Programm gleich ein zweites Mal zu Gast in der Reihe NDR Das Alte Werk.

Im Interview spricht die Sopranistin darüber, was sie an diesen sagenhaften Gestalten und ihrem Scheitern fasziniert und wie ihre Konzertprogramme zustande kommen.

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Sie sind bekannt für Ihre rund um ein Thema oder eine Rolle aufgebauten Programme. So haben Sie sich unter anderem dem Thema "Sirenen", Liedern aus der Zeit des Ersten Weltkriegs oder der Figur der Ophelia gewidmet. Was muss ein Thema haben, damit es Sie reizt, ein ganzes Programm darum herum zu bauen?

Anna Prohaska: Das Sujet muss eine gewisse Bandbreite haben. Das Reizvolle an der Ophelia ist, dass sie sowohl das Schicksalhaft-Beladene wie auch das Mondsüchtig-Verrückte hat. Bei den Liedern über Soldaten konnte man Bissig-Ironisches mit traurigen, dramatischen oder einfach-volksliedhaften Stücken kombinieren.

Dido und Cleopatra sind beides Regentinnen und starke Frauen, die dennoch mit ihren Macht- beziehungsweise Liebesplänen scheitern. Gibt es in der Barock-Oper keine strahlenden Siegerinnen oder interessieren Sie vor allem gebrochene Charaktere?

Prohaska: In der Oper allgemein interessieren doch eher die Konflikte, die Brüche in den Charakteren. Die Sterbeszenen sind doch immer am schönsten, egal ob bei Purcell oder Verdi. Aber nicht in jeder Version dieser Geschichte ist es von Anfang bis Ende dramatisch und traurig. Bei Händel und Sartorio zum Beispiel kokettiert Cleopatra anfangs mit fröhlichen, tänzerischen Arien.

In einem Interview haben Sie einmal bekannt, an der Musik des Barock würden Sie vor allem die vielen Arien in Moll reizen. Spiegelt sich das auch in den anstehenden beiden Programmen?

Prohaska: Ja, auf jeden Fall. Aber sie sind nicht alle traurig. Die Cleopatra-Arien von Sartorio sind zwar in Moll, aber ziemlich schmissig und laden geradezu dazu ein, das Tanzbein zu schwingen oder zumindest mitzuwippen. Und für das Shakespeare-Programm im Februar verspreche ich, dass ich mit der Akademie für Alte Musik Berlin dann meine Dur-Seite zeige!

Im Barock vertonten Komponisten häufig dasselbe Sujet. Ein Programm wie "Dido & Cleopatra" gibt da die Möglichkeit zum Quervergleich. Wie unterscheidet sich zum Beispiel die Figur der Cleopatra in Händels Oper "Giulio Cesare in Egitto" (1723) von der Cleopatra, wie sie Antonio Sartorio und sein Librettist Bussani in ihrer Version des Stoffes von 1677 dargestellt haben?

Prohaska: Bussani, der ursprüngliche Librettist des Stoffes, den Sartorio original vertonte, kreierte geradezu eine Verkleidungs- und Verwechslungskomödie, teilweise zwischen Mutter und Sohn querbeet durch die Geschlechter, die die Szenen um Cherubin oder Octavian in den späteren Jahrhunderten blass aussehen lassen. Cleopatra hat hier 14 Arien und noch mehr Duette - bei Händel sind es "nur" acht.

Die Instrumentation ist auch eine vollkommen andere. Sartorio schrieb für eine frühere Epoche, da wechseln sich die bereits dünn besetzten Tutti-Stellen mit Gesangsteilen ab, die nur vom Basso Continuo begleitet werden. Zweimal darf Cleopatra sich allerdings mit einer Trompete duellieren. Der spätere Händel arrangiert schon viel großzügiger, flächiger - es treten obligate Instrumente hervor.

Haym, Händels Librettist, der den Bussani-Stoff bearbeitete und vor allem kürzte, ließ diesen komödiantischen Aspekt bis auf einige Rudimente vollkommen außen vor und konzentrierte sich auf die Liebesgeschichte, auf die glaubhafte, tiefgreifende Darstellung verschiedener Emotionen und Charakterzüge und nicht Komödie und Spektakel.

"Shakespeare & Music", so der Titel Ihres Programms mit der Akademie für Alte Musik Berlin, ist seit Jahrhunderten ein unerschöpfliches Thema. Sie haben aber ganz bewusst keine Musik von Shakespeare-Zeitgenossen ausgesucht (mit Ausnahme von Dowland) und auch keine der vielen Vertonungen von der Klassik bis heute. Sie konzentrieren sich auf die Zeit von Purcell und der Restoration - also ein gutes halbes Jahrhundert nach Shakespeares Tod. Was macht diese Epoche für das Thema "Shakespeare & Music" so interessant?

Prohaska: Eine sehr gute Frage! Ich kann jetzt nur stellvertretend für meine Kollegen von der Akademie für Alte Musik Berlin sprechen, das Programm hat grundsätzlich Georg Kallweit mit Uwe Schneider von Akamus entworfen.

Aber ich schätze, es hat viel mit der Besetzung zu tun. Die Form, mit der um Shakespeares Zeit herum komponiert wurde, war stark vom Lautenlied beziehungsweise dem Madrigal geprägt. Es wäre schade gewesen, ein ganzes Barock-Orchester zu versammeln und sie dann nur einen kleinen Teil des Programms spielen zu lassen. Außerdem fehlen uns die anderen Sänger für Madrigale. Andererseits wäre es organisatorisch und finanziell unrealistisch, ein modernes Orchester mit dem gesamten Instrumentarium für spätere Epochen in das Projekt zu involvieren. In jedem Fall war die Zeit nach Shakespeare und vor allem Henry Purcell stark von den Thematik der Shakespeare-Dramen und Sonette beeinflusst. Purcells Semi-Opera "Fairy Queen" basiert auf dem "Sommernachtstraum". Locke und Blow haben zu Shakespeare-Texten geschrieben, was man im 19. und 20. Jahrhundert als Programmmusik bezeichnet hätte.

Für einige Ihrer Alben haben Sie auch Video-Clips gedreht. Der Clip zu Vivaldis "Alma oppressa" etwa spielt in einem Berliner Bahnhof, und Monteverdis klagende Nymphe landet im Irrenhaus. Sie kommen aus einer Familie von Theaterleuten; wenn Sie selber Regisseurin wären, wie sähe Ihr idealer Clip zu, sagen wir, "The Fairy Queen" aus?

Prohaska: Nehmen wir einmal Junos Arie "O let me weep". Ohne diese grandiose Klage bagatellisieren zu wollen, fände ich da ein modernes Beziehungsdrama in einer Großstadt spannend, vielleicht wo Kisten und Koffer gepackt werden, wo Rückblenden in die glücklichen und schmerzhaften Zeiten mit einem anderen Filter oder in Schwarz-Weiß hineingeschnitten werden, die Wohnung inzwischen mehr und mehr ausgeräumt wird, bis sie ganz leer und unpersönlich geworden ist. Und am Schluss schnappt das Türschloss zu und "I shall never, never see him more"...

Das Interview führte Ilja Stephan.

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