Stand: 24.09.2016 19:48 Uhr

Ein Jahr Erstaufnahme: Seeth hat es geschafft

Vor einem Jahr musste alles ganz schnell gehen: Innerhalb weniger Tage wurde die leerstehende Stapelholm-Kaserne in Seeth zur Erstaufnahmeeinrichtung für Hunderte Flüchtlinge umfunktioniert. Die Kaserne liegt außerhalb des Dorfes - in einem dünn besiedelten Gebiet im Süden Nordfrieslands. Viele Anwohner fühlten sich damals überrumpelt. Der Bürgermeister von Seeth, Peter Dirks, drohte auf einer Diskussionsveranstaltung des Innenministeriums sogar damit, seine Ernennungsurkunde zu zerreißen - und damit sein Ehrenamt zu beenden. "Wenn nicht mal irgendwann Signale gesetzt werden, dann spielen die weiter mit uns", sagte Dirks mit Blick auf die anwesenden Landespolitiker. Er blieb Bürgermeister. Ein Jahr später ist er deutlich gelassener.

600 Einwohner, bis zu 2.000 Flüchtlinge

Bis zu 1.200 Flüchtlinge waren zeitweise in der Kaserne untergebracht. Platz war für bis zu 2.000 Menschen. Seeth selbst hat nur 600 Einwohner. Einige Flüchtlinge sorgten in der Kaserne und in den Dörfern drumherum für Unruhe. Mehrfach musste die Polizei ausrücken, um Streitigkeiten zwischen Flüchtlingen zu schlichten. Die ehrenamtlichen Feuerwehrleute schoben Sonderschichten. In dem kleinen Urlaubsort Süderstapel östlich der Kaserne fühlten sich Schwimmer an der Badestelle der Eider beobachtet. Andere Anwohner klagten über Lärm und Dreck.

Helferin: "Ich wurde Tag und Nacht terrorisiert"

Viele aus Seeth und den Dörfern drumherum waren aber auch sofort zur Stelle und packten bereitwillig mit an. Der kleine Ortsverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) baute innerhalb von Stunden eine Kleiderkammer auf. Es war die erste große Hilfsaufgabe für die DRK-Vorsitzende Kirsten Bohn und ihre Mitstreiter. Davor hatten sie sich hauptsächlich um die Senioren aus dem Dorf gekümmert.

Aus dem ganzen Kreisgebiet gingen Spenden ein. Bis zu 80 Helfer sortierten die Kleidungsstücke und halfen bei der Verteilung. "Manchmal standen hundert Leute draußen und wollten Kleidung haben", sagt Bohn. In Gruppen durften sie maximal zehn Minuten lang fünf Kleidungsstücke aussuchen. "Es hatte fast niemand Schuhe an. Die kamen mit zerschundenen Füßen." Die Helfer arbeiteten bis an den Rand der Erschöpfung - körperlich und psychisch. Belastend war nicht nur die Arbeit in der Kaserne. "Ich wurde dumm angesprochen und Tag und Nacht terrorisiert", sagt Kirsten Bohn, die ihre Erlebnisse in einem kleinen Buch aufgeschrieben hat. Einige im Dorf hätten nicht mehr gegrüßt. Bekannte hätten sie gefragt, ob sie wegen ihrer Arbeit mit dem Flüchtlingen Läuse hätte oder ob in einem Privathaus schon Wanzen seien. "Das ist nicht spurlos an einem vorbeigegangen."

Seeth ist mittlerweile Reserve

Inzwischen ist in der Umgebung der ehemaligen Bundeswehr-Kaserne wieder Ruhe eingekehrt. Nur noch wenige Flüchtlinge kommen nach Schleswig-Holstein. In der Kaserne lebt kein einziger mehr. Doch das würde sich ändern, sollte sich die Balkan-Route wieder öffnen. Das Land will die Einrichtung als Reserve behalten. Die Seether haben es geschafft. Und sie würden es wieder tun. "Wir sind jetzt ja darauf vorbereitet", sagt Bürgermeister Peter Dirks. "Wir werden wieder helfen. Unsere Arbeit ist angenommen worden", findet Kirsten Bohn.

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Schleswig-Holstein Magazin | 24.09.2016 | 19:30 Uhr

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