Stand: 29.04.2016 15:00 Uhr

Auf der Kippe

von Ita Niehaus

Der Vertrag mit den muslimischen Verbänden sollte ein starkes Signal gerade in einer schwierigen Zeit sein. Doch die Verhandlungen um den Vertrag des Landes Niedersachsen mit den muslimischen Verbänden ziehen sich in die Länge. Mit dem Wechsel an der Spitze der Schura Niedersachsen rückte der Abschluss erst einmal in weite Ferne. Am Donnerstag nun kamen von Ministerpräsident Stephan Weil wieder positive Signale. NDR Kultur hat mit den Akteuren gesprochen.

Am 23. April wurde der langjährige Vorsitzende des Landesverbandes der Muslime, Avni Altiner, abgewählt. Sein Nachfolger ist Recep Bilgen, der in Hannover im Vorstand der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) sitzt.

Nach dem überraschenden Führungswechsel herrscht Skepsis, dass der Vertrag noch in diesem Jahr abgeschlossen wird. Auch Yilmaz Kilic, der Vorsitzende der Ditib in Niedersachsen und Bremen, fand den Zeitpunkt des Wechsels an der Spitze des zweiten muslimischen Verhandlungspartner, der Schura Niedersachsen, nicht glücklich: "Natürlich war ich Anfang der Woche enttäuscht, als gesagt wurde, der Vertrag werde auf Eis gelegt. Da ist Arbeit von 15 Jahren drin. Wir wollen eine Signalwirkung an die Muslime haben, die hier voll integriert, Teil dieser Gesellschaft sind. Ich bin erst einmal froh, dass der Ministerpräsident gesagt hat, wir machen weiter und es soll einen Abschluss geben. Als Landesvorsitzender einer muslimischen Gemeinschaft müssen sie optimistisch sein, und das bin ich jetzt auch."

Wächst der Einfluss der Türkei?

Die Sendung zum Nachhören
Landesfahne von Niedersachsen © picture-alliance/ZB Foto: Jens Kalaene
4 Min

Scheitert der Vertrag mit den Muslimen?

Die Vertragsabschlüsse der Niedersächsischen Landesregierung mit den muslimischen Verbänden sind in weite Ferne gerückt. Sind sie noch zu retten? 4 Min

Der neue Mann an der Spitze der Schura Niedersachsen, Recep Bilgen, ist Mitglied der umstrittenen Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs. Sie wurde bis 2014 vom Verfassungsschutz in Niedersachsen beobachtet  und steht der Türkei nahe. Doch der neue Schura-Vorsitzende kann die Sorge mancher Politiker nicht nachvollziehen, dass die Türkei nun deswegen stärker Einfluss auf das muslimische Leben in Niedersachsen nehmen könnte: "Die Milli Görüs ist eine unabhängige Religionsgemeinschaft. Wir leben in dieser Gesellschaft und vertreten die Interessen der Muslime hier in Deutschland und speziell in Niedersachsen. Und da lassen wir uns von keiner staatlichen Institution und keinen Staaten irgendwas einreden." Und sein Vorgänger, Avni Altiner, ergänzt: "Wir dürfen jetzt die Institution Schura nicht schwächen, indem man jetzt den Blick auf Milli Görüs fokussiert. Das ist für mich ein billiges Alibi."

Avni Altiner war von Anfang an bei den Verhandlungen dabei. Er hat das ganze Hin und Her miterlebt. Auch seine Kompromissbereitschaft habe Grenzen, lässt er durchblicken. Zum Beispiel, wenn es um die Opposition im Niedersächsischen Landtag geht. Sie fordert unter anderem, Muslime sollten sich im Vertrag zur Salafismus-Prävention verpflichten. "Der erste Punkt in dem Vertrag lautet, wir orientieren uns am Grundgesetz. Und das muss normalerweise für Demokraten ausreichen", meint Altiner. "Dann kann man nicht wieder noch mal fragen: Wie stehen die Muslime dazu? Die Würde ist unantastbar, sagt das Grundgesetz. Wir müssen das auch spüren."

Höchste Zeit für den Vertragsabschluss

Auch Vertreter der Kirchen, wie Ralph Meister, der Bischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, raten, die Verträge möglichst bald mit einer breiten Mehrheit im Landtag zu verabschieden: "Wir haben Trends zu islamophoben, zu islamfeindlichen Äußerungen in Deutschland, wir bekommen eine andere islamische Situation durch den Zuzug von arabischen Muslimen, und ich glaube, diese Verunsicherungen, die einfach auch da sind, die kann man zumindest ein Stück weit durch Abschluss solcher Verträge klären."

Hinzu kommt: Viele Muslime in Niedersachsen sind enttäuscht und wollen sich nicht länger vertrösten lassen. Das beobachtet auch die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi aus Hannover: "Viele, die engagiert bis jetzt Dialog geführt haben, höre ich sagen: 'Wozu? Wenn ich etwas sage, dann wird es sowieso nicht ernst genommen.' Ich denke, das sind ganz schlechte Zeichen, wenn man nicht so schnell wie möglich den Vertrag unterschreibt."

Verunsicherung bei den Muslimen

Aber das wird jetzt erst einmal dauern. Die Muslime sind durch das zögerliche Verhalten der Politik verunsichert. Yilmaz Kilic und Avni Altiner hoffen nur eines: dass der umstrittene Vertrag nicht doch noch ein großes Thema im Kommunalwahlkampf wird. Zudem hätte ein erfolgreicher Abschluss bundesweit Signalwirkung. Das weiß auch Yilmaz Kilic: "Viele führen schon erste Gespräche und man wartet schon, was passiert in Niedersachsen. Wir waren in vielen Bereichen Vorreiter, Gefängnisseelsorge, wir haben jede Woche Anrufe, wie weit seid ihr?" Und auch Avni Altiner nimmt aus den Verhandlungen seine Erfahrungen mit: "Wir haben gelernt, euphorisch kann man sein, aber man muss einen langen Atem haben."

Übersicht
Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR

Freitagsforum

Reportagen aus dem Alltag von Muslimen, Berichte über innermuslimische Debatten und Beiträge von Gastautoren zu aktuellen Themen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 29.04.2016 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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