Stand: 09.11.2017 16:15 Uhr

Zwischen den Stühlen: Der Liberal-Islamische Bund

Konservativ, liberal oder doch eher traditionell? Diese Begriffe fallen immer wieder, wenn es um die Reform-Debatte des Islam geht. Viele Muslime wehren sich gegen diese Pauschalisierungen. Doch es gibt einen Verein, der nennt sich ausdrücklich liberal. Die Rede ist vom LIB, dem Liberal-Islamischen Bund. Wofür steht er? Und welche Bedeutung hat er - nicht nur in der muslimischen Community?

Von Simone Horst

Samstagnachmittag in Hamburg St. Georg. Acht Menschen versammeln sich in einem Raum des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Sie trinken Kaffee, einer hat Kekse mitgebracht. Nach herzlichen Begrüßungen sitzen sie zusammen am Tisch und reden. Vor allem über den Islam. "Wir hatten am Anfang zum Beispiel den Bereich Tierethik", erzählt Odette Yilmaz. "Der Umgang mit Tierrechten, Schächtung oder der Konsum von Fleisch haben da eine Rolle gespielt. Aber auch Alltagsthemen wie etwa das Kopftuch, das Gebet usw."

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Der Liberal-Islamische Bund, kurz LIB, wurde 2010 gegründet - u.a. von der Islamwissenschaftlerin und Autorin Lamya Kaddor. Es ist ein kleiner Verein mit rund 230 Mitgliedern bundesweit. Inzwischen gibt es sieben Gemeinden. In Berlin gibt es noch eine weitere liberale Gemeinde: Die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, gegründet unter anderem von Seyran Ateş und Abdel-Hakim Ourghi.

Odette Yilmaz arbeitet im paritätischen Dienst und ist die Regionalkoordinatorin der Hamburger Gemeinde des LIB. Seit einem Jahr treffen sich die rund 30 Mitglieder einmal im Monat. "Wir verstehen uns ein bisschen als Anlaufstelle für Muslime, die sich in den traditionellen Gemeinden nicht vertreten sehen - aus welchen Gründen auch immer", sagt Yilmaz. "Sei es in der Auslegung ihres Glaubens, in der Praxis des Glauben, der sexuellen Orientierung, der Sprache oder der Herkunft."

Bisher nur geringe Akzeptanz in der muslimischen Community

Anders als in traditionellen muslimischen Gemeinden etwa, beten Frauen und Männer beim LIB gemeinsam. Und auch Frauen können vor einer gemischten Gruppe das Freitagsgebet leiten. Gegründet wurde der Liberal-Islamische Bund 2010. Die 33 Jahre alte Islamwissenschaftlerin Nushin Atmaca ist Vorsitzende des Vereins. Für sie hat der LIB hauptsächlich zwei Aufgaben: "Sowohl innermuslimische Diskussionen anzustoßen, die Frage: Was gibt es eigentlich für Auslegungen? Und gleichzeitig die sogenannte Mehrheitsgesellschaft zu adressieren und die vorherrschenden Bilder infrage zu stellen und aufzubrechen."

Mittlerweile sind in Deutschland vier Gemeinden entstanden, mit insgesamt 300 Mitgliedern. Das sind nicht viele. Dabei geraten die traditionellen muslimischen Dachverbände, wie die DITIB,  immer mehr unter Druck und es wird mehr denn je über eine Reform des Islam diskutiert. Und dennoch: Die Akzeptanz des LIB in der muslimischen Community ist gering. Ein Kritikpunkt: die zeitgemäße und geschlechtergerechte Auslegung der islamischen Quellen. "Es ist vielen einfach nicht bekannt, dass es auch solche Lesarten gibt, wie der LIB sie praktiziert", glaubt Atmaca. "Und dass diese auch an Ideen in der islamischen Geschichte anknüpfen. Also, dass es jetzt keine Neuerungen sind, die komplett von außen kommen."

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Auf dem richtigen Weg

Aber "liberal" ist nicht gleich "liberal". Im Juni 2017 eröffnete Seyran Ateş gemeinsam mit anderen in Berlin die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee. Begleitet von großem Medieninteresse und viel Kritik, gerade von muslimischer Seite. Arne List ist einer der Gründer des LIB und kann die Skepsis zum Teil nachvollziehen: "Unsere Gründungsmitglieder haben sich nicht verstanden als muslimische Islamkritiker oder als säkulare Muslime. Ein Säkularer ist ja jemand, der eigentlich nicht praktiziert. Und da fragt man sich natürlich schon, warum jemand, der nicht praktiziert, plötzlich eine Moschee gründet."

Auch wenn der LIB nicht so viel Aufmerksamkeit erregt wie die Berliner Moschee von Seyran Ateş - Arne List findet, dass die liberalen Muslime auf einem guten Weg sind: "Wir werden sowohl angefeindet von Rechten auf der muslimischen, als auch auf der nicht-muslimischen Seite. Und das ist für viele von uns eine Bestätigung, dass wir eigentlich auf dem richtigen Weg sind. Zwischen Islamophobie und Islamismus wollen wir ein Islamverständnis kultivieren, welches in der Mitte ist. Sowohl eine Theologie der Mitte, als auch einen Platz in der gesellschaftlichen Mitte."

Der liberale Islam als Teil des Spektrums

Die Forderungen nach einem liberalen Islam werden immer lauter. Doch es ist nicht einfach für kleine bundesweite Zusammenschlüsse wie den LIB, als Ansprechpartner von Politik und Gesellschaft gesehen zu werden. Ein Beispiel: In Berlin soll im nächsten Jahr das Institut für Islamische Theologie seine Arbeit beginnen. Ein Antrag der CDU im Abgeordnetenhaus, auch Vertreter liberal-muslimischer Strömungen in den Beirat des Instituts aufzunehmen, wurde von der rot-rot-grünen Senatsmehrheit abgelehnt.Noch ist offen, ob es nicht doch noch klappt.

Nushin Atmaca, die Vorsitzende des LIB, setzt weiter auf eine gute Zusammenarbeit - auch mit den großen muslimischen Verbänden. Der Forderung nach einem liberalen Islam steht sie allerdings skeptisch gegenüber: "Weil es dem LIB nicht darum geht, zu sagen: Das ist jetzt der Islam, den wir hier brauchen und dem sollen sich jetzt bitte alle anschließen. Sondern es geht uns darum, zu sagen: Das ist eine legitime Lesart, die - neben anderen, konservativeren oder traditionelleren Lesarten - auch Teil des Spektrums sein soll und sein muss. Es geht darum, andere davon zu überzeugen, dass wir uns gegenseitig mit Respekt und Wertschätzung begegnen sollten."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 10.11.2017 | 15:20 Uhr

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